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Zwischenfall in Kaserne Zwischenfall in Kaserne: Er wollte nur Müll abholen: Migrant aus Afghanistan abgewiesen

Von Ingo Kugenbuch 11.11.2019, 07:54
„Ich bin dankbar, dass ich hier sein kann, in Sicherheit“: Fazel Ahmad Arab.
„Ich bin dankbar, dass ich hier sein kann, in Sicherheit“: Fazel Ahmad Arab. Ingo Kugenbuch

Halberstadt - Fazel Ahmad Arab ist vor der Gewalt in seinem Heimatland Afghanistan nach Deutschland geflüchtet. Nach seiner Erinnerung kam er am 15. August 2016 um 17.32 Uhr in der Halberstädter Zast an. Der junge Mann mit den dunklen Augen und den schwarzen, hochgegelten Haaren hat eine eigene Wohnung in Halberstadt. Er lernt einen Beruf bei der Abfallwirtschaft Nordharz in Reddeber. Seine Kollegen mögen ihn. Sie nennen ihn „Felix“. Das lässt sich leichter aussprechen als Fazel.

Fazel Ahmad Arab: „Ich bin dankbar, dass ich hier sein kann, in Sicherheit.“

Er lebte eine Zeit lang in Königshütte in einem Kinderheim für Flüchtlingskinder, die ohne Eltern nach Deutschland gekommen waren. Dort wurde er von einem der Erzieher im Laufen trainiert. Arab schaffte es vor zwei Jahren beim Rosstrappenlauf über 11,5 Kilometer in Thale auf den zehnten Platz. „Er ist ein ganz feiner Kerl“, sagt der Erzieher, der noch immer Kontakt zu Arab hat. „Ich bin dankbar, dass ich hier sein kann, in Sicherheit“, sagt Arab. Er spricht fließend Deutsch.

Doch dann kam dieser Tag Mitte September, an dem Arab zusammen mit einem Kollegen der Abfallwirtschaft Nordharz den Müll in der Feldwebel-Anton-Schmid-Kaserne in Blankenburg abholen sollte. „Ich wurde am Tor nach meinem Ausweis gefragt“, berichtet er. „Dann hieß es: ,Afghanistan steht auf der schwarzen Liste, du darfst hier nicht rein.‘“

Sein deutscher Kollege habe in die Kaserne fahren dürfen, um den Müll zu holen, Arab habe dagegen draußen warten müssen. „Der musste alle sechs Kübel allein leeren“, sagt er. „Ich war echt traurig, ich musste fast weinen“, sagt Arab. „Ich bin doch kein Verbrecher.“

Entschuldigung wird erwartet: Verhalten der Bundeswhr ist „merkwürdig“

Dirk Hirschfeld sagt es etwas anders, meint aber dasselbe: „Das ist ein freundlicher junger Mann - weit weg von dem, was man ihm möglicherweise unterstellt.“ Dass man seinen Mitarbeiter auf diese Weise abstempele, könne er nicht gelten lassen, sagt der Geschäftsführer der Abfallwirtschaft Nordharz. „Das ist für ihn regelrecht eine Ohrfeige.“

Wenn in einem Unternehmen bestimmte Sicherheitsbestimmungen herrschen - etwa, dass eine Helmpflicht besteht -, dann werde die Abfallwirtschaft darüber informiert und könne sich darauf einstellen. Aus der Blankenburger Kaserne habe es eine Ansage zu Sicherheitsbestimmungen nie gegeben, sagt Hirschfeld. Er findet das Verhalten der Bundeswehr „merkwürdig“ und erwartet eine Entschuldigung.

Zwischenfall in Bundeswehrkaserne: „Schwarze Liste“

In Blankenburg befindet sich das „Versorgungs- und Instandsetzungszentrum Sanitätsmaterial“ der Bundeswehr. Zuständig für den Standort ist das „Kommando Sanitätsdienstliche Einsatzunterstützung“ in Weißenfels. Und von dort gibt es auch eine Erklärung, warum Fazel Arab nicht in die Kaserne durfte.

„Das ist ein militärischer Sicherheitsbereich“, sagt Presseoffizierin Nadine Seumenicht. „Deswegen hätte für den Mitarbeiter eine Sicherheitsüberprüfung vorliegen müssen.“ Er sei „Bürger der Islamischen Republik Afghanistan“. Dieses Land stehe auf einer Liste des Innenministeriums mit Staaten, die ein „besonderes Sicherheitsrisiko“ darstellten, so Oberleutnant Seumenicht zur MZ. „Das ist absolut richtig entschieden worden“, sagt sie.

Die Erklärung klingt plausibel. Sie hat nur einen Schönheitsfehler: Sie ist falsch.

Zwischenfall in Bundeswehrkaserne: Gesetz ist nicht für Müllmänner gedacht

In der Tat gibt es ein Sicherheitsüberprüfungsgesetz (SÜG). In diesem ist in Paragraf 13 auch die Rede von Staaten mit „besonderen Sicherheitsrisiken“, die vom Bundesinnenministerium bestimmt werden. Auf der Liste befinden sich neben Afghanistan noch 27 weitere Staaten: etwa Iran, Irak, Nordkorea, aber auch Russland, China und Vietnam.

Das SÜG ist allerdings nicht für Müllmänner gedacht, sondern, so steht es in Paragraf 1, für eine „Person, die von der zuständigen Stelle mit einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit betraut werden soll“.

Jemand, der „Zugang zu Verschlusssachen hat oder ihn sich verschaffen kann, die streng geheim, geheim oder vs-vertraulich eingestuft sind“ oder „an einer sicherheitsempfindlichen Stelle innerhalb einer lebens- oder verteidigungswichtigen Einrichtung beschäftigt ist“. Sicherheitsüberprüfungen sind zum Beispiel für Berufssoldaten, Beschäftigte des Bundeskriminalamts oder Mitarbeiter des Bundestags vorgeschrieben.

Wer eine Sicherheitsüberprüfung machen lässt, um an einer „sicherheitsempfindlichen Stelle“ arbeiten zu dürfen, der muss neben vielen anderen Daten auch „Wohnsitze, Aufenthalte, Reisen, nahe Angehörige und sonstige Beziehungen in und zu Staaten“ auf der erwähnten Länderliste des Innenministeriums angeben - das ist der eigentliche Zweck dieser Zusammenstellung.

Um es kurz zu sagen: Das SÜG schreibt vor, dass die Berufssoldaten in der Blankenburger Kaserne sicherheitstechnisch durchleuchtet sein müssen und ihren Urlaub nicht gerade in Afghanistan verbringen sollten. Das ist sein Zweck.

Burkhard Lischka: „Nicht nur schräg, sondern auch gefährlich“

„Das habe ich ja noch nie gehört!“, sagt Burkhard Lischka der MZ über den Fall Arab. Sachsen-Anhalts SPD-Vorsitzender ist Jurist und war bis vor Kurzem innenpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion seiner Partei. Wenn schon eine Sicherheitsüberprüfung vorgenommen werde, dann „gilt das grundsätzlich für alle. Man kann nicht sagen, bestimmte Nationalitäten sind problematisch.“

Es hätte - wenn überhaupt - also natürlich auch der deutsche Müllfahrer überprüft werden müssen. Was dort in Blankenburg geschehen ist, sei „nicht nur schräg, sondern auch gefährlich“, sagt Lischka. Menschen, von denen eine Gefahr ausgehe, gebe es schließlich in allen Nationen.

Fazel Arabs Ausbildung bei der Abfallwirtschaft in Reddeber dauert noch zwei Jahre. Dann will er mit dem Lkw quer durch Europa fahren. Dort gibt es keine Grenzen. (mz)