"Schnapsbrennen ist Männerhobby" Harzer Edelbrand Manufaktur bietet Gin und Obstschnäpse an: Wie Marco Fiedler aus Timmenrode sein Hobby ausbaute

Timmenrode - In einer kleinen Gasse mitten in der Puppenstuben-Innenstadt von Kufstein in Tirol liegt der „Stollen 1930“. Die Bar hat kein sonderlich einladendes Ambiente - sie ist finster, man geht durch Wasserlachen auf dem Boden, in einer Ecke, die einer Mini-Höhle gleicht, wird geraucht. Und doch lässt ihr Name den Blutdruck von Gin-Liebhabern in aller Welt steigen.
Denn der „Stollen 1930“ bietet die größte Gin-Auswahl der Welt. Die Flaschen sind in keiner gedruckten Karte zu finden. Wer wissen will, was es zu trinken gibt, muss den Barkeeper fragen - oder die ellenlange, nach Alphabet geordnete Liste auf den Tablet-PCs in den Zimmern des benachbarten Hotels „Träumerei #8“ durchforsten.
Die Gin-Vielfalt im „Stollen 1930“ in Kufstein hat es ins Guinnessbuch der Rekorde geschafft
Etwa 1.000 verschiedene Gins bietet der „Stollen 1930“ - die meist als Gin Tonic in bauchigen Gläsern der Kufsteiner Edel-Glashütte Riedel serviert werden. In Tirol ist man stolz auf den Guinnessbuch-zertifizierten Gin-Weltrekord. Und bald wird es eine Sorte mehr geben.
Zumindest ist das Marco Fiedlers Plan. Fiedler, 45 Jahre alt, steht in blauem Polohemd zwischen Dutzenden von Flaschen und Edelstahlbehältern und grinst, als hätte er gerade ein Gin-Tasting im „Stollen 1930“ geschenkt bekommen.
Hier brennt Fiedler seinen eigenen Gin. Den Gin mit dem simplen Namen „Gin“, den er den Kufsteinern schicken will. „Harzer Edelbrand Manufaktur“ nennt er den kleinen Anbau an seinem Haus in Timmenrode.
Fiedler, der im Hauptberuf Vertriebsingenieur bei einer großen Heizungsfirma ist, hat im Januar die Brenngenehmigung vom Hauptzollamt Magdeburg bekommen, seine eigene Anlage bestellt und im Frühjahr dann mit dem Brennen begonnen. Der Erfolg hat ihn kalt erwischt: Seit Juni hat er allein etwa 1.000 Flaschen Gin verkauft.
Fiedler hat sich eine Brenngenehmigung vom Hauptzollamt Magdeburg besorgt
Wie kommt man auf diese Schnapsidee? Fiedler macht gern sein eigenes Ding. Das, was er zu sich nimmt, soll hochwertig und möglichst auch regional sein. „Mit dem Brotbacken fing es an, und mit Schinkenräuchern ging es dann weiter“, sagt Fiedler. Das neue Alkoholsteuergesetz brachte ihn schließlich auf die Idee, auch seinen eigenen Schnaps zu brennen:
Er kaufte sich für 15.000 Euro seine Brennanlage mit Dreifach-Destillation und investierte noch einmal dieselbe Summe in die Einrichtung der kleinen Brennerei neben seinem Haus. Aus einer Garage wurde die „Harzer Edelbrand Manufaktur“.
„Schnapsbrennen ist ein Männerhobby“, sagt Fiedler. „Na klar, ich hätte auch jeden Sonntag ein Motorrad putzen können.“ Wie man es mit 45 halt machen könnte. Macht er aber nicht. Er brennt Gin, Ingwergeist und Haselnussschnaps. Schnäpse aus Schwarzen Johannisbeeren, Himbeeren, Schlehen und Quitten kommen jetzt dazu. Und Fiedler wirkt dabei alles andere als unglücklich.
Fiedler brennt Gin, Ingwergeist, Schnäpse aus Johannisbeeren, Himbeeren, Schlehen und Quitten
Für seine gute Laune sorgt eine glänzende Maschine, die im Nebenraum vernehmbar, aber nicht unangenehm brummt - die Destille. Wer mit solch einem Gerät nicht vertraut ist, könnte es mit seinen drei blau leuchtenden Fenstern genauso für eine Wasserstofftankstelle oder die Zeitmaschine, mit der Marty McFly zurück in die Zukunft reist, halten.
An der rechten Seite ergießt sich ein dünner Strahl in einen Edelstahleimer: Harzer Gin mit 85 Volumenprozent Alkohol. Wer das Glück hat, danebenzustehen, kann seinen Finger kurz in den Strahl stippen und von der klaren Flüssigkeit kosten: Sie schmeckt fruchtig, nach Wacholder und Zitrone, und der hohe Alkoholgehalt betäubt leicht die Zunge.
Wenn der Eimer voll zu werden droht, schiebt Marco Fiedler schnell ein Plastikgefäß in den Gin-Strahl und gießt den Inhalt des Eimers in einen Edelstahltank. Vier Wochen lang kann sich der frische Gin dann ausruhen, ehe er - auf 42 Prozent verdünnt - auf Flaschen gezogen wird.
Nach dem Brand ruht der Gin vier Wochen im Edelstahltank, ehe er verdünnt und in Flaschen abgefüllt wird
Nachdem die Etiketten aufgeklebt sind, wird der Schnaps für 30 Euro der halbe Liter angeboten. Obwohl es die Brennerei noch nicht einmal ein halbes Jahr gibt, werden ihre Produkte schon in einigen Hotels und Spezialitätenläden verkauft.
Als Vorbilder für seinen Gin nennt Fiedler „The Duke“ aus München und „Monkey 47“ aus dem Schwarzwald. „Aber ich will meinen eigenen Stil machen“, sagt er. Fruchtig, mild und mediterran. Neben den obligatorischen Wacholderbeeren, ohne die ein Gin nicht Gin wäre, gehören Zitronengras, Rosmarin, Lavendel, Angelikawurzel und Orangenzesten zu Fiedlers Rezeptur.
All diese so genannten Botanicals werden 48 Stunden in der 100 Liter fassenden Brennblase mit Hilfe von zugekauftem 96,4-prozentigen Alkohol, der auf etwa 50 Prozent herunterverdünnt wird, ausgelaugt. Mazeration nennt man dieses Verfahren.
Der Alkohol greift die Zellen der Kräuter oder Früchte an und löst die Aromen aus ihnen heraus. Diese aromatische Flüssigkeit durchläuft nun die Destille: Weil Alkohol früher verdampft als Wasser, kann er abgetrennt werden - und dabei nimmt er die Aromen gleich mit. Ähnlich läuft das Prozedere bei Fiedlers Ingwer-, Himbeer- oder Nussschnaps.
Fiedler denkt darüber nach, Schnaps aus Espressobohnen, Brombeeren und Bärlauch zu brennen
Fiedler ist mit seiner Palette zufrieden. Vielleicht kommen noch Schnäpse aus Espresso, Brombeere und Bärlauch hinzu, und auch ein Holzfass aus amerikanischer Weißeiche für den Ausbau des Gins ist schon geordert, aber weder will er alle Geschmacksrichtungen abdecken noch von seiner kleinen Brennerei leben. „Hätte ich das gewollt, hätte ich vor zehn Jahren anfangen und etwa 200.000 Euro Startkapital einsetzen müssen“, sagt er.
Am Ende geht auch der Schnaps aus der „Harzer Edelbrand Manufaktur“ den Weg (fast) allen Gins: Nach einem kurzen, eiskalten Zusammentreffen mit bitter-süßem Tonic rinnt er die Kehle eines mehr oder minder durstigen Genießers hinunter. Frei nach dem Motto: Tonic ohne Alkohol ist ginlos.
Die klassische Rezeptur ist leicht zu merken: ein doppelter Gin - also 4 Zentiliter - und 200 Milliliter Tonic - eine kleine Flasche. Dazu eine Zitronenscheibe oder neuerdings gerne auch etwas Salatgurke - je nach Geschmack. Und genügend Eis.
Komplex wird das Ganze durch die unendlich vielen Kombinationen, die sich durch Tausende Gin- und Hunderte Tonic-Sorten ergeben. Marco Fiedler favorisiert für seinen Gin „Thomas Henry“-Tonic, von dem er nur 180 Milliliter dazugießt. Hinzu kommen - vor allem für das Auge - ein paar Blaubeeren, Lavendel, Rosmarin und drei Eiswürfel. Serviert in hauchdünnen Gläsern von Riedel.
Die Legende berichtet von Engländern, die Wasser aus der Rinde des China-Baums gegen Malaria tranken
Früher tranken die Engländer in Indien das Tonic-Wasser aus der Rinde des China-Baums gegen die Malaria und gossen für den Geschmack und die gute Laune Gin hinein - so die Legende. Dann wurden über Jahrzehnte billige Gins zu langweiligen, klebrigen Tonics in klobigen Gläsern gekippt.
Seit ein paar Jahren feiert der Wacholderschnaps eine Renaissance. Hipster und Rentner trinken ihn mit derselben Inbrunst. Man muss ja nicht gleich 1000 Gins besitzen. Aber einer aus Timmenrode ist ein guter Anfang.
Weitere Informationen bei Marco Fiedler, 0179/5 61 42 31 (mz)

