Rente kassiert nach Tod Frau kassierte Rente eines Mannes nach dessen Tod: Angeklagte behauptet, ihr Opfer 1995 allein begraben zu haben

Rieder/Magdeburg - Ein alter Mann mit runder Brille und weißem Bart sitzt im Sessel. Mit diesem Bild wollte die Frau der Polizei beweisen, dass ihr Nachbar, den sie zuvor getötet hatte, noch lebt.
Die 62-Jährige aus Rieder, die sich derzeit wegen Totschlags vor dem Landgericht Magdeburg und der Unterschlagung der Rente des Toten verantworten muss, hatte das Bild zuvor auf Facebook entdeckt und dort heruntergeladen. Dumm nur, dass sie keine besonders fundierte Allgemeinbildung besitzt: Das Foto zeigt eine Wachsfigur des Begründers der Psychoanalyse - Sigmund Freud.
Der Vorsitzende Richter Dirk Sternberg präsentierte das Foto aus den Akten am Ende des Verhandlungstages am Dienstag mit einem Schmunzeln. Zuvor war es vor allem um die Frage gegangen: Wann hat die Angeklagte den alten Mann, für den sie den Haushalt machte und kochte, getötet?
Das spätere Opfer besuchte mit seiner Hauswirtschafterin seine Tochter in Staßfurt
Erika S. kann sich noch gut erinnern: Als ihre Schwester Elisabeth erfuhr, dass sie an Krebs sterben müsse, da stand plötzlich der verhasste Vater - das spätere Opfer - vor der Tür von Erika S.’ Haus in Staßfurt. Auf der Straße habe eine Frau in einem Auto gesessen und gewartet.
„Er stellte sie als seine Hauswirtschafterin vor“, sagt die 74-Jährige, die im Rollstuhl sitzt, als Zeugin vor dem Landgericht. „Er wollte ihr das Auto schenken“, so Erika S. „Und dann sagte er: ,Und ihr kriegt nüscht.‘“ Sie habe ihm die Tür vor der Nase zugeschlagen.
All das ist eigentlich unwichtig im Prozess gegen die 62-jährige Frau aus Rieder, die ihren Nachbarn getötet hat. Entscheidend für das Verfahren ist, wann das passiert ist. Und Erika S. ist sich sicher: Die traurige Nachricht ihrer Schwester und die unangenehme Begegnung mit ihrem Vater fielen in denselben Zeitraum: ins Frühjahr 2001.
Wenn das stimmt, hat die Angeklagte gelogen. Denn sie behauptet, sie sei von dem gehbehinderten Rentner im Jahr 1995 sexuell belästigt und angegriffen worden. Sie habe sich gewehrt, ihn mit einem Messer in den Rücken gestochen und schließlich mit einem Beil erschlagen.
Sagt sie die Wahrheit, dann kann sie für den Totschlag nicht bestraft werden, weil er verjährt wäre. Hat das 1920 geborene Opfer aber 2001 noch gelebt - davon geht die Staatsanwaltschaft aus und das bestätigen am Dienstag mehrere Kinder und Enkel des Toten vor Gericht -, dann könnte die Angeklagte für viele Jahre hinter Gitter kommen.
Sagt die Angeklagte die Wahrheit, kann sie für den Totschlag nicht bestraft werden, weil der verjährt wäre
Aber das ist nicht alles: Nach der Aussage der Gerichtsmedizinerin Katja Jachau bestehen Zweifel daran, ob die Tat so stattgefunden haben kann, wie die Angeklagte sie beschrieben hat.
Laut der 62-jährigen Frau hat der Rentner sie auf den Schenkel gefasst, sie habe das abgewiesen - dann hätten sich die beiden eine Verfolgungsjagd durch das Wohnzimmer des Mannes geliefert, an deren Ende sie ihn schließlich niedergestreckt habe.
Ein Mann mit Krückstock, der 1995 75 Jahre alt gewesen wäre - 2001 wären es gar 81 gewesen -, flitzt durch die Wohnung? „Ich kann nicht ausschließen, dass das Adrenalin ihn dazu gebracht hat“, sagt die Gerichtsmedizinerin auf eine Nachfrage von Verteidiger Christoph Wolters.
Angeklagte berichtet von einer Verfolgungsjagd durch das Wohnzimmer, doch war das Opfer dazu überhaupt in der Lage?
„Aber alles, was er hatte - das Alter, die Herzprobleme, die Gehbehinderung und die Immobilisation -, spricht massiv dagegen.“ Noch an dem Skelett, das sie später untersucht habe, hätten sich straff gewickelte Thrombosebinden gefunden, zudem habe sie in den Knien Arthrose festgestellt, und an einer Herzkrankheit sowie Bluthochdruck habe er auch gelitten. Es sei schwer vorstellbar, sagt Jachau, dass er die Frau durch das Zimmer gejagt habe.
Ähnlich verhält es sich mit dem Vergraben der Leiche. Die Angeklagte behauptet, sie habe ein Loch im Keller gegraben und den Mann dann allein auf einem Sack dorthin gezogen, die Kellertreppe herunter. Dann habe sie ihn in das Loch „gestopft“, wie sie sagt.
Rechtsmedizinerin bezweifelt die Aussage der Angeklagten, sie habe die Leiche allein die Kellertreppe heruntergezogen und vergraben
Doch zu diesem Zeitpunkt habe die Totenstarre weiterhin bestanden. Für eine schmächtige Frau sei es nahezu unmöglich, dann den Leichnam so zu „falten“, dass er in das Loch passt, so Jachau.
Sie selber sei kaum in der Lage, einen Toten in diesem Stadium allein auf ihren Untersuchungstisch in der Rechtsmedizin zu hieven. „Und ich bin Langstreckenschwimmerin und habe gut entwickelte Muskeln“, sagt sie. Hatte die Angeklagte also einen Komplizen? Hat ihr ihr Mann, der angeblich nichts von der Tat wusste, geholfen?
Während Jachau den Todeszeitpunkt anhand des Skelettzustands nicht eindeutig bestimmen kann - „es könnte 1995, aber auch 2001 gewesen sein“ -, ist die Todesursache dagegen klar: Ein Schlag gegen das Schläfenbein hat ein Loch in den Schädel gebrochen und zu starken Verletzungen des Gehirns geführt.
Seit 2004 kassierte die Angeklagte die Rente ihres Opfers - über 100.000 Euro
Seit dem Tod des Mannes hat die Angeklagte, die eine Vollmacht für das Konto des Rentners besaß, über Jahre dessen Rente kassiert. Seit 2004 war das auch strafbar, weil sie die Unterschrift des Mannes gefälscht haben soll.
Seither sind mehr als 100.000 Euro an die Frau geflossen, die die gelernte Köchin nach eigener Aussage zum Teil für ihre Spiel- und Kaufsucht einsetzte. Obwohl sie die komplette Rente des toten Mannes einstrich, unterschlug sie außerdem noch 2.500 Euro an Kurtax-Einnahmen der Stadt Quedlinburg.
Als sie einen Ein-Euro-Job in der Touristinformation in Gernrode hatte, behielt sie einen Teil des Geldes, das von Hotels und Pensionen bar eingezahlt wurde, einfach für sich. Sie wurde dafür zu einer Geldstrafe von 9.000 Euro verurteilt.
Als Mitarbeiterin der Touristinformation in Gernrode hatte die Angeklagte Einnahmen aus der Kurtaxe unterschlagen
Ihre Habgier ließ letztlich die Tat auffliegen - allerdings mit großer Verzögerung. Bereits im Jahr 2007 habe es „Unklarheiten“ bei der Anschrift des Rentners gegeben, sagt eine Vertreterin der Rentenversicherung im Zeugenstand.
Aber man habe alles „ohne weitere Ermittlungen laufen lassen“. 2009 hat die Behörde dann kurzzeitig sogar die Zahlung eingestellt - bis die Angeklagte anrief, sich als die Tochter des Getöteten ausgab.
Dann floss das Geld wieder. Erst Anfang September 2016 ließ sich die Rentenversicherung nicht mehr hinhalten und verständigte die Polizei. Sechs Wochen später wurde die Frau festgenommen. (mz)
Der Prozess wird am 29. August fortgesetzt.
