Faktencheck, Teil 1 Faktencheck, Teil 1: Was ist dran an den Mythen zum Brocken?

Brocken - „Immer wieder wird in Print-Veröffentlichungen und im Internet – entgegen allen Regeln der sorgfältigen und kritischen Arbeitsweise – abgeschrieben und übernommen, ohne dass man sich die Mühe macht, die Originalquellen zu lesen oder richtig zu zitieren“, ärgert sich Friedhart Knolle, der Sprecher des Nationalparks Harz.
Weil sich „Fehler und falsche, längst widerlegte Ansichten manchmal über Jahrzehnte und länger durch zahllose Publikationen“ schleppen würden, hat der Geologe und Naturschützer unlängst bei Facebook einige klassische Irrtümer richtig gestellt, die hier etwas ausführlicher erklärt werden.
Angeblich schrieb Heinrich Heine 1824 nach seiner Besteigung des Brockens in das Gipfelbuch: „Viele Steine, müde Beine, Aussicht keine, Heinrich Heine.“ - „Dieses Zitat wurde ihm aber nur angedichtet“, urteilt Friedhart Knolle.
„Wer sich etwas mit Literatur auskennt, merkt sofort, dass dies nicht die Sprache des Dichters Heine ist.“ Zudem beschreibe Heine in seiner „Harzreise“ ausdrücklich den Sonnenaufgang mit guter Weitsicht - also nicht „Aussicht keine“ - und äußere sich auch süffisant über den niveaulosen Unsinn in den Brockentagebüchern. „Nie und nimmer hätte er dort so etwas Schlichtes hinterlassen“, so Knolle.
Auch sei er damals noch als „H. Heine“ unterwegs gewesen, was sich auf seinen Vornamen Harry beziehe, denn Heinrich habe er sich erst nach der Taufe 1825 genannt.
„Doch sogar im renommierten Merian findet sich das falsche Zitat, und auch frühere Ministerpräsidenten waren ihm durch ihre Redenschreiber ausgesetzt - beispielsweise Christian Wulff bei der Eröffnungszeremonie des Nationalpark-Besucherzentrums Torfhaus“, erinnert sich Knolle. Als der damalige niedersächsische Ministerpräsident Wulff die „verzogene Miene des Nationalpark-Pressesprechers“, so Knolle, gesehen habe, der die Rede vorher nicht gesehen hatte, sei er unsicher geworden. „Aber vorgelesen war vorgelesen ...“
Übrigens stieg Heine vom Brocken nach Ilsenburg hinunter, nicht von dort auf den Berg, wie die meisten Wanderer auf dieser Route (das Bild oben zeigt die Infotafel am Ende des Heinrich-Heine-Wegs) heute - auch das wird laut Knolle hin und wieder falsch geschrieben. Heine habe wie auch Goethe zudem nicht exakt die Route genommen, die heute nach ihm benannt ist. (mz)
„Die am weitesten verbreitete falsche Zahl zum Brocken ist wahrscheinlich die angebliche Höhe von 1.142 Metern“, schreibt Friedhart Knolle.
Die korrekte Höhe von 1.141 Metern habe sich zwischenzeitlich aber weitgehend durchgesetzt - nur noch wenige Einrichtungen wie das Brockenhotel, der Deutsche Wetterdienst oder die Harzer Schmalspurbahnen benutzten die falsche Höhenangabe.
„Eine weitere Konkretisierung der Höhe in Zentimetern, wie man sie hin und wieder findet, macht im Übrigen bei einem Berg, dessen Kuppe so oft vom Menschen umgestaltet wurde, kaum Sinn“, meint Knolle.
Das ändert aber nichts daran, dass die offizielle Höhe mit 1.141,2 Metern angegeben wird.
Aber warum steht auf dem Brockengipfel eine Bronzetafel mit der Höhenangabe „1.142 Meter“. Was stimmt denn nun?
Beides. Auf der Tafel, die an einem Granitfels auf der Brockenkuppe angebracht ist, steht „1.142 m“ - was für die Höhe des Metallschildes zutrifft. Die „richtige“, also die vom Landesamt für Vermessung und Geoinformation Sachsen-Anhalt offiziell gemessene Höhe des Berges ist aber 1.141 Meter.
Und natürlich hat Friedhart Knolle Recht: Die 20 Zentimeter, die der Berg laut offizieller Angabe höher ist, lassen sich theoretisch in ein paar Minuten mit einem einfachen Spaten abtragen.
Wie man es auch dreht und wendet, der Brocken bleibt das, was er ist: der höchste Berg in Norddeutschland und eines der beliebtesten Urlaubsziele in Sachsen-Anhalt. Aber ein „Berg von grausamer Höhe“, wie einst Verleger Matthäus Merian schrieb, das ist er dann wohl doch nicht. (mz)
„Die Waldgrenze am Brocken ist natürlichen Ursprungs und einzigartig im Norden Mitteleuropas“, schreibt Friedhart Knolle. Eine Baumgrenze sei es nicht, denn einzelne Bäume wüchsen auch oberhalb der Waldgrenze im Brockengarten.
Lange, so Knolle, seien sich die Wissenschaftler nicht einig gewesen: Ist es eine natürliche Waldgrenze, oder ist sie durch menschliche Einflüsse entstanden?
Nach Forschungen der Universität Göttingen stehe aber fest: Die Waldgrenze am Brocken ist klimatisch bedingt.
Sie stelle damit die „nördlichste natürliche höhenklimatische Waldgrenze in Zentraleuropa“ dar. Was bedeutet „nördlichste natürliche höhenklimatische Waldgrenze“? Untersuchungen von Wissenschaftlern haben gezeigt, dass in allen Gebirgen ab einer bestimmten Durchschnittstemperatur im Boden kein durchgängiger Wald wächst. Sie liegt bei etwa 6,7 Grad. In den Alpen, dem Kaukasus oder gar den Anden ist diese Temperatur erst in recht großen Höhen erreicht - auf dem sturmumtosten Brocken aber schon in etwa 1 100 Metern. Damit hält der Brocken einen weiteren Rekord - und ist dementsprechend wertvoll für den regionalen und internationalen Naturschutz. „Dem Nationalpark Harz erwächst daraus die Aufgabe, diesen besonderen Waldstandort trotz touristischer Aktivitäten auf der Brockenkuppe konsequent zu schützen und den Fortbestand zu gewährleisten“, appelliert Nationalparksprecher Knolle.
Gegen den Borkenkäfer helfen die niedrigen Temperaturen übrigens leider nicht. Auch knapp unterhalb des Gipfels gibt es befallene Bäume.
Zwei Millionen Besucher pro Jahr auf dem Brocken? Klingt gigantisch. Ist aber falsch. Das sagt zumindest Friedhart Knolle. „Präzise bekannt sind nur die Besucherzahlen der Brockenbahn, denn sie sind durch ihren Ticketkauf zählbar“, so Knolle weiter.
Die Harzer Schmalspurbahnen GmbH transportiert etwa 600.000 Fahrgäste pro Jahr auf den Gipfel. Der Nationalpark Harz wollte es genauer wissen und nahm im Rahmen seines sogenannten sozio-ökonomischen Monitorings vor einigen Jahren zusätzlich die Wanderströme unter die Lupe, die aus allen Himmelsrichtungen auf den Brocken ziehen, schwerpunktmäßig jedoch auf den kürzesten Wegen von Schierke und Torfhaus.
„Die Gesamtzahlen sind jedoch viel geringer als gemeinhin geschätzt“, sagt Friedhart Knolle. „Unter dem Strich befinden sich weniger als eine Million Menschen pro Jahr auf der Brockenkuppe.“
Das sind trotzdem riesige Menschenmassen, die sich gerade an schönen Tagen jeden Tag auf den Brocken bewegen - zu Fuß, mit dem Planwagen, dem Fahrrad, dem Segway und einige auch mit dem Auto. Häufig mit Kindern und Hunden.
Und am Ende alles auf einer nicht allzu breiten Straße. Die Harzer Kreisverwaltung will dieses Verkehrschaos - teilweise kommen sich gerade Wanderer und Mountainbiker auf der Brockenstraße gefährlich nah - durch Warn- und Hinweisschilder zähmen.
Ob das klappt? Fakt ist: An sonnigen Urlaubstagen sind es zumindest gefühlt zwei Millionen Besucher auf dem Brockengipfel. Und die werden sich allein durch Schilder kaum bändigen lassen.
Es klingt für Touristen eigentlich abschreckend, aber vielleicht zieht diese kaum vorstellbar hohe Zahl an Nebeltagen auf dem Brocken sie auch gerade an. 306 sollen es sein. Pro Jahr.
Im Umkehrschluss heißt das: Man kann nur selten überhaupt etwas auf dem Brocken sehen. „Wer häufiger im Harz und seinem Vorland unterwegs ist, wird kaum glauben, dass der Brocken durchschnittlich 306 Nebeltage im Jahr hat“, meint Friedhart Knolle.
Des Rätsels Lösung sei die meteorologische Definition eines Nebeltages, berichtet er. Dieser liege dann vor, wenn irgendwann zwischen 0 und 24 Uhr an einem Tag die Sichtweite in horizontaler Richtung kleiner als ein Kilometer ist. Dabei muss mindestens ein Blickwinkel von 90 Grad in der Horizontalen betroffen sein.
Da sich das Wetter auf dem Brocken rasant schnell ändert, zieht auch oft mal eine Wolke über ihn hinweg, die kurzzeitig den Blick versperrt - und schon gibt es einen Nebeltag mehr. Der Rekord auf dem Brocken liegt laut Deutschem Wetterdienst bei 330 Nebeltagen im Jahr 1958.
Das ändert aber nichts daran, dass vom Brocken im Herbst immer wieder Weitsichtrekorde von mehr als 200 Kilometern gemeldet werden.
Einer der zahlreichen Fehler betrifft einen im Zweiten Weltkrieg gefallenen Soldaten. Bis heute werde von einigen Seiten angenommen, dass sich an der Brockenstraße zwischen Knochenbrecherkurve und Kuppe das Grab des Wehrmachtssoldaten Johann Appel befinde, berichtet Friedhart Knolle.
Grab des Soldaten jetzt in Blankenburg
Appel sei auf dem Brocken in der Tat in den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs umgekommen. Seine sterblichen Überreste seien allerdings bereits 1975 auf den Waldfriedhof im etwa 40 Kilometer entfernten Blankenburg umgebettet worden. (mz)