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Coole Geschichten von Münchhausen Coole Geschichten von Münchhausen: Was ist dran am "Lügenbaron"?

Von Rita Kunze 06.01.2021, 12:56
Münchhausen überall: Gleimhausdirektorin Ute Pott zeigt, wo sich Motive des „Lügenbarons“ finden lassen: Sogar auf Zigarrenringen und Notgeld.
Münchhausen überall: Gleimhausdirektorin Ute Pott zeigt, wo sich Motive des „Lügenbarons“ finden lassen: Sogar auf Zigarrenringen und Notgeld. Leppin

Halberstadt - Der Veteran erzählt gern vom Krieg: Hieronymus Carl Friedrich Freiherr von Münchhausen (1720 - 1797), nach vielen Jahren aus Russland in seine Heimat an der Weser zurückgekehrt, berichtet dort von den Kämpfen der russischen Armee gegen die Türken.

Die Menschen im kleinen, ländlichen Bodenwerder bekommen „coole Geschichten“ zu hören, sagt Ute Pott. „Er hatte sich zum Erzähler gemausert“, setzt die Direktorin des Gleimhauses hinzu, das dem „Lügenbaron“ eine Sonderausstellung widmet.

„Er war einigermaßen pikiert, als die Geschichten veröffentlicht wurden“

Besuchen kann man sie nicht, das Haus ist coronabedingt geschlossen. Aber auf seinem Youtube-Kanal bietet das Gleimhaus immerhin einen kleinen Einblick in die facettenreiche Schau, die der historischen wie der literarischen Figur nachgeht. Denn: Münchhausen ist nicht gleich Münchhausen.

Der wahre Baron, der als 17-Jähriger an den russischen Zarenhof kam und dort im Militär Karriere machte, wäre wohl nie auf die Idee gekommen, seine Kriegserlebnisse in ein Buch zu fassen. „Er war einigermaßen pikiert, als die Geschichten veröffentlicht wurden“, sagt Ute Pott.

Dass sie veröffentlicht wurden, dafür ist zunächst Rudolf Erich Raspe (1736-1794) verantwortlich. Ein Gelehrter, dessen Karriere unrühmlich endet, denn er wird wegen Unterschlagung von 3.000 Talern aus dem Münzkabinett des hessischen Landgrafen Friedrich II. von Hessen-Kassel gesucht und flieht nach England, wo er später sogar als notorischer Lügner verrufen ist.

Der berühmte Ritt auf der Kanonenkugel

Wie die Brücke von Raspe zu Münchhausen zu schlagen ist, weiß man nicht. Aber er müsse sich angesichts der Erzählungen des Barons wohl gedacht haben, „das hat das Zeug zum Buch“, sagt Ute Pott. Denn es war Raspe, der als erster Münchhausen-Geschichten veröffentlichte: 1785, in England. Ein Jahr später erst erschienen die bis heute weltberühmten Bücher von Gottfried August Bürger, der dann auch frei Erfundenes hineinpackt: Der Ritt auf der Kanonenkugel wurde das wohl berühmteste Kapitel.

Reicher Fundus aus einer Schweizer Privatsammlung

Das kennt man überall auf der Welt, das zeigt die Ausstellung im Gleimhaus sehr eindrücklich: Sogar chinesische Böller sind mit dem Bild verziert. Münchhausen ziert Teedosen, Zigarrenringe, Feuerzeuge, sogar Notgeld. „Es ist unglaublich, was es alles gibt“, sagt die Museumsdirektorin, die bei der Wahl der Exponate zum großen Teil auf den reichen Fundus einer Schweizer Privatsammlung zurückgreifen konnte.

Filmplakate dürfen natürlich auch nicht fehlen, unter anderem jenes von 1943 mit Hans Albers, das ihn auf einer Kanonenkugel reitend zeigt. Dabei, sagt Ute Pott, ging die Geschichte ganz anders. Während der Film-Münchhausen ins türkische Lager fliegt, steigt der literarische sozusagen in der Luft um, wechselt die Kugel und saust zurück zu den eigenen Truppen.

Beschrieben werde da „eigentlich der Moment des Todes, den er sieht und denkt, dreh’ dich mal lieber um“, sagt Ute Pott. „Eigentlich ist das jemand, der den Schwanz einzieht.“ Also kein toller Kerl?

Münchhausen verbreitet Fake News

In erster Linie gehe es in der Ausstellung nicht um die „Lügengeschichten“, so die Direktorin, die den Begriff „fake news“ ins Spiel bringt. Es sind „tolle Geschichten zum Staunen“, die sich zuweilen auch verselbstständigt haben, siehe Kanonenkugel. Und es habe immer Trittbrettfahrer gegeben, die ihrerseits Münchhausengeschichten veröffentlichten. Raspe habe in seinen Veröffentlichungen Satire und Gesellschaftskritik einfließen lassen.

Und schließlich kommen die Illustrationen hinzu. „Man spürt den Wunsch, das Fantastische in Bilder zu fassen.“ Auch da heißt es: Mehr ist mehr. „Der Typ wird immer verwegener“, beschreibt Ute Pott den Wandel der Darstellungen. Der furchtlose Kriegsheld Münchhausen bekommt eine Hakennase, ein spitzes Kinn und - natürlich - Blessuren.

Dabei gibt es nicht nur Illustrationen in Büchern. Für die Kunst beispielsweise ist Münchhausen von den 1920er bis in die 70er Jahre ein großes Thema. Den ersten Kupferstichen folgen später die ersten Bilderbögen, später entstehen sogar Comics. „In ihrer Kürze sind die Geschichten unglaublich interessant für Künstler umzusetzen“, erklärt Ute Pott das Phänomen. „Weil sie so fantastisch sind, sind sie eben auch bildmächtig.“

„Die Geschichten sind auf den Punkt gebracht und für Prosa aus dieser Zeit unglaublich modern“

Münchhausen ist wandelbar, es gibt Geschichten für Kinder und hohe Literatur. „Die Geschichten sind auf den Punkt gebracht und für Prosa aus dieser Zeit unglaublich modern“, sagt die Literaturwissenschaftlerin. „Fast schon atemlos.“

Aber wie kann man nun deutlich machen, dass es sich bei den Erzählungen eben nicht nur

um „Gaga-Geschichten“ handelt? Das Literaturmuseum hat drei Episoden auf ihren philosophischen Inhalt untersucht: den Ritt auf der Kanonenkugel, die Geschichte vom halben Pferd und die Beschreibung, wie sich Münchhausen an seinem Schopf selbst aus einem Sumpf herauszieht. Die Hintergründe sind selbstredend: Das halbe Pferd beispielsweise habe Raspe als künstlerisches Detail in einer Kirche entdeckt.

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Literaturgespräch und Hans-Albers-Film

Der Geburtstag der historischen Persönlichkeit Hieronymus Carl Friedrich Freiherr von Münchhausen (1720 - 1797) hat sich 2020 zum 300. Mal gejährt. Anlass für das Gleimhaus zu der Sonderausstellung, die in Kooperation mit der Münchhausen-Bibliothek Zürich entstanden ist. Begleitend ist das „Literaturgespräch bei Gleim“ mit dem Autor Jürgen Westphal für den 21. Januar geplant, möglicherweise als Videokonferenz. Denn trotz der Schließung versucht das Gleimhaus, mit den Menschen im Gespräch zu bleiben, sagt seine Direktorin Ute Pott: „Mit Themen, die nicht ganz unwichtig sind.“ Denn - das zeigt der Umgang mit Münchhausens Erzählungen - es ist ein schmaler Grat: Lüge - oder Fantasie?

Die Vorführung des Münchhausen-Films mit Hans Albers (1943), ergänzt um einen Kurzvortrag, wird auf den 24. März verschoben.

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Die Ausstellung „Wunderbare Geschichten des Freiherrn von Münchhausen. Text - Bild - Kuriositäten“ soll bis 5. April im Gleimhaus gezeigt werden. (mz)

Figuren, Spiele, Feuerzeug: Münchhausen ist überall.
Figuren, Spiele, Feuerzeug: Münchhausen ist überall.
Leppin