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Bären-Drogerie  Bären-Drogerie : Aus nach 126 Jahren

Von Susanne Thon 27.01.2020, 12:56
Helga Sciborski in der Bärendrogerie. Sie wickelt das Geschäft ab. Bis Ende März ist noch geöffnet.
Helga Sciborski in der Bärendrogerie. Sie wickelt das Geschäft ab. Bis Ende März ist noch geöffnet. Susanne Thon

Harzgerode - Manchmal ist es einem, als ob Weihnachten und Ostern auf einen Tag fallen - und das sagt man dann auch so, um seine Überraschung, seine Freude auszudrücken. In den Regalen der Bären-Drogerie in Harzgerode stehen gerade nicht nur Oster- und Weihnachtswaren, sondern auch Silvester und Karnevalsartikel.

Übergroße Freude verspürt Helga Sciborski deshalb allerdings nicht. Denn sie schließt ihren Laden. Alles, was das Lager noch ergibt, muss raus.

Eine lange Ära geht zu Ende

Äußerlich wirkt sie gefasst. Innerlich, sagt sie, sei ihr ganz anders zumute. „Es ist kein leichter Prozess. Ich habe mich damit aber abgefunden.“ Mit ihrer Entscheidung, die Bären-Drogerie in der Unterstraße aufzugeben und das Haus - ihr Elternhaus - zu verkaufen, geht eine Ära zu Ende.

Wenn Sciborski am 31. März die Ladentür nach getaner Arbeit ein letzten Mal hinter sich zuzieht, endet, was vor nunmehr 126 Jahren, 1894, seinen Lauf genommen hat. Sie und ihr Mann - er führte die Geschäfte - hatten die Drogerie in vierter Generation.

Die Geschäfte liefen mal besser

Den Laden nach seinem Tod im vergangenen Jahr zu schließen war eine Vernunftentscheidung. Leicht fiel sie der Witwe nicht. Zwei, drei Jahre, sagt Sciborski, hätte sie vielleicht noch weitergemacht, wäre sie jetzt nicht allein.

Die Drogerie wieder übernehmen - das wollte sie nun nicht mehr. „Ich fühle mich fit, aber ich weiß nicht: Bleibe ich gesund?“, erklärt die 65-Jährige. Hinzu kommt: Die Geschäfte liefen mal besser. „Es ist nicht mehr rentabel“, sagt sie, die Konkurrenz groß.

Das Sortiment stellte sie deshalb schon vor geraumer Zeit um, bot weniger klassische Drogerieartikel an, nahm Nischenprodukte ins Sortiment auf und legte das Hauptaugenmerk auf Accessoires wie Taschen und Mützen.

Bauliche müsste am Haus etwas verändert werden

Und neben der Marktsituation macht Sciborski auch die bauliche zu schaffen. Um die Wohnung im Haus vermieten zu können, müsste sie investieren. Mehr noch, „ich müsste mich verschulden“, erklärt sie. Geschäfts- und Wohnräume - erreichbar über einen Eingang - müssten nämlich erst mal baulich voneinander getrennt werden. Und das wäre sehr aufwendig.

Trotz allem weitermachen? „Jeder würde sagen, das wäre verrückt“, sagt Sciborski. Sie stecke ihre Kraft lieber in die Abwicklung. So viel verkaufen, wie nur gehe, wolle sie jetzt noch; im besten Fall finde sie sogar einen Abnehmer für die Einrichtung - und schließlich einen Käufer für das Haus. Erste Versuche waren gescheitert.

1894 wurde das Geschäft eröffnet

Carl Roland, der Onkel ihrer Urgroßmutter, war es, der das Geschäft 1894 an dieser Stelle eröffnete. Später führte dann Sciborskis Urgroßvater, Max Merker, den Laden, eine typische Landdrogerie. „Die gebräuchlichen Verkaufsartikel wurden damals noch selbst hergestellt, Pflegecremes, Glycerin-Gel, Majoransalbe“, sagt Sciborski. Die eigentliche Spezialität aber sei ein Kräuterlikör gewesen. 1954 übernahm ihr Vater, Josef Lawitschka, das Geschäft, das fortan auch die Fotoschiene bediente. Ein Labor wurde eingerichtet, Bilder entwickelt. Ihre Eltern begannen auch auszubilden.

Von Erfurt zurück in den Harz

Sciborski kam 1987 mit der Übernahme der elterlichen Drogerie nach Harzgerode zurück. Sie hatte auch Drogistin gelernt, studiert und einige Zeit in Erfurt gelebt. „Es war körperlich schwere Arbeit“, jeden Morgen sei erst mal abgefüllt und abgepackt worden, denn Farben, Vogelfutter, Tees und was es sonst noch gab – alles habe in großen Behältern und Kübeln gelagert. Unter ihrer Regie wurde der Laden erweitert, und auch die historische Einrichtung erlebte eine neue Blüte.

Mit der Bären-Drogerie verschwindet ein weiteres Geschäft in der Unterstraße. Der Waffenfachhandel ist dauerhaft geschlossen, und seit ein paar Wochen auch das Schmuckgeschäft. „So geht ein Laden nach dem anderen, das ist schade“, sagt Sciborski. Die Straße sei mal richtig belebt gewesen, Geschäft neben Geschäft. Sie weiß aber auch, dass es in einem kleinen Ort wie Harzgerode – die Kernstadt hat keine 3.500 Einwohner – nicht einfach sei zu bestehen. Nachfolger fänden sich in den seltensten Fällen. „Hut ab, wer sich traut.“

Dass es für viele mittelständische Handelsunternehmen und Innenstädte immer schwieriger werde, weiß auch der Handelsverband Deutschlands (HDE). Die Statistik offenbart das Ausmaß: Bundesweit ging die Zahl der Standorte im deutschen Einzelhandel um rund 29.000 zurück - in den letzten fünf Jahren. Aus Befragungen der HDE-Mitglieder geht hervor, dass den Innenstädten die Kunden ausgehen. Über die Hälfte der Händler klagt über sinkende und nicht zufriedenstellende Kundenfrequenzen. „Je ländlicher die Handelsstandorte liegen, desto bedrohlicher sind die Auswirkungen.“

Ihre Bären-Drogerie werde sie jedenfalls vermissen, sagt Sciborski, und den Kontakt zu den Kunden; zu vielen hat sie eine persönliche Bindung. Ganz ohne Beschäftigung wird es künftig aber nicht gehen: Ihrem Grundstück und dem Garten will sie sich widmen. Und reisen.

(mz)

Ausverkauf vor der Schließung: Alles muss raus.
Ausverkauf vor der Schließung: Alles muss raus.
Thon