Landgasthof "Goldener Hirsch" Landgasthof "Goldener Hirsch": Stelldichein mit Räbchen

Halle (Saale)/MZ - Mal abbremsen und abbiegen. Dann stellen sich gastronomische Entdeckungen fast von allein ein: zum Beispiel zwischen Nova Eventis und Leipzig.
Adresse
Paul-Wäge-Straße 61,
04435 Schkeuditz, OT Dölzig
Kontakt
Telefon: 034205/87415
Internet:
www.goldener-hirsch-doelzig.de
Öffnungszeiten
Dienstag bis Freitag 12 bis 24 Uhr Samstag 11.30 bis 24 Uhr
Sonntag 11.30 bis 22 Uhr
Angebote
Hauptgerichte 10 bis 21 Euro,
offene Weine (0,2l) ab 4,60 Euro
Biergarten-Auftakt: 30. April
Dort liegt Dölzig, direkt am Elster-Saale-Kanal. An diesem Dorf fahren die meisten Autofahrer gewöhnlich vorbei. Schade, denn das ist ein Fehler. Wirt Lutz Köhler lädt ein in den Landgasthof „Goldener Hirsch“. So viel vorweg: Der Mann versteht sein Fach. Seit 1990 schwingt er hier den Kochlöffel.
Der Gasthof steht, wie sich das gehört, mitten im Dorf, gut 600 Meter von der B 186 entfernt. Ein gelb getünchtes Haus mit schweren Fensterläden aus Holz. Eine Gutsherren-Kutsche und ein Taubenturm schmücken das Anwesen. Alles deutet daraufhin: Ein Ausflug in die gute, alte Zeit steht bevor. Kein Wunder, denn den Ausschank an dieser Stelle gibt es seit 1789. Also, hinein in die gute Stube.
Ach, ist das niedlich, so der erste Eindruck des Städters, der das Landleben nicht kennt. Weiß gespachtelte Decken und Wände, viel dunkles Holz und allerlei Andenken längst vergangener Zeiten. Der große, braune Kachelofen strahlt behagliche Wärme aus. Alles zusammen ergibt eine Ahnung davon, was wohl mit sächsischer Gemütlichkeit gemeint ist. Und: Kaum öffnet man die Tür, steht auch schon die Kellnerin bereit. Geübt trifft sie den richtigen Ton, empfiehlt die passenden Plätze.
Das Bier macht’s
Und dann liegen die in schweres Leder gebundene Speisekarten mit dem Signet des „Goldenen Hirsches“ auf dem Tisch, ein Lesevergnügen der besonderen Art. Wer regelmäßig in die Kneipe geht, heißt es dort, verdient 17 Prozent mehr als die Rest-Bevölkerung. Quelle dieser durchaus verwunderlichen Erkenntnis ist die renommierte Financial Times, die weiter erklärt haben soll: Beim Bier werden Kontakte geknüpft, die für die Karriere wichtig sind. Also, ein Bier. Königlich-Sächsisches - Radeberger - steht ganz oben auf der Angebotsliste. Biere aus Thüringen, Bayern, dem Harz und Uriges von der Küste fehlen gleichfalls nicht.
Mehr noch verrät die Karte, auf welche Winzer der Wirt schwört. Laut Lutz Köhler ist Weingut Pawis aus Freyburg-Zscheiplitz die Nummer Eins der Region. Die Trauben wachsen in klassischen Steillagen heran, darunter der Freyburger Edelacker. Dann gibt es auch einen Portugieser, erklärt die Kellnerin, der weich und harmonisch an Waldbeeren erinnert. Natürlich macht man mit dem Müller-Thurgau auch nichts falsch. Auf jeden Fall ist es ein Leichtes, sich für ein Krüglein vom trocknen, tiefroten Hauswein zu entscheiden.
Im nächsten Moment steht es auf dem Tisch. Dieser Tropfen trinkt sich weg, wie der Sachse sagt. Gäste, die einmal in Weinlaune sind, können noch weitere Ausflüge unternehmen, beispielsweise nach Südafrika in die Heimat der Somerbosch-Weine. Die mit 33 Euro teuerste Flasche enthält „Kylix“, eine raffinierte Cuvée aus Cabernet Sauvignon, Merlot und Shiraz. Ein Krimi auch für den erfahrenen Gaumen. Manche Kenner glauben neben Schokolade auch Zimt und Tabak zu schmecken.
Mal etwas ausprobieren
Über derlei Gedanken vergeht die Zeit wie im Fluge. Dass niemand das Haus mit knurrendem Magen verlässt, dafür garantiert die für einen Landgasthof beinahe fürstliche Auswahl an Speisen. Als nicht verkehrt erweist sich, mal etwas Unbekanntes auszuprobieren. Es muss nicht Lenins Nachtmahl, also die berühmt-berüchtigte russische Soljanka sein. Wie wäre es mit einer Suppe aus dem Schwäbischen? Rotwurst im Teigwickel in einer würzigen Gemüse-Fleisch-Brühe ist für alle etwas Gutes, die es gern deftig mögen. Alternative könnte die Sahnesuppe mit reichlich Steinpilzen sein, sicher gut passend zum als besonders zart avisierten Hirschbraten - erlegt in der nahe gelegenen Elsteraue. Da gibt es zudem noch Gulasch aus Wildschwein, Reh und Hirsch (11,95 Euro). Oder die „scheene sexsche gegrillte Schweine-Haxe“ (12,75 Euro). Oder Mutz-Braten nach original Schmöllner Rezept (12,35 Euro), vielleicht auch vielerlei Fleisch vom heißen Stein (12 bis 16 Euro)? So weit, so gut.
Noch verlockender, weil unerwartet, klingt: Hähnchenfilet im Tramezzini-Brotmantel (12,95 Euro), ausgewiesen in der Rubrik „exklusiv nur hier“. Wer dieses Brot in Italien einmal probiert hat, dem geht die Erinnerung daran nicht verloren: Tramezzini, ein wirklich feines, weiches Weizenbrot ohne Rinde. Eine Aufgabe, die für Hobby-Bäcker eigentlich eine Nummer zu schwer ist. Trefflich lässt sich darüber orakeln, ob Lutz Köhler sich damit im Feinkostladen eindeckt oder es selbst fabriziert. Die Stunde der Wahrheit: Ein großer, großer Teller schwebt herbei. Eingebettet in Salate liegen die Stücke so üppig garniert, dass der Appetit von ganz allein kommt. Beim ersten Bissen denkt man an Urlaub. Der zweite Bissen gipfelt in einem Lob für das Pesto mit Chili und schwarzen Nüssen. Eine kalt geschlagene, klassische Schnittlauchsoße rundet den Genuss ab. Angenehmes Fazit: wohlschmeckend mit vielen feinen Nuancen.
Nicht nur das Dessert probieren
Ähnlich fällt das Urteil von zwei Tischnachbarinnen aus, die sich für delikat zubereitete Grillforellen entschieden haben. Ihnen gefällt unter anderem die individuelle Art, die ihrer Meinung nach beim Gespür für Gewürze und sogar bei der Auswahl der Kartoffelqualitäten erkennbar sei.
Derart froh gestimmt, fällt die Entscheidung für einen Nachtisch leicht. Leipziger Räbchen - was haben sich die Sachsen da wieder ausgedacht? Die Kellnerin weiß Bescheid: eine extra große und gefüllte Pflaume, die der Küchenchef inû Bierteig wendet und heißem Öl ausbäckt. Neu sei das Rezept nicht, nur einige Jahrzehnte etwas in Vergessenheit geraten. Laut Lexikon stammt es aus einer Zeit, zu der es den Leipzigern besonders gut ergangen sein soll. Nur soviel: Leipziger Räbchen schmeckt auch nach Marzipan - und das ist bekanntlich Geschmackssache. Insofern gilt: Probieren geht über Studieren.
Das empfiehlt sich auch für die älteste sächsische Boygroup. So etwas wie Stammgäste im Lokal startet die Lose Skiffle-Gemeinschaft Leipzig hier in der Walpurgisnacht in die Biergartensaison.
