Länderfusion Sachsen Sachsen-Anhalt und Thüringen Länderfusion Sachsen Sachsen-Anhalt und Thüringen: Bernward Rothes Traum von Mitteldeutschland
Halle - Vielleicht wird man dereinst auch einem Professor Reimann aus Walldorf in Baden einen Platz im mitteldeutschen Geschichtsbuch freihalten müssen. Zumindest ein paar Zeilen. Denn der Erdkundelehrer Reimann hat es schon in den 1970er Jahren gewusst. „Schaut nicht auf den Osten herab“, hatte Reimann seinen Pennälern diktiert, „denn die Menschen sind dort genauso fleißig wie hier, und vor dem Krieg war das sächsisch-thüringische Industriegebiet die stärkste Wirtschaftsregion Deutschlands“. Ein Satz, so einprägsam, dass ihn Reimanns Schüler Bernward Rothe noch heute auswendig hersagt. Aber nicht einfach so auswendig gelernt, sondern mit Überzeugung, als Maxime, ja, als Lebensmotto.
Rothe, 55 Jahre alt, geboren in Bonn, wohnhaft in Halle, Landtagsabgeordneter der SPD im Wahlkreis Aschersleben und Stadtrat in Halle. Er tritt nun seit fast 20 Jahren dafür ein, aus Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt ein gemeinsames Bundesland zu machen. Nur so, ist er überzeugt, lassen sich die strukturellen Probleme der drei Bundesländer dauerhaft lösen und nebenbei der deutsche Föderalismus und die Kommunen retten. Beides sei, davon ist Rothe überzeugt, durch zu kleine Länder in Gefahr.
Derzeit keine Chance
In Sommerinterviews ist die Idee, aus den sogenannten mitteldeutschen Ländern ein großes Flächenland zu stricken, immer wieder angesprochen worden. Sachsen-Anhalts Finanzminister Jens Bullerjahn (SPD) war eine Zeit lang der Vorprescher. Im letzten Jahr übernahm Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) im Interview mit der Zeitung Die Welt: „Grundsätzlich halte ich Zusammenlegungen für sinnvoll“, sagte er damals. Für konkrete Pläne gebe es jedoch in keinem der drei Länder derzeit eine Mehrheit.
Das Volk müsste entscheiden, aber seit Jahren messen Demoskopen steigende Identifikationswerte in den einzelnen Ländern - auch in Sachsen-Anhalt, dem stets nachgesagt worden war, es habe gar keine eigene Identität. Doch Rothe führt auch andere Zahlen ins Feld: In einer repräsentativen Umfrage gaben 2011 63 Prozent der Thüringer an, sich trotz allen Stolzes eine Fusion mit einem Nachbarland vorstellen zu können. Trotzdem spielt das Thema dort und auch in Sachsen, wo demnächst neue Landtage gewählt werden, keine Rolle. Und auch im politischen Magdeburg heißt es unisono: Derzeit keine Chance.
In Magdeburg hält man das Thema Länderfusion in dieser Sommerpause für nicht so relevant.
Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) ließ über Regierungssprecher Matthias Schuppe ausrichten: „Der Ministerpräsident hat eine Länderfusion stets als unrealistisch bewertet. Auch weil es in den betroffenen Ländern dafür keinerlei Mehrheiten in der Bevölkerung gibt. Der Ministerpräsident hat im Gegenteil auf die wachsende Identifizierung der Menschen in Sachsen-Anhalt mit ihrem Land verwiesen und die Eigenständigkeit des Landes in geschichtlicher, kultureller und wirtschaftlicher Art betont. Eine Fusion steht daher für den Ministerpräsidenten überhaupt nicht zur Debatte.“
Birke Bull, Landesvorsitzende der Linken, sagte: „Das Engagement vom Kollegen Rothe ist sicher aller Ehren wert, allerdings: Eine solche Fusion scheint derzeit mittelfristig weder in den Bevölkerungen noch gar bei den politisch Verantwortung Tragenden der beteiligten Länder vermittel- oder gar durchsetzbar zu sein. Es mag durchaus rationale Grundlagen für solche Pläne geben, kurz- oder selbst mittelfristig dürften die Chancen für eine Realisierung aber kaum vorhanden sein.“
Rüdiger Erben, der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende meint: „Es sind überhaupt keine Mehrheiten dafür sichtbar, weder in einem der drei Bundesländer noch in der SPD. Es ist also vergebene Liebesmüh, sich daran aufzureiben.“
Grünen-Fraktionschefin Claudia Dalbert sagte: „Eine Länderfusion müsste in der Breite von den Menschen getragen werden. Ein wichtiger Schritt ist die engere Zusammenarbeit in den unterschiedlichsten Lebens- und Politikbereichen. Hieran könnte gewinnbringend für alle Seiten gearbeitet werden. Ob dann daraus irgendwann eine Länderfusion entsteht oder nicht, halte ich für zweitrangig.“
Es gibt ja diesen Außenseiterspruch: Wenn man keine Chance hat, soll man sie nutzen. Rothe kann man getrost einen politischen Außenseiter nennen. Er zieht keine Strippen, knüpft keine Netzwerke, er schreibt Briefe und reicht Petitionen ein. Mehr Außenseiter kann man als Politiker kaum sein. Im Landtagswahlkampf 2011 war er wieder einmal allein für die Fusion eingetreten und war prompt von seinen Genossen auf einen hinteren Listenplatz verbannt worden. Seine Kampagne finanziert er aus der eigenen Tasche. Wieviel genau er investiert, sagt er nicht, nur so viel: „Ich bin seit vielen Jahren Landtagsabgeordneter und leider Junggeselle geblieben. Da ist genug Geld übrig.“
Auf Seite 2 erfahren Sie, welche Möglichkeiten es gibt, um die Fusion zu verwirklichen.
Die Chance, die Rothe nun nutzen will, schlummert im Grundgesetz. Die Länderfusion, geregelt in Artikel 29 der Verfassung, ist die einzige politische Frage, die auf Bundesebene vom Volk direkt entschieden werden kann - und muss. Es gibt verschiedene Wege zum alles entscheidenden Volksentscheid. Einer wäre, dass der Bundestag die Länder per Gesetz neu gliedert. Rothe hat es versucht, hat hunderte Briefe geschrieben - ohne Ergebnis.
Also geht der SPD-Politiker nun den anderen Weg. Seine Waffe ist Absatz 4 im Artikel 29: ein Volksbegehren in einem länderübergreifenden Ballungsgebiet - dem Ballungsgebiet Halle/Leipzig. Sammelt Rothe hier 7 000 Unterschriften, kann das Volksbegehren starten, als Phase zwei gewissermaßen. Dann, Rothe rechnet mit 2015, müssen innerhalb von 14 Tagen zehn Prozent der Wahlberechtigten in Halle, Leipzig und den Nachbarkreisen in Amtsstuben ihre Unterschrift leisten. Man kennt das vor allem aus Bayern, wo das Verfahren mal mehr und mal weniger erfolgreich ist. Rothe hat auch eine Petition auf den Weg gebracht, wonach die 14-Tage-Frist verlängert werden soll.
Unterschriften, Befragungen, Volksentscheide
„7 000 Unterschriften bis Ende des Jahres - das klappt“, sagt Rothe. Mehr als die Hälfte hat er schon. Phase drei wären Volksbefragungen in allen Ländern 2016, Phase vier dann Volksentscheide 2017 parallel zur Bundestagswahl. 25 Prozent aller Wahlberechtigten müssen dann für die Fusion stimmen, das heißt die Wahlbeteiligung muss mindestens 50 Prozent betragen. Hohe, sehr hohe Hürden.
Nur ein halbes Dutzend Mitstreiter hat Rothe nach eigenen Angaben um sich geschart. An einem Sonnabendmorgen stehen sie zu dritt vor einem großen Einkaufszentrum in Halle-Neustadt, Rothe in Anzughose, weißem Hemd und Krawatte, die Schuhe ein wenig abgewetzt. Der Landtagsabgeordnete ist kein charismatischer Menschenfischer. Eher schüchtern steht er da. Die Leute hasten mit Einkaufstunnelblick an im vorbei. Einige bleiben stehen.
Eva-Maria Höfling, 80 Jahre alt, ist sofort begeistert. Seit 1970 lebt sie in Halle-Neustadt, kommt jedoch ursprünglich „aus der Dresdener Ecke“ und hat auch noch zehn Jahre in Erfurt gelebt. Höfling ist eine Sachsen-Thüringen-Anhalterin. Warum sie für eine Fusion ist? „Aus Sparsamkeit. Drei Regierungen, das ist idiotisch. Jeder kocht sein eigenes Süppchen. Stellen sie sich vor, wir bräuchten dann nicht mehr so viele Beamte. Die könnten in die Produktion gehen.“ Rothe lächelt, Höfling unterschreibt. Nach drei Stunden hat Rothe einige Dutzend Unterschriften gesammelt - aber auch Unverständnis geerntet. „Dann werden die Ämter ja noch mehr zusammengeschrumpft“, sagt eine Passantin. „Aber dafür haben wir dann mehr Geld für Schulen“, entgegnet Rothe. „Das glauben sie aber nur selber.“ Die Frau geht, kopfschüttelnd.
Argwohn in Magdeburg und Dresden
Überhaupt, ein gemeinsames Bundesland, wie soll das gehen? Von Arendsee in der Altmark bis Zittau am Dreiländereck sind es mit dem Auto knapp 450 Kilometer, von Frankenheim in der Rhön bis Linda an der Schwarzen Elster immer noch gut 370. Böse Zungen sagen, die heimliche Vorliebe mancher Landespolitiker für Hubschrauberflüge hätte dann endlich eine Berechtigung. Und dass die Hauptstadtfrage ein Land spalten kann, zeigt sich in Sachsen-Anhalt immer noch. Dass nun womöglich gerade die Hallenser und die Leipziger die Länderfusion vorantreiben könnten, dürfte in Magdeburg oder Dresden auf Argwohn stoßen.
Spricht man mit Rothe über solche Einwände, fällt oft das Wort „leidenschaftslos“. „Ich bin in der Hauptstadtfrage leidenschaftslos“, sagt er. Wichtiger sei die Strukturfrage. Und ob sich Altmärker, Lausitzer oder Rhöner nicht lieber nach Niedersachsen, Brandenburg oder Hessen orientieren wollen, könnten ja gerade Volksbefragungen klären. Auch die Frage des Namens könne so entschieden werden. Sachsen-Thüringen, wie er vorschlägt, oder Mitteldeutschland oder anders - „leidenschaftslos“. Was zählt ist, dass das Verfahren auf dem Weg ist. Wo der endet, weiß er nicht. Aber er kennt den Satz von Professor Reimann, den von der stärksten Wirtschaftsregion Deutschlands. „Wir können das wieder werden“, sagt Rothe. Für die allermeisten klingt das sehr weit weg. Aber es ist Rothes Traum. (mz)