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Elelktro-Pop-Band „Neufeld“ Tanz mit der Geschichte

Das Magdeburger Duo „Neufeld“ spielt beim Electro-Pop-Festival am 14. Juni in der Landeshauptstadt. Wo kommen die Musiker her? Was treibt sie an? Sven Kordaß antwortet.

Von Mathias Schulze 13.06.2024, 17:02
 Frank Körner-Steding (links) und Sven Kordaß sind das Magdeburger Duo „Neufeld“
Frank Körner-Steding (links) und Sven Kordaß sind das Magdeburger Duo „Neufeld“ (Foto: Caroline Kordass)

Halle/Magdeburg/MZ. - Im Land brodelt es 1989, bald wird die Mauer fallen. Eine Revolution. Und man selbst bekommt nichts mit. Informationen sind spärlich wie das Licht, das nachts durch jenes Fenster fällt, das man gerne als Zugang zu den Geschehnissen nutzen möchte. Man kann nur horchen, Zeichen suchen, in die Ferne schauen. Was ist draußen los? Muss man bald auf die eigenen Leute schießen? Eine surreale, eine prägende Erfahrung.

Sven Kordaß, Jahrgang 1968, aufgewachsen in Magdeburg und wohnhaft in Staßfurt, bildet heute zusammen mit Frank Körner-Steding, Jahrgang 1976 und ebenfalls in Magdeburg groß geworden, die Elektro-Popband „Neufeld“. Hat man Kordaß am Telefon, funkeln die Erinnerungen an seinen 1988 angetretenen Grundwehrdienst bei der DDR-Bereitschaftspolizei in düsteren Farben.

Geladene Makarows

War der gelernte Werkzeugmacher als junger Saxophonist eben noch in der künstlerischen Szene rund um den Magdeburger Hasselbachplatz unterwegs, also dort, wo sich in Gründerzeithäusern Inoffizielle Mitarbeiter der Stasi zwischen Kunst und Kultur erwünschte Ausreisen in den Westen notierten, stand Kordaß 1989 uninformiert über die Lage im Land und mit der scharfgestellten Waffe in der Hand vor dem Magdeburger Domplatz. Das Schleinufer war voll mit Armee und Polizei, das Feuer der Leipziger Montagsdemonstrationen loderte nun auch im Bezirk Magdeburg. Eine brandgefährliche Konstellation.

Kordaß beschreibt ein Phänomen, das vor allem in Extremsituationen zu Tage tritt. Ein Reden des Körpers, ein zwischenmenschliches Verstehen, das Autoritäten brechen kann: „Mit unseren geladenen Makarows standen wir damals da. Wir wussten, was ein lautes Sprechen bedeuten konnte: Knast! Aber wir tauschten Blicke aus, das reichte: Wenn wir schießen sollen, schmeißen wir die Waffen weg! Wer anderes plante, tat dies auch durch seine Körperhaltung kund. Der Befehl kam nie, Gott sei Dank!“ Erfahrungen, die heute ins eigene musikalische Schaffen einfließen.

Im Frühling 1990 durfte Kordaß zum Polizei-Orchester wechseln, noch zu dieser Zeit wollten die Chefs politische Gespräche führen. Eine weitere surreale Erfahrung: Wie lange kann ein Mensch die Rückkehr in eine längst untergegangene Welt für möglich halten? 1996 stand Kordaß wieder vor einer Schicksalsfrage. Das Polizei-Orchester wurde mit den Musikern aus Halle zusammengelegt, für ihn schien kein Platz mehr zu sein. Eine knappe Ansage: Entweder du bist jetzt arbeitslos oder du wirst Polizist! Verkehrskontrollen, Demonstrationen, Bereitschaftspolizei – Kordaß biss in den sauren Apfel, 2000 konnte er nach erfolgreichem Studium zum Landeskriminalamt wechseln.

Dort arbeitet er noch heute, von dort aus konnten und können nebenberuflich neue musikalische Pläne geschmiedet werden: Künstlervermittlungen zum Beispiel, Tourmanagement, Fotograf und Fahrer für die südafrikanische Band „Prime Circle“ und Gründung des eigenen Labels „Fasterone-Music“. „Um eine Sache groß zu machen, musst du sie größer machen, als sie eigentlich ist“, sagt Kordaß.

Karussell-Klassiker

Und dann – wir schreiben das Jahr 2020 – wurde das damalige Trio „Neufeld“ gegründet. Der Musiker, Komponist und Produzent José Alvarez-Brill, der mit Peter Heppner („Die Flut“) oder der Band „Wolfsheim“ zusammenarbeitete, verstarb im Oktober 2020. Was tun? Weitermachen! Obwohl Frank Körner-Steding, der heute in der Nähe von Köln wohnt, den Gesang von „Wolfsheim“ oder „Depeche Mode“ mit seiner charismatisch-melancholischen Stimme beherrscht, die entsprechende Cover-Konzerte bestens besucht waren, produzierte „Neufeld“ bald eigene Titel – darunter auch eine Dance-Version des Karussell-Klassikers „Als ich fortging“.

„Die Idee, weitere bekannte DDR-Songs neu zu vertonen, steht. Aber es ist eine Zeitfrage“, erklärt Kordaß, der zugleich für den 5. Juli den Titel „Time“ ankündigt. Ein Leuchten in den Augen: „Mit dem neuen Song überschreiten wir bisherige Grenzen, ein neuer Stil. Da liegt ganz viel Hit-Potenzial drin.“ Stimmt!

Und welches Publikum folgt bislang „Neufeld“? Kordaß erzählt von einer Altersspanne von zehn bis 84 Jahren, davon, dass es ihm Spaß macht, Jazz in Elektro-Pop einfließen zu lassen, dass man mit Licht, Laser und Videos arbeitet, die historische Erinnerungen wecken: „Wir beginnen meist mit einer mystischen Show, vom Verträumten bis zum Rockigen geht es zu den Dance-Versionen. Eine Bandbreite, die viele Menschen anspricht. Und am Ende scheint die Sonne, dann wird getanzt.“

Gerade suche man für die Shows, für die Texte, die um das Leben, um Traurigkeit, Verlust, Hoffnung und Freude kreisen, atmosphärische Räume und Veranstalter: Alte Festungen und Burgen, verwitterte Plätze mit viel Historie. Nicht nur Kordaß, sondern auch Örtlichkeiten können spannende Geschichten erzählen.

X-Perience feat. Neufeld - Beim Electro-Pop-Sommer-Open-Air am 14. Juni um 18.45 Uhr in der Festung Mark, Hohepfortewall 1, Magdeburg, www.neufeldmusic.de