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Heinrich-Schütz-Fest in Weißenfels und Sachsen Schütz-Fest: Ungezähmt weiblich

Das Heinrich-Schütz-Musikfest in Weißenfels und Sachsen widmet sich bis Ende der Woche den schöpferischen Frauen in den Notzeiten des Dreißigjährigen Krieges.

Von Roland H. Dippel 08.10.2024, 10:52
Aus den Händen einer Frau: Heinrich Schütz-Büste in Weißenfels mit Künstlerin Anna Franziska Schwarzbach
Aus den Händen einer Frau: Heinrich Schütz-Büste in Weißenfels mit Künstlerin Anna Franziska Schwarzbach (Foto: dpa)

Weißenfels/MZ. - Das Heinrich Schütz Musikfest kreist noch bis 13. Oktober unter dem Motto „ungezähmt kreativ weiblich“ um bisherige Repertoirelücken und Lebensabenteuer aus Frauenperspektive. Bei Schütz selbst, dem ersten deutschen Komponisten von wesentlicher internationaler Ausstrahlung, handelt es sich allerdings weder im Werk noch im echten Leben um einen Womanizer. Nach dem frühen Tod seiner Ehefrau Magdalena Wildeck 1625 blieb Schütz unvermählt. In seiner „La Daphne“, einem der ersten Opernversuche im deutschen Kulturraum, wird die Nymphe zum Lorbeerbaum statt zur Geliebten des Gottes Apollon.

Vor allem in Weißenfels, aber auch in den Schütz-Orten Bad Köstritz und Dresden geht es um Aspekte des Frau-Seins in der Zeit des 30-jährigen Krieges und später. Das Heinrich-Schütz-Haus zeigt die mit der Sibylla Schwarz Gesellschaft entwickelte Ausstellung „Die Musen sind weiblich“ über „Frauen der Frühen Neuzeit in Musik, Literatur und bildender Kunst“ bis 9. März 2025.

Lyrisch bis hocherotisch

Im Programmbuch des Musikfestes reflektieren Autorinnen Einzelaspekte fraulicher Identitäten und sozialer Kampfplätze. Am 11. Oktober referiert Silke Leopold, Empfängerin des Heinrich-Schütz-Preises 2024, über (Berufs-)Musikerinnen um 1600. Abends spielen Les Kaps ber'girls in der Weißenfelser Schlosskirche St. Trinitatis im Konzert „Donne sacre – Donne profane“ Werke von Komponistinnen. Im Abschlusskonzert am 13. Oktober präsentieren Aelbgut, das Ensemble in residence, und La Rubina im Zeitzer Dom Werke aus dem Umfeld der Mäzenin Christina von Schweden. Ein bunter Cocktail also von lyrisch bis hocherotisch – so auch zu merken am Sonntag in Weißenfels.

Noch unterschiedlicher hätten die Konzerte „Sweet Sirens“ im Heinrich-Schütz-Haus und „Im Rausch“ in der St. Marienkirche nicht ausfallen können. Im karminroten Kleid setzte die amerikanische Sopranistin Lisa Solomon mit Johannes Festerling (Laute), Thomas Fields (Viola da gamba) und Lilli Pätzold (Zink) einen selbst konstruierten Konzert-Dreiakter nebst Prolog und Epilog in vier Sprachen. Das Bildungs- und psychologische Reflexionsniveau der erklungenen und rezitierten Werke von Berufskünstlerinnen und hochadeligen Dilettantinnen war ausgesprochen hoch.

Wie die männlichen Platzhirsche im Dienst an den Künsten verarbeiteten die kreativen Frauen der Frühen Neuzeit Liebeslust und -frust in ihren Schöpfungen. Auch für Frauen sind Bildung und Kultur der bestmögliche Zeitvertreib nach einer bewältigten Liebesmisere, sagten die Frauen damals selbst.

Momente des Leids

Lisa Solomon rezitiert pikant und mit hohem Sprachgefühl Texte der 1638 im Alter von nur 17 Jahren an der Ruhr verstorbenen Poetin Sibylla Schwarz. Die Solo-Kanzonen mit den Emotions- und Erregungskurve von Entzücken bis Entsetzen von Barbara Strozzi, Mary Harvey und anderen singt sie wie eine wohlerzogene Klosterschülerin, die von der Liebe träumt. Es ist nur zu verständlich, warum die Kombination von Singstimme und Laute im Barock so beliebt war wie später das Klavier als Begleitinstrument. Im Heinrich-Schütz-Haus und deren offener Akustik gelangen die Momente des Abschieds, des Leids und der Selbstbesinnung stärker als die Sprache der Leidenschaft. Die Vorbereitung zum Konzert in der akustisch hervorragenden St. Marienkirche war für das A-cappella-Ensemble Sjaella keineswegs ganz einfach, weil von Heinrich Schütz keine Kompositionen für sechs Frauenstimmen bekannt sind. So bleiben die Beiträge von Schütz und seines Zeitgenossen Melchior Franck, der Verse aus dem Hohelied Salomons vertonte, in der Minderzahl. Die sechs Frauen befinden sich derzeit im Zenit einer mit beträchtlicher Stoßkraft in Gang gekommenen Karriere.

Bemerkenswert zeitgemäß

Sie sind jung, souverän, virtuos und nachdenklich. Sie beherrschen den verbindlichen Ton, mit dem sie in Ansagen die Herzen ihres Publikums im Sturm nehmen, aber auch die performative Allüre. In ihr Programm setzen sie bemerkenswert Zeitgemäßes. Die laszive, ironische Darstellung der vier Wochen eines Menstruationszyklus liefert Sjaella im selbstverfassten und längsten Stück des Abends. Die Frauen greifen auch zu Instrumenten und begleiten sich mit feinen sphärischen Klängen. Das 2014 uraufgeführte Stück „just“ von David Lang bezieht sich ebenfalls auf das Hohelied Salomons und ist eine trockene Hymne – fast minimalistisch und fast litaneiartig.

Sjaella steht hier für ein selbstbewusstes Frauenbild, das auf extrovertierte Parolen verzichtet. Aus der Zusammenarbeit mit dem Leipziger Ballett an „Giselle“ brachten sie ein Zusatzstück von Laura Marconi. Melodisch, erotisch akzentuiert und dabei schwelgerisch klingt „Lotus“ und endet mit einer rhythmischen, fast harmonischen Artikulation von Wut. Am Ende verbeugt Sjaella sich mehrfach und verlässt das Hauptschiff ohne Zugabe. Die Sprünge von der Schütz-Zeit in eine durchaus unterleibsbewusste Gegenwart vollzogen sich mit sinnlicher Unterhaltungsenergie.