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Wiederentdeckt Naturphilosoph Henrik Steffens: Als Halle noch romantisch war

Wiederentdeckt: ein Buch über die halleschen Jahre des Naturphilosophen Henrik Steffens samt einer Antwort auf die Frage, warum es in Halle keine Bergakademie gibt.

Von Uta Baier Aktualisiert: 11.08.2024, 15:39
Ertragreiche Jahre in Halle: Denkmal für den Naturphilosophen Henrik Steffens im norwegischen Stavanger.
Ertragreiche Jahre in Halle: Denkmal für den Naturphilosophen Henrik Steffens im norwegischen Stavanger. (Foto: Imago)

Halle/MZ - Zwei glückliche Jahre in Halle formten den aus Norwegen stammenden Wissenschaftler Henrik Steffens (1773-1845). In vier unglücklichen Halle-Jahren schrieb er bis heute rezipierte Texte.

Trotzdem ist der Wissenschaftler in Halle weitgehend vergessen. Bekannt ist sein Freund Friedrich Schleiermacher, im Gedächtnis der Stadt sein Schwiegervater, der Komponist Johann Friedrich Reichardt.

Wenn sich jetzt Band 72 der „Halleschen Beiträge zur Europäischen Aufklärung“ mit „Henrik Steffens und Halle um 1800“ beschäftigt, kommt das daher einer Wiederentdeckung des bedeutenden und einflussreichen Wissenschaftlers gleich. Denn der Geologe Steffens interessierte sich auch für Chemie und chemische Analysen von Mineralien und verstand die Geologie als historische Wissenschaft. Das Nachdenken darüber führte ihn ganz selbstverständlich zu einem neuen Naturverständnis, wie es auch die Frühromantik zu formulieren versuchte. Doch Henrik Steffens war nicht nur ein wichtiger Vertreter der romantischen Naturphilosophie, er war auch ein Vordenker einer modernen Universität.

Nahezu vergessen in Halle

All das reichte für eine Ehrung mit einem Straßennamen im Paulusviertel, aber nicht für anhaltenden Nachruhm. „Steffens’ Name ist heute freilich auch den sogenannten Gebildeten nicht mehr geläufig, obwohl er zu den wissenschaftlich profiliertesten Protagonisten des romantischen Aufbruchs um 1800 sowie der idealistisch-patriotischen Neugründung der preußischen Universitäten im Zusammenhang mit der Erhebung gegen die französische Besatzung gehört“, schreibt der hallesche Literaturprofessor Daniel Fulda im aktuellen Forschungsband.

Nach diesem Befund hätte man eine allgemeine Einführung in Leben und Werk erwartet. Die liefert der Band leider nicht. Trotzdem ist das Buch eine in weiten Teilen gut lesbare Beschäftigung mit dem Denken und Leben von Steffens in seinen halleschen Jahren.

Universität wurde geschlossen

Die begannen 1804 mit der Berufung zum Professor für Naturphilosophie, Physiologie und Mineralogie an die damalige Friedrichs-Universität Halle. Es folgten zwei intensive Jahre, die mit dem Aufblühen der Universität als geistigem Zentrum der Stadt zusammenfielen. Diese Zeit endete mit der Besetzung durch napoleonische Truppen 1806. Die Universität wurde geschlossen, Studenten und Professoren verließen die Stadt. Damit war auch der intensive intellektuelle Austausch in privater „romantischer Geselligkeit“ vorbei. Ausführlich beschreibt Jessika Piechocki in ihrem Beitrag diese Salonkultur, die es in Reichardts Garten ebenso gab wie bei der überaus geschätzten „Montagsgesellschaft“ im Haus von August und Agnes Niemeyer am Großen Berlin. Und auch Henrik Steffens und Friedrich Schleiermacher luden Kollegen und Studenten zu Tischgesellschaften ein.

Versuch einer Akademie

Als Steffens 1808 nach Halle zurück kam, war die Universität nur ein Schatten ihrer selbst. Von einst 1.100 Studenten waren noch 174 eingeschrieben. Steffens versuchte, sich mit der Einrichtung einer Bergakademie an der Universität erneut zu etablieren. Detailreich breitet Marit Bergner die Pläne, die Bittschreiben, die Stellungnahmen vor dem Leser aus, um dann die entscheidende Frage zu stellen: „Wann wurde die Bergakademie in Halle offiziell eröffnet? Die Antwort ist: gar nicht.“

Warum? Das weiß die Wissenschaft auch nach breitem Quellenstudium nicht so genau. Wahrscheinlich waren es schnöde Geldprobleme der Universität, die die Etablierung des Instituts verhinderten. Für Steffens war das Scheitern der Pläne nicht mehr wichtig, er folgte einem Ruf an die Universität Breslau, wo er 20 Jahre blieb, bevor er Professor in Berlin wurde.

Auch wenn die hallesche Periode im Leben von Henrik Steffens vergleichsweise kurz war, so war sie doch überaus prägend und ertragreich. Insbesondere seine Schrift „Ueber die Idee der Universitäten“ ist bis heute aktuell, urteilen Marit Bergner und Bernd Henningsen, die an der Humboldt-Universität Berlin über Steffens forschen. Ebenso wie seine Naturphilosophie, die für eine Einheit des Denkens und des Seins und für die Einheit von Natur und Kultur warb. Henningsen hält sie für einen der wichtigsten Gründe für die Wiederentdeckung.

Die Farben in der Natur

Der Band schließt mit der Edition der Akte zu den Bergakademie-Plänen und einem Wiederabdruck von Steffens’ naturwissenschaftlicher Schrift „Über die Bedeutung der Farben in der Natur“. Die Originaltexte geben einen guten Einblick in die damaligen Verhältnisse und runden die Forschung über einen Wissenschaftler ab, an dessen Beispiel sich viel über Halle und die halleschen Geistes-, Wissenschafts- und Universitätsgeschichte um 1800 lernen lässt.Henrik Steffens und Halle um 1800: Hg. von Marit Bergner, Marie-Theres Federhofer, Bernd Henningsen, Bd. 72 der Halleschen Beiträge zur Europäischen Aufklärung, Verlag De Gruyter, 251 Seiten, 99,95 Euro