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Premieren am Anhaltischen Theater Dessau Hommage an eine Diva

Gelungener Spielzeitauftakt am Anhaltischen Theater Dessau: Premieren für das ambitionierte Moderne-Doppel „Höhere Gewalt“ und die Callas-Homage „Meisterklasse“

Von Joachim Lange 15.09.2024, 20:00
Mit bestechender Klarheit steuert Bogna Bernagiewicz in „Höhere Gewalt“ am Anhaltischen Theater Dessau den Sopranpart bei.
Mit bestechender Klarheit steuert Bogna Bernagiewicz in „Höhere Gewalt“ am Anhaltischen Theater Dessau den Sopranpart bei. (Foto: Robert Boehnèl)

Dessau/MZ - Hausherr Johannes Wiegand hat für den Spielzeitauftakt unter dem Titel „Höhere Gewalt“ ein ambitioniertes einstündiges Moderne-Doppel in der Studiobühne im Alten Schauspiel vor Terrance McNallys Maria Callas-Hommage „Meisterklasse“ tagsdrauf im Großen Haus gesetzt.

Gute Kunst ist immer irgendwie politisch, auch wenn das im Mythos oder im Privaten verborgen ist. Bei vielen Werken der avancierten Nachkriegs-Moderne steht das Politische aber direkt oben drüber. Wenn es um so herausragende Neue-Musik-Protagonisten wie Luigi Nono (1924–1990) und Mauricio Kagel (1931–2008) geht, erschließt sich auch die Kunst in der Botschaft; wenn nicht auf Anhieb, so doch auf den zweiten Blick.

Das einstündige Doppel lassen Maurice Böhlke (Regie), Marc Feldmann (Bühne), Andrea Schütte (Kostüme) und Robert Boehnèl (Video) als ein Ganzes ineinander übergehen. Es beginnt mit Nonos gerade mal 17minütigem Stück „La Fabbrica Illuminata“ aus dem Jahre 1964. Es ist eine für den Italiener typische Collage aus Textbruchstücken – und Musik. Hier für Sopran und Vorproduziertem vom Tonband (musikalische Einstudierung: Paul Drouet). Den Sopranpart steuert mit bestechender Klarheit Bogna Bernagiewicz als unzufrieden aufbegehrende Arbeiterin bei.

Populistische Worthülsen

Auf zwei Videowänden werden entscheidende Textpassagen auch in deutsch, als Teil einer Bildermelange mit Arbeitsweltatmosphäre, eingeblendet. Die Frau holt dann einen Mann aus dem Publikum auf eine Stuhlapparatur im Zentrum der kleinen Spielfläche. Michael Tews entpuppt sich alsbald mit den Worten von Kagels „Tribun“ als populistischer Worthülsen-Produzent, dem es vor allem um die eigene Macht geht. Der Sound der Worte wird ab und zu von verfremdeten Marschmusikeinspielungen unterbrochen beziehungsweise karikiert. Das klingt wie ein Vorläufer von Elfriede Jelineks Spracherkundungen, auf jeden Fall aber erstaunlich aktuell.

Auf das besondere, ambitionierte Musiktheater folgte im Großen Haus als aparter Gegensatz das von Weigand inszenierte intime Schauspiel über die große Oper. Maria Callas (1923–1977) lebt ihr eigenes Nachleben als unerreichte Referenzgröße für jede Sopranistin, die sich an „deren“ Bellini-, Verdi- oder Puccini-Rollen wagt. Aber auch als glamouröse und zugleich tragische Diva. Erfolgsautor Terrence McNally (1938–2020) nähert sich der Callas in seinem Erfolgsstück „Meisterklasse“ (1995) vom Ende ihrer Karriere. 1971/72 hatte die Diva zur Fortbildung junger Sänger an der New Yorker Juillard School tatsächlich mehr als 20 Meisterkurse abgehalten. Im Stück erleben wir eine Meisterklasse mit, in der die Callas sich drei „Opfer“ vornimmt. Das mit dem Opfer sei ein Scherz, sagt sie immer gleich dazu, als ob der ironiefreie Korrektheitsterror von heute schon damals geherrscht hätte.

Großartige  Primadonna: Claudia Lietz (links),  beim Singen angeleitet von Annika Boos, in „Meisterklasse“ am Anhaltischen Theater Dessau.
Großartige Primadonna: Claudia Lietz (links), beim Singen angeleitet von Annika Boos, in „Meisterklasse“ am Anhaltischen Theater Dessau.
(Foto: Claudia Heysel)

Es sind zwei junge Sopranistinnen und ein Tenor. Den Pianisten (Alexander Koryakin) nimmt sie als unumgänglichen Verbündeten. Einen Bühnenarbeiter, der ihr Wasser, Fußbank und ein Kissen bringt und wieder geht, wird ihr zum Beispiel für jemanden, den das alles nicht interessiert. Die Diva dosiert diese kleinen Marotten und Überheblichkeiten immer so, dass es die Sympathie, die man für sie empfindet, nie wirklich beeinträchtigt.

In dem ganzen Stück geht es natürlich – entgegen der Behauptung der Protagonistin – vor allem um sie selbst. Und um die beziehungsweise um ihre Kunst. Wenn sie versucht, dem Nachwuchs klarzumachen, worum es wirklich geht und wie man das umsetzt, dann wird der Abend, den Weigand zweckmäßig knapp (ein Piano, zwei Pulte im Probenraum) auch ausgestattet hat, gleich zur Meisterklasse für die Zuschauer.

Claudia Lietz ist in der Rolle der Primadonna Assoluta großartig, kommt ohne Imitation aus. Weigand lässt sie nur einmal ein paar Töne ansingen. Ansonsten aber werden Originalaufnahmen mit Paraderollen der Callas dezent aus dem Off eingespielt, während Lietz in einem Lichtspott ihren Erinnerungen nachhängt. An ihre Triumphe an der Scala, an die Beziehung zum griechischen Reeder Aristoteles Onassis.

Kapriziöse Diva

Es versteht sich von selbst, dass neben Lietz als kapriziöser Diva auch die beiden jungen Sopranistinnen Therese Zschunke als Sophie De Palma und Annika Boos als Sharon Graham, die das Klischee der übereifrigen Wir-wollen-werden-wie-Sie-Elevinnen ausspielen, dem Komödienaffen Zucker und der Callas immer wieder Steilvorlagen zum Eingreifen und Korrigieren geben. Einmal ist sie berührt: wenn Tenor Costa Latsos als Anthony Candolino den Sehnsuchtston von Mario Cavaradossi trifft. Und später, als Sharon ihr entgegen schleudert, sie sei nur neidisch, weil sie ihre Stimme verloren habe. Lietz freilich hat ihre Callas nicht nur als Figur einer erinnerten Vergangenheit, sondern auch als eine unter Schmerzen reflektierten Gegenwart bis dahin so ausgefüllt, dass diese Attacke auf ihre Urheberin zurückfällt.