Zum Tod der Büchner-Preisträgerin Elke Erb Halle verließ sie wie ein „brennendes Haus“
Die in Halle aufgewachsene Schriftstellerin Elke Erb war eine der eigenmächtigsten Stimmen der deutschsprachigen Lyrik. Mit 85 Jahren ist die Büchner-Preisträgerin gestorben.
Halle/MZ. - Sie war, gemessen am Grad der Verehrung, die ihr bis zuletzt entgegengebracht wurde, die Königin unter den ostdeutschen Dichtern. Zwar eine Königin ohne Volk, denn eine populäre Autorin ist Elke Erb nie gewesen. Keine Bestsellerautorin. Kein Literaturbetriebsliebling. Das konnte die in Halle aufgewachsene Schriftstellerin aufgrund ihrer entschieden experimentierfreudigen Schreibart auch gar nicht sein. Aber sie scharte, auch wenn sie das Königinnen-Bild als hierarchisches Denken verworfen hätte, eine Art literarischen Hof um sich, der sich immer wieder erneuerte. Der wurde, je älter die DDR war, immer jünger.
Raus aus Zaum und Zügel
Die Avantgarde-Kurve der DDR-Literatur gehörte dazu, die sogenannten Prenzlauer-Berg-Dichter. Bert Papenfuß-Gorek, Sascha Anderson, Stefan Döring, Uwe Kolbe. Sie alle lasen Elke Erb, suchten ihren Zuspruch, schauten zu ihr auf, der um etwa 20 Jahre Älteren. Nicht jedem Kollegen gefiel das. Volker Braun etwa nannte sie 1985 „die Erbin“, belächelte sie öffentlich als „unsere Flip-Out-Elke“, die sich der opponierenden Generation andiene, jenen Autoren, die von der offiziellen Sprache nichts mehr hören und von der offiziösen Lyrik nichts mehr lesen wollten. Außer eben von dieser: Elke Erb, Jahrgang 1938, die aber nie eine „DDR-Schriftstellerin“ war.
Die 1985 von ihr gemeinsam mit Sascha Anderson im Westen veröffentlichte, längst legendäre Lyrikanthologie „Berührung ist nur eine Randerscheinung“ war nicht nur eine künstlerische, sondern auch eine literaturpolitische Befreiungstat. Das Buch sammelte jüngere ostdeutsche Stimmen, die Braun als „unsere vermeintlichen Neutöner“ abtat, „wohl gute Anschaffer, die fleißig auf den Putz hauen. Hucker, nicht Maurer.“ Über Brauns Attacke konnte Elke Erb nur lachen. Er hätte es damals eben nicht überblickt, sagte sie 1998 im Gespräch mit der MZ: „Nur gesehen, da läuft jemand aus dem Zaumzeug raus.“
Raus aus Zaum und Zügel, das war die Richtung von Elke Erb: im Leben wie in der Literatur. Geboren in der Eifel, wuchs sie mit zwei Schwestern seit 1949 in Halle am am Rand des Paulusviertels auf als Tochter des marxistischen Literaturwissenschaftlers Ewald Erb. Francke-Oberschule, dann Pädagogikstudium Deutsch und Geschichte. In die Ausbildung an der Universität Halle wurde sie von ihrem Vater genötigt, für sie eine „Schreckensvorstellung“. Eine Schwester der Schriftstellerin war die früh oppositionelle, 1957 in den Westen geflohene Autorin und Übersetzerin Ute Erb, die dort 1960, gerade 20-jährig, ihre halleschen Jugenderinnerungen veröffentlichte unter dem Titel „Die Kette an deinem Hals – Aufzeichnungen eines zornigen jungen Mädchens aus Mitteldeutschland“.
„Thronende Unterlegenheit“
Elke Erb hingegen war im Osten geblieben. Nach dem Studium geriet sie 1963 als Lyrik-Lektorin in den Mitteldeutschen Verlag in Halle, ein Schritt, den sie schnell bereute. Nach dem ersten Jahr kam sie in die Nervenklinik, nach dem zweiten auch, dann kündigte sie. Was sie gestört hatte? „Das Sinnlose“, sagte Elke Erb. „Ich wollte eigentlich leben – und dann haben die solche unsinnigen Manuskripte gedruckt. Es war ein Parteiverlag.“ Immerhin lernte sie Adolf Endler kennen, ihren späteren Ehemann und Vater des gemeinsamen, 1971 geborenen Sohnes Konrad, und eine Kollegin wie Sarah Kirsch. Der Stadt Halle, die sie in dem Foto-Text-Band „Diva in Grau“ beschrieb, attestierte Elke Erb „thronende Unterlegenheit“, eine seinerzeit wie auf Dauer gestellte murmelnde Herrschaft von Klage und Selbstbeschränkung. Das erste, was die Berufseinsteigerin im Verlag zu hören bekam, war das: „Schlag keine Wellen!“
1965 verließ Elke Erb Halle wie ein „brennendes Haus“ nach Berlin, wo sie in den 1990er Jahren im Stadtbezirk Wedding lebte. „Die Logik ist die, dass du rausgehst“, erklärte sie den Schritt 1998, „und nicht, dass du irgendwohin gehst.“
Eine Rettung. Befreundet mit namhaften Autorinnen, zu denen auch Christa Wolf gehörte, ging Elke Erb ihren Weg, der sie neben Friederike Mayröcker und Sarah Kirsch zu einer der bedeutendsten deutschsprachigen Dichterinnen ihrer Zeit machte, von der Stasi 1981 als Operativer Vorgang „Hydra“ erfasst. Auch wenn dieser ihr Dichten kaum verstehen konnte, begriff der Geheimdienst doch, dass das, was da notierte wurde, politisch nicht passte – eine Literatur, die jegliches „Gesellschaftstheater“, wie Elke Erb es nannte, ablehnte. Die Herrschaft unterwanderte, keiner „von irgendeiner Aufklärung entliehenen Direktive“ folgte. Keine Unterhaltungsliteratur, sondern eine Literatur, die ihr Entstehen selbst thematisierte, sogar kommentierte. „Lyrik“, sagte Elke Erb, „ist arbeitendes Bewusstsein.“ Dieses Arbeiten abzubilden, darum ging es ihr in ihren immer mehr notathaften Texten: in Assoziationen, Einfällen, Zitaten, Reflexionen. Ihre Bücher tragen Titel wie „Der Faden der Geduld“, „Winkelzüge“ oder „Vexierbild“, Namen mit Programm – alles „prozessuale Texte in einer der Lyrik verwandten Form“, wie sie sagte.
Nur noch Schönes sehen
In Bewegung bleiben, das sei das A und O, sagte die Dichterin, die 2020 – spät, aber doch – mit dem Büchner-Preis geehrt wurde für ihr Können, „die Freiheit und Wendigkeit der Gedanken in der Sprache zu verwirklichen“.
Eine Freiheit, die sie jung hielt. „In der Erinnerung habe ich hauptsächlich ein Lachen“, sagte sie 1998 der MZ. Ein „Selbstzusicherungslachen“. Ein Selbstheilungslachen. „Ich fasse die Dinge auf, als wenn ich nie erwachsen geworden wäre“, erklärte sie später. „Ich sehe nur noch Schönes, das kommt aus der Arbeit“. Wie der Suhrkamp-Verlag mitteilte, ist Elke Erb am Montagabend im Berliner St. Hedwigskrankenhaus gestorben. Sie wurde 85 Jahre alt.