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Anhaltische Gemäldegalerie zeigt „Kindsköpfe“ Die Prinzen-Rolle

Mit Trommel und Peitsche, mit Hund und Pferd: Die Anhaltische Gemäldegalerie in Dessau-Roßlau zeigt gemalte „Kindsköpfe“ vom Barock bis zur Romantik.

Von Christian Eger 25.10.2024, 17:10
Anthonis van Dyck: Prinz Wilhelm II. von Oranien-Nassau, um 1631 (Ausschnitt des Gemäldes)
Anthonis van Dyck: Prinz Wilhelm II. von Oranien-Nassau, um 1631 (Ausschnitt des Gemäldes) (Foto: Kulturstiftung Dessau-Wörlitz)TZ/SCHLOSS MOSIGKAU

DESSAU-ROSSLAU/MZ. - Da steht der Prinz. Ein Oranier, ganz in Orange gekleidet. Von der mit Spitze belegten Schulter hinab bis über die Füße ist das Kind in ein altgolden glänzendes Samtkleid gehüllt. Deutlich ein Mensch, der für herrschaftliche Aufgaben vorgesehen ist: Wilhelm II. von Oranien-Nassau, der künftige Statthalter der Niederlande, gemalt um 1631 im Alter von etwa fünf Jahren.

Auch wenn diesem Kind die Welt noch neu ist, hat es bereits zu zeigen, wo es langgeht. Der Hund auf dem Bild weiß, wem die Wegweisung der rechten Hand gilt. Für den Betrachter ist das unwichtig. Nur die Geste zählt, die Prinzen-Rolle, in die das Kind sich einübt.

Anthonis van Dycks Prinzenbildnis ist eines der prominentesten Gemälde der Dessau-Wörlitzer Kunstlandschaft. Ein Werk, das zur Sammlung des Schlosses Mosigkau gehört. Jetzt ist es auf eine kleine Reise gegangen. Es ist das Bild, das in der Ausstellung „Kindsköpfe“ der Anhaltischen Gemäldegalerie als erstes in den Blick gerät.

Verzwergte Erwachsene

Das ist eine gute Wahl: sachlich und historisch. Sachlich, weil es vieldeutig das Thema eröffnet, der sich die von Galeriedirektor Ruben Rebmann kuratierte Ausstellung widmet, die „Kinderporträts vom Barock bis zur Romantik“ präsentiert. Historisch, weil dieses Porträt eines Vorfahren der nach Dessau verheirateten Fürstin Henriette Katharina direkt nach Anhalt führt.

Mehr als 30 qualitätvolle Gemälde der Jahre zwischen 1600 und 1830 zeigt die Schau in vier Räumen, deren Anlass sich der 250 Jahr-Feier der Gründung der Reformschule Philanthropinum in Dessau verdankt. Die rousseauistische Idee vom Kind als einem noch unverdorben „natürlichen“ Menschen begeisterte auch die Philanthropisten. Und nicht nur die. Das Kind nicht mehr als einen jungen Erwachsenen, sondern als ein eigenständiges Wesen zu begreifen, darum ging es von den 1770er Jahren an für einige Jahrzehnte in Kunst und Gesellschaft.

Die Ausstellung rahmt dieses Zeitfenster in ein Woher und Wohin. Das Woher zeigt das zu einem kleinen Erwachsenen verzwergte Kind in der Abteilung „Das präsentierte Kind“ der Jahre 1600 bis 1670. Die Zöglinge des Adels und der nichtadligen Oberschicht werden hier wie Schaustücke „präsentiert“. Großartig die Menschenpuppen-haften Porträts prinzlicher Kinder der Familie Anhalt-Bernburg, opulent Honthorsts Gruppenbild der in freier Jagdlandschaft ausgestellten Kinder des Friedrich von Oranien-Nassau, das Fürst Franz in seinem Wohntempel im Sieglitzer Park aufbewahrte.

Dem „höfischen Kind“ gilt die zweite Abteilung, die unter anderem Kinder- und Jugendporträts des Fürsten Leopold von Anhalt-Dessau, des Prinzen Albert (Lisiewski) und Carl Augusts von Weimar (Ziesenis) zeigt. Bilder, zu denen oft eine Peitsche oder ein Hund gehörten: Wer herrschen will, muss Gehorsam lernen und lehren. Diese Haltung rückt in der Abteilung „Das natürliche Kind“ in den Hintergrund, das die Jahre 1770 bis 1800 zeigt. Inszenierte Natürlichkeit, inszenierte Verspieltheit teilt sich in den Bildern des Dessauer Hofmalers Johann Friedrich August Tischbein mit. Aber auch Bildung, die Christian Leberecht Vogel vorführt, der zwei Kinder zeigt, die in einem „elementaren“ Bilderbuch blättern, wie es in Dessau hergestellt wurde.

Die herrschenden Milieus

Schließlich das „verklärte“ – also romantische – Kind von 1800 bis 1830. Eine Epoche, die die Kindheit symbolisch aufwertet, ja schon aufkitscht. Noch skeptisch in Philipp Otto Runges Bild der Luise Perthes, die auf einem Stuhl am Fenster steht. Sakralisiert in Friedrich Wilhelm von Schadows Porträt der Schöning-Kinder.

Durchweg sind es „Kindsköpfe“ der herrschenden Milieus, die zu sehen sind, der „gesitteten Stände“, wie es hieß. Der „große Haufen“, die Unterschicht, bleibt unsichtbar. Bilder von Dessauer Bettlerkindern, wie sie Ludwig Buchhorn in den 1790er Jahren fertigte, waren 2021 im Gleimhaus zu sehen.

Die Gemäldegalerie zeigt das andere Milieu, jenes, das sich in eigenem Auftrag malen ließ. Der Verzicht auf vordergründige Herrschafts-Attribute, das belegt die Schau, blieb dabei eine Mode auf Zeit. Das selbstverständliche Vorzeigen von Hund und Pferd, Peitsche und Trommel schwächte sich zwar um 1770 ab, um sich dann aber wieder selbstverständlich ins Bild zu drängen. Die Prinzen-Rolle – ganz verschwunden ist sie nie. Das Bild vom Kind, das nur ein Kind ist, blieb noch ein Traum.

Bis 1. Dezember: Anhaltische Gemäldegalerie, Dessau-Roßlau, Puschkinallee 100, Mi-So 10-18 Uhr, Mi Eintritt frei. Katalog, 160 Seiten, 32 Euro.