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Bauernkriegs-Gedenken Bundesstart in Eisleben: Die Welt vor 500 Jahren

Mit der Landesausstellung „1525! – Aufstand für Gerechtigkeyt“ in Eisleben läutet Sachsen-Anhalt das bundesweite Gedenken an Thomas Müntzer und den Bauernkrieg ein.

Von Kai Agthe 04.06.2024, 15:53
Reiner Haseloff (l.) und Claudia Roth (2. v. r.) machen mit: Das Zentrum der Ausstellung ist ein begehbares Spiel.
Reiner Haseloff (l.) und Claudia Roth (2. v. r.) machen mit: Das Zentrum der Ausstellung ist ein begehbares Spiel. (Foto: dpa)

Eisleben/MZ. - Wenn das Martin Luther wüsste! Dass in seinem Sterbehaus in Eisleben an Thomas Müntzer und den Bauernkrieg erinnert wird. Die beiden Theologen, die anfangs ein herzliches Verhältnis verband, wurden vor 500 Jahren wegen ihrer gegenteiligen Positionen zu den Bauernunruhen der Jahre 1524/25 zu erbitterten Feinden. Während Müntzer (1489-1525) zur Stimme der radikalen Aufständischen im mitteldeutschen Raum wurde, war Luther (1483-1546) ein erklärter Gegner der militanten Bauernproteste. Müntzer nannte Luther deshalb etwa „Doktor Lügner“ und „Bruder Mastschwein“, derweil der Wittenberger Müntzer als „leibhaftigen Teufel“ und „beschissenen Propheten“ bezeichnete.

Das Ende ist bekannt: In Mitteldeutschland wurde die militärisch ungeschulte Bauernschar im Mai 1525 von einem Fürstenheer bei Bad Frankenhausen in Thüringen vernichtend geschlagen. Müntzer wurde hingerichtet, Luther triumphierte. Freilich zu dem Preis, dass er sich gefallen lassen musste, von seinen Verächtern als „Fürstenknecht“ bezeichnet zu werden – obwohl er nur wenige Jahre zuvor ein Stichwortgeber für die Bauern war, als er in der Schrift „Von der Freiheit eines Christenmenschen“ (1520) festhielt: „Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemand untertan.“

Angebote mit Pfiff

In Eisleben finden beide Widersacher nun zusammen. In der Ausstellung „1525! – Aufstand für Gerechtigkeyt“, mit der das Land Sachsen-Anhalt das bundesweite Gedenken an Müntzer und den Bauernkrieg einläutet. Gestaltet hat man in der Lutherstadt „eine Mitmachausstellung, die sich auch und vor allem an Kinder und Jugendliche richtet“, wie Thomas T. Müller, der Direktor der Stiftung Luthergedenkstätten in Sachsen-Anhalt, sagte. Eine Schau, die „spielerische Angebote mit Pfiff präsentiert“, wie Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) zur Eröffnung am Donnerstagabend befand. Eine Präsentation, von der sich Claudia Roth (Grüne), die aus Berlin angereiste Staatsministerin für Kultur und Medien, nach einem Rundgang wünschte, „dass man sie künftig als Wanderausstellung in der ganzen Republik zeigen möge“.

Roth erinnerte auch daran, dass der Bund für das Bauernkriegsgedenken in der Bundesrepublik 15 Millionen Euro für 14 Projekte in Sachsen-Anhalt, Thüringen, Baden-Württemberg und Bayern zur Verfügung stellt. Die Schau in Eisleben wird allein mit 570.000 Euro gefördert. Roth dankte auch Katrin Budde (SPD) aus Magdeburg – der Vorsitzenden des Ausschusses für Kultur und Medien des Deutschen Bundestages – mehrfach dafür, dass sie in den vergangenen Jahren „mit nicht nachlassender Energie die Abgeordneten des Parlaments auf die Bedeutung Müntzers und des Bauernkrieges für die deutsche Demokratiegeschichte hingewiesen“ und so dafür gesorgt habe, dass das 500-jährige Gedenken finanziell komfortabel ausgestattet werden konnte.

Was aber ist in Luthers Sterbehaus zu erleben? Eine interaktive Ausstellung, die im Kern ein begehbares, dreidimensionales Spielfeld in historischer Kulisse ist, wo man in die Welt zur Zeit des Bauernkrieges eintauchen kann. Per Zufallsprinzip wird den Besuchern eine Person zugeordnet, aus deren Sicht und Lebenssituation man die Welt vor einem halben Jahrtausend erleben kann. Es sind insgesamt fünf historisch verbürgte Figuren, die die Stände der Gesellschaft des 16. Jahrhunderts repräsentieren: Graf Albrecht von Mansfeld, Bürgerin Elsa Knauth, Ziegelbrenner Paul Schramm, Äbtissin Sophia von Schafstedt und Amtmann Hans Zeiß.

Müntzer und die DDR

Auch in Luthers Elternhaus im benachbarten Mansfeld wird mit einer Schau die Welt des 16. Jahrhunderts greifbar. In überdimensionalen Comics und interaktiven Mitmachstationen etwa werde die Lebensrealität der Bauernkriegszeit auch für jüngere Besucher greifbar, sagte Mirko Gutjahr, der Leiter der Luthermuseen in Eisleben und Mansfeld und Projektleiter beider Ausstellungen.

Ergänzt wird die Ausstellung in Luthers Sterbehaus in Eisleben von einem spannenden Blick in die Rezeptionsgeschichte zu Thomas Müntzer. Wenig überraschend haben die Diktaturen des 20. Jahrhunderts den Bauernführer mit „Er ist unser“-Attitüde aufs Schild gehoben. So warb ein Plakat in der Sowjetischen Besatzungszone für die Bodenreform mit dem sperrigen Zweizeiler: „Was 1525 endete in Blut und Verrat / ward 1945 vollendete Tat“. Ebenfalls in dem Bestreben, Müntzer zum Vorkämpfer für die Sache und den Sieg der Arbeiter- und Bauernmacht zu machen, entstand 1956 in der Regie von Martin Hellberg der Defa-Streifen „Thomas Müntzer – Ein Film deutscher Geschichte“, in dem 200 Schauspieler und 2.000 Komparsen auftraten. Aber einer fehlte hier: Luther. „Mit dem fremdelte die DDR noch bis 1983“, so Thomas T. Müller. Von der großangelegten Feier des 500. Geburtstages Luthers im Jahr 1983 erhoffte sich der Honecker-Staat dann vor allem, sein ramponiertes Ansehen in der Welt etwas aufpolieren zu können.

So wichtig die Beschäftigung mit Müntzer und dem Bauernkrieg für die Bewusstseinsbildung auch ist, in Sachsen-Anhalt gibt es diesbezüglich noch Nachholbedarf, wie sich zeigte: Nach den Ausführungen des Kurators fragte Reiner Haseloff irritiert nach: „Der Bauernkrieg ist kein Schulstoff in Sachsen-Anhalt?“, was Mirko Gutjahr dem Landesvater bestätigte. „Die Geschichte der Reformation bleibt aber ohne Wissen über den Bauernkrieg unverständlich“, so Haseloff. „Hier muss nachgesteuert werden.“ Deshalb wolle er sich als Ministerpräsident dafür einsetzen, dass der Bauernkrieg und Thomas Müntzer in den Schulen des Landes thematisiert werden.Mehr Informationen unter: www.gerechtigkeyt1525.de