Brigitte Reimann und Günter de Bruyn Brauchen Sie Vorfreude?
Eine literarische Sensation: Erstmals liegen die Briefe vor, die Brigitte Reimann und Günter de Bruyn einander schrieben. Zeugnisse einer Zuneigung – und davon, dass die Autorin zuletzt Trost im Glauben suchte.
Halle/MZ. - War es Liebe? Verliebtheit auf jeden Fall. Von einer „stillen Liebe“ sprach Günter de Bruyn (1926-2020), ausgelöst von einer „Sympathie auf den ersten Blick“ – und einer Zuneigung, die bis zum Tod von Brigitte Reimann (1933-1973) hielt. Auf beiden Seiten.
Dass es zwischen der Schriftstellerin und dem um sieben Jahre älteren Kollegen eine spezielle Verbindung gab, das wissen die Leser der Tagebücher der heute mehr als je zuvor gefeierten Autorin. Mehrfach erwähnt sie den in Berlin und im Brandenburgischen lebenden Autor, „den ich mir zum Freund erwählen würde“, wie sie nach der ersten Begegnung 1965 schrieb.
Was da geschah und wie tief das ging, war bislang unbekannt. Genauso wie die Mitteilungen von de Bruyn, einem der erfolgreichsten und am wenigsten opportunistischen Schriftsteller in der DDR. Letzteres ein Umstand, der die Nähe zu der um Wahrhaftigkeit ringenden Kollegin beförderte, die er zuerst unterschätzt hatte. Als de Bruyn 1974 den „Linkerhand“-Roman der im Jahr zuvor gestorbenen Freundin in der Hand hielt, packte ihn „heulende Wut“.
„Wie wesensverwandt sie mir war“
Weil dieses Buch „so gut ist, so viel besser als alles, was sie vorher gemacht hat – und das erlebt sie nicht mehr!“, notierte der Autor von Erfolgsromanen wie „Buridans Esel“ und „Preisverleihung“. „Ständig das Gefühl, ihr schreiben zu müssen. Ständig auch das Gefühl, sie unterschätzt zu haben. Wie wesensverwandt sie mir war, in ihrer Sentimentalität, die hier gebändigt ist.“ Und: „Wie wäre sie gewachsen an diesem Erfolg! Ich müßte unbedingt aufschreiben: meine Begegnungen mit ihr…“
Dazu kam es nie. Bis zuletzt weigerte sich de Bruyn, seine Erinnerungen an die Freundin zu veröffentlichen. Dass Reimanns Briefe im Nachlass zugänglich waren, war ihm ein Graus. „Entsetzlicher Gedanke“, dass dort „meine letzten Zeilen“ einsehbar sind, die er kurz vor ihrem Tod an Brigitte Reimann schrieb. „Man müßte für alle Fälle Vorkehrungen treffen, daß nicht mal meine Post fremden Leuten unter die Augen kommt.“
Im Fall von Brigitte Reimann ist das nicht gelungen. Herausgegeben von der Berliner Literaturwissenschaftlerin Carola Wiemers, liegen jetzt die Briefe zwischen Reimann und de Bruyn vor, versehen mit Einleitung, Nachwort und Kommentar. Es ist ein schmales Buch – 112 Seiten, 27 Dokumente –, aber eine kleine Sensation – in dreifacher Hinsicht. Erstens, weil endlich das Verhältnis de Bruyn-Reimann entschleiert werden kann. Weil, zweitens, die Bruyn-Erben die Briefe freigaben. Und, drittens, weil erstmals aus den de Bruyn-Tagebüchern zitiert wird, die noch verschlossen sind.
Verlegene Geständnisse
Es war de Bruyn, der die Nähe zur Kollegin suchte: 1965 bei der Verleihung des Heinrich-Mann-Preises an Reimann. Dass er „einen vorzüglichen Eindruck“ machte, notiert sie, „ein stiller, blonder, ziemlich häßlicher Mensch, sehr schüchtern. Wir hatten ein friedliches Gespräch und schnell Sympathie füreinander.“
Kurz darauf die Begegnung in einem Berliner Klub. „War ich aufgeregt? Ich weiß nicht mehr genau“, schreibt die Autorin. „Warum bin ich so gereizt, wenn ich Zuneigung oder Verliebtheit wittere? Dabei sprachen wir eine Stunde lang ganz vertraut, obgleich noch schüchtern, er lispelnd vor Befangenheit, ich wahrscheinlich auch verlegen, errötend über die ,schöne Frau’, über die Geständnisse.“
Für Brigitte Reimann beginnt das „große Abenteuer, einen Menschen kennenzulernen – und ein Glücksfall“. Ein Austausch über das Schreiben, Lesen, Leben, gemeinsame Besuche im Zuge von Lesungen, Arbeitsterminen und – bei der Reimann – Krankenhausaufenthalten. „Brauchen Sie das auch, Vorfreude?“, schreibt sie 1970 aus der Klinik Mahlow. „Auf einen Besuch oder auf irgendwelche spitzwegischen Junggesellen-Genüsse: eine Schachpartie, ein Buch, Schallplattenkonzerte, ein paar Wodka, etwas Luxuriöses zum Abendbrot“? Also die „Bestätigung einer privaten Freiheit“.
Trost im Glauben
Ein Kontakt mit Zukunft. „Habe ich Ihnen nie geschildert, wie ich mir unsere Begegnungen in 20 oder 30 Jahren vorstelle?“, meldet Reimann 1970. „Immer noch die Begegnung mit einer Möglichkeit … aber wir werden dann grau und gebrechlich sein, höflich und ein bißchen verlegen, weise und ordenbedeckt (aber ob das letzte wünschenswert ist, weiß ich nicht).“ Unter der allgemeinen Reimann-Verklärung nach 1993 hat Günter de Bruyn gelitten. Und unter dem Reimann-Film von 2004 mit Martina Gedek. „Der Film folgt ganz dem Fernsehfilmklischee der selbstbewußten jungen Frau. Dazu das Chr(ista).-W.(olf)-Klischee des begeisterten DDR-Zöglings, der von der Realität enttäuscht wird“, notierte er im Tagebuch. „Zum wahren B.-R.-Bild gehört aber: 1. ihre körperliche Behinderung 2. ihre (sich aus der 1 ergebende) Suche, geliebt zu werden. Um das zu erreichen war sie chamäleonartig. Sie wurde immer zu der Frau, die sie, wie sie meinte, sein müßte, um geliebt zu werden.“
Von diesem Zwang war die Verbindung zu Günter de Bruyn frei. Dass er „stundenlang“ in den Monaten vor ihrem Tod bei ihr gewesen war, notiert er. Und dass „wir“ dabei „viel über ihren wiedergefundenen Glauben gesprochen haben“. Dass die aus einer katholischen Familie stammende Brigitte Reimann, die laut de Bruyn schließlich einen Priester zu sich riefen ließ, „Trost“ im „Glauben“ gefunden haben soll, ist eine echte, wirklich überraschende Neuigkeit.
Ein fertiges Buch ist ein Argument. Brigitte Reimann und Günter de Bruyn in Briefen. Hg. von Carola Wiemers. Quintus Verlag, 112 S,, 20 Euro