Auf Deutschlandtour Bob Dylan: Unsterblichkeit im Blick
Der 83-jährige Rockpoet Bob Dylan ist auf Europatour und startet seine Deutschland-Konzerte am 8. Oktober in der Messehalle Erfurt: Was den Alten so besonders macht.
Halle/MZ. - Die Einschläge kommen näher, sagen manche von den Älteren, wenn wieder ein Mensch gegangen ist, der ihnen nahe stand. Das ist weniger schnoddrig, als es klingt – eher hilflos angesichts des Unabänderlichen. Und man verbeißt sich tapfer die Trauer, obwohl man heulen möchte. So mag es auch Bob Dylan ergangen sein, als er die Nachricht vom Tod seines alten Freundes Kris Kristofferson erhielt.
Der Schauspieler, Sänger, Komponist und Gutmensch, gemeinsam mit Dylan in Sam Peckinpahs grandiosem, melancholischen Spätwestern „Pat Garrett jagt Billy the Kid“ zu sehen, war am 28. September gestorben. Mit 88 Jahren – fünf mehr, als der 1941 geborene Robert Allen Zimmerman alias Bob Dylan auf dem Zettel hat.
Tourstart in Prag
Als Kristofferson starb, hatte Dylan seine US-Termine nach einem Konzert am 17. September in Buffalo im US-Bundesstaat New York gerade hinter sich. Ein Päuschen war angesagt, bevor es in die Alte Welt gehen sollte. Dort, in Prag, beginnt der wohl einflussreichste Popmusiker der vergangenen sechs Jahrzehnte an diesem Freitag seine Europatournee. Und am kommenden Dienstag ist er zum Start der Deutschlandkonzerte in der Messehalle Erfurt zu erleben, bevor es unter anderem nach Berlin weitergeht. Wer den Alten noch nie oder lange nicht mehr live gehört hat – aber auch, wenn du bei fast jedem seiner Konzerte hierzulande gewesen bist –, wer Dylans Geburtsjahr nicht vergisst und zwei mal zwei im Kopf rechnen kann, wird, nein muss sich jetzt eigentlich auf die Socken machen.
In „Pat Garrett jagt Billy the Kid“ spielt Kris Kristofferson einen Gesetzlosen, der eigentlich die Schnauze voll vom Wilden Westen hat und zu müde zum Fliehen ist. Bob Dylan ist als kleiner Cowboy dabei, der „Knockin’ On Heaven’s Door“ näselt – ein Lied, das sich vielleicht als Tribut für den verstobenen Freund auf der Setlist der kommenden Konzerte findet. Oder „Forever Young“? Man weiß es nicht. Dylan lässt sich nicht in die Karten schauen, niemals hat er das zugelassen.
Mysteriöser Unfall
Er tat gut daran. Zu viele Jäger sind unterwegs, mit welch hochmögenden Absichten auch immer. Als sie ihn einmal zu ihrem Messias erklärt hatten, vor einem halben Jahrhundert, erlitt er einen mysteriösen Motorradunfall, Bob Dylan verschwand jahrelang von der Bildfläche. Die später immer noch legendärer gewordene Hippie-Schlammschlacht von Woodstock fand ohne ihn statt.
Als er aus dem Studiokeller seines Hauses zurückkehrte, wo er unter anderem mit Robbie Roberson und The Band gejammt hatte, war er endgültig ein anderer. The Band hatten seinen Übergang vom Folk-Idol zum Rockpoeten begleitet, auch sie blieben Freunde. Aber Robbie Robertson ist wie Kris Kristofferson nicht mehr da, er starb vor einem Jahr in Los Angeles, kurz nach seinem 80. Geburtstag.
Wie Dylan das alles wegsteckt, kann man nur vermuten. Was im Kopf des Dichters, der er ja vor allem ist (und weswegen er zu Recht den Literaturnobelpreis erhielt) vorgeht, kann man nur seinen Liedern entnehmen: Den Texten, der Auswahl von Songs für ein Konzert, der Art, wie er sie dann vorträgt. Niemals singt Dylan ein und dasselbe Stück auf die gleiche Weise. Stets frickelt er daran herum, manchmal erkennt man die Songs fast nicht wieder. Unlängst hat er mit einem Schraubenschlüssel den Takt zu einem Blues auf das Mikrofon geklopft. Und er hatte das bestimmt lange geübt.
Mit seinem zuletzt erschienenen, großartigen Doppelalbum „Rough And Rowdy Ways“ hat Dylan das Fenster zu seinem Inneren allerdings schon mehr als einen Spalt breit geöffnet – für seine diskreten Verhältnisse jedenfalls.
Erinnerung an Kennedy
„Key West is the place to be / If you’re lookin’ for immortality“ philosophiert er über die Suche nach Unsterblichkeit. Und in dem langen Talking Blues „Murder Most Foul“, der allein die zweite Scheibe des Albums füllt, beschreibt Dylan die dystopische Gegenwart mit einem abgrundtraurigen Blick zurück auf den Mord an US-Präsident John F. Kennedy. Ein traumatischer Tag: „Shot down like a dog in broad daylight“, heißt es in dem Song. Damals, 1963, als Kennedy in Dallas (Texas) auf offener Straße erschossen wurde, war Dylan 22 Jahre alt. Ein schmales Bürschchen, das gegen das Establishment rebellierte. Und auf dem Sprung war, ein Star zu werden. So ist es gekommen. Aber er hat nichts vergessen. Auch den Schmerz nicht. Und das macht seine Größe aus.
Bob Dylan tritt am 8. Oktober um 20 Uhr in der Messehalle Erfurt auf.