Er wurde 67 Jahre Alt Bekannt im „Torpedokäfer“, „Kaffee Burger“ und „Rumbalotte“: Bert Papenfuß-Gorek ist tot
Dichter, Musiker, Kneiper, Bausoldat und Anarchist: Bert Papenfuß-Gorek, der bedeutendste Underground-Dichter des Ostens, stirbt mit 67 Jahren.
Halle (Saale)/MZ - Einen Fernseher hat er nie besessen. Deutsche Gegenwartsliteratur nie gelesen. Überhaupt ließ er die politische Öffentlichkeit gern an sich vorüberziehen. Die Ausbürgerung von Wolf Biermann 1976 aus der DDR? Ein kulturpolitisches Erdbeben, ja, aber für ihn selbst, sagte Bert Papenfuß-Gorek, habe das Ereignis „Null Relevanz“ gehabt, „völlig uninteressant“. Ein Buch von Christa Wolf oder Günter Grass? „Nie gelesen“, sagte er: „Ich wüsste auch nicht warum.“ Nun ist Bert Papenfuß-Gorek gestorben.
Der Dichter Bert Papenfuß-Gorek, 1956 geboren im mecklenburgischen Stavenhagen, war seine eigene literarische Autorität. Der Mann, der unterm schwarzen Leder gern ein gestreiftes Seemanns-Shirt trug, scharte um sich ein Rudel von Freunden und Kollegen, nach dem Mauerfall als Betreiber der Ost-Berliner Kulturkneipen „Torpedokäfer“, „Kaffee Burger“ und schließlich „Rumbalotte“ auch ein eigenes Publikum.
Bert Papenfuß-Gorek: Schulbesuch in Leningrad
Wenn Underground die behauptete Abwehr eines Mainstreams meint, dann war Papenfuß-Gorek ein Underground-Autor. Sein Schreiben, das er zusätzlich als Redakteur der Zeitschriften „Sklaven“ und „Gegner“ befeuerte, speiste er aus einer ureigenen Tradition. Zu der gehörten nicht Heiner Müller oder Volker Braun.
In einem 1994 mit der französischen Literaturwissenschaftlerin Cécile Millot geführten Interview, nachzulesen in dem 2016 im Mitteldeutschen Verlag veröffentlichten Gesprächsband „Lyrik nach 1989. Gewendete Lyrik?“, gab Papenfuß-Gorek darüber Auskunft. „Ich habe im Prinzip das ganze Arsenal der Moderne: Avantgarde, Futurismus und Dada und Schwitters benutzt, um die Sprachstrukturen der DDR-Offizialität aufzubrechen“, sagte er da.
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Ein Arsenal, das in der DDR kaum verfügbar war. Und das unter Formalismusverdacht stand. Ein Verdacht, den Papenfuß-Gorek auf sich zog, nicht nur, weil seine frühe Lyrik noch tatsächlich klar politisch opponierte, sondern weil er seine eigene Form pflegte: eigene Rechtschreibung, eigene Grammatik, fremder Slang.
Papenfuß-Gorek wählte als Sohn eines NVA-Offiziers die Bausoldaten
Dabei war Bert Papenfuß-Gorek nicht einfach ein anarchischer, sondern ein anarchistischer Dichter. Einer, der den Philosophen Max Stirner („Der Einzige und sein Eigentum“) feierte und den „Torpedokäfer“-Autor Franz Jung lobte. Auch als erklärter Liebhaber des Meeres war der Dichter mehr zu Hause auf hoher See als im Literaturteich Prenzlauer Berg. Einer, mit dem kein Staat zu machen sein sollte.
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Das war nicht selbstverständlich. Papenfuß-Gorek war der Sohn eines NVA-Offiziers. Schulbesuch in Leningrad, wo ihn aber nicht die Gedenkstätten für die guten Genossen, sondern für die Sozialrevolutionäre und Anarchisten anzogen. Dabei blieb es.
Den Grundwehrdienst lehnte der Elektronikfacharbeiter ab und zog mit den Bausoldaten. Im Anschluss arbeitete er als Theaterbeleuchter erst in Schwerin, dann in Berlin. Von 1980 an war er als freier Schriftsteller unterwegs, der seine Texte in Begleitung von Rock- und Punkbands vortrug.
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Aber nicht nur. Papenfuß-Gorek ging zuerst den offiziellen Weg, wurde 1986 für eine Veröffentlichung eingeladen vom Aufbau Verlag, dem Prestige-Verlag Ost. Die Heroen der DDR-Literatur hörten ihm zu in der Akademie der Künste, „Sinn und Form“ druckte ihn. Ab 1987 konnte Papenfuß-Gorek in den Westen reisen – wie die meisten Kollegen.
Bert Papenfuß-Gorek betrieb die Ost-Berliner Kulturkneipen „Torpedokäfer“, „Kaffee Burger“ und „Rumbalotte“
Ein Privileg mit Effekt. Es habe dazu beigetragen, eine „Any-thing-goes-Haltung“ zu erzeugen, sagte Papenfuß 1994. „Es gab kein politisches Engagement“ mehr „ab einem bestimmten Punkt, auch nicht von den Leuten, die im Westen waren.“ Eine Haltung, die auch zu einer Entsolidarisierung in die DDR-Gesellschaft hinein führte. Die Bürgerrechtler stießen den Dichter ab. Auch der Mauerfall. Nun, den brauchte er ja nicht.
Underground-Dichter und lyrischer Freibeuter: Bert Papenfuß-Gorek ist gestorben
Papenfuß wollte keinen anderen, sondern gar keinen deutschen Staat. In dem 1988 bei Aufbau veröffentlichten Papenfuß-Gedichtband „dreizehntanz“ hieß es in der dem Dichter eigenen Orthografie: „auf wiedersehen faterland / ich such das meuterland“.
Das hatte er da bereits für sich gefunden. Papenfuß-Gorek interessierte nicht das große Ganze, sondern der Einzelne in seinen Zwängen. Er schrieb allein, aber auf ein Kollektiv zu. Das geschah draufgängerisch, unkalkulierbar, oft überraschend witzig. Zuletzt wieder auch politisch: „Die Freiheit wird nicht kommen, / Freiheit wird sich rausgenommen“, heißt es in einem Gedicht. Wann immer man zur Papenfuß-Lektüre zurückkehrt: Interessant ist sie immer. Und etwas völlig anderes als marktgängige Preisträger- und Literaturbetriebs-Literatur.
Was trinken wir jetzt?
Nach 1989 wurde es ruhiger um den Autor. Über Berlin-Mitte ging dessen Wirkung selten hinaus. Bei eher einsilbigen Kollegenrunden ging es zuletzt „im wesentlichen darum, was macht man am Wochenende, und was trinken wir jetzt?“. Trotzdem: Ein lyrischer Freibeuter blieb Bert Papenfuß-Gorek bis zuletzt. Am frühen Sonnabendmorgen ist der bedeutendste Underground-Dichter des Ostens, wie seine Witwe Mareile Fellien am Montag bestätigte, nach einer Krebsdiagnose und einem Schlaganfall in Berlin gestorben. Er wurde 67 Jahre alt.