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Musiker Robert Weinkauf Auf ein Neues

Robert Weinkauf bespielt seit 1998 das Schloss Goseck mit Kunst und Kultur. Jetzt gastiert er nach einer schweren Erkrankung selbst mit einem besonderen Liederabend.

Von Mathias Schulze 17.10.2024, 16:21
Musiker und  Kulturunternehmer Robert Weinkauf: „Es geht um Horizonterweiterung.“
Musiker und Kulturunternehmer Robert Weinkauf: „Es geht um Horizonterweiterung.“ (Foto: Daniel Stojeck)

Goseck/MZ. - Naumburg, März 2022: Es ist bitterkalt, obwohl der Tag für Robert Weinkauf, Jahrgang 1968, sehr früh begann, spielt er am Abend noch auf dem Markt Musik. Die Nacht wird kurz, am nächsten Morgen ist nichts mehr wie es war: Der digitale Morgengruß an die Liebste will nicht gelingen. Sätze, Buchstaben, Grammatik – das Gewohnte, das uns oft leicht erscheint, ist in Wirklichkeit ein heftiges Synapsenrasseln.

Diagnose: Hirninfarkt

Aber was ist, wenn das plötzlich nicht mehr funktioniert? Ein Freund wird hellhörig, bringt Weinkauf, der seit 1998 zusammen mit Sebastian Pank das Schloss Goseck (Burgenlandkreis) mit kulturellen Veranstaltungen bespielt, sofort ins Krankenhaus. Diagnose: Hirninfarkt. Folgen: Der Tausendsassa und gebürtige Leipziger Weinkauf, der mittelalterliche Musik mit dem „montalbâne Ensemble“ und den „Ioculatores“ und Kammerbeat mit der Band „The But“ spielte, ist ans Bett gefesselt. Zwangsstillstand, jetzt muss das Gehirn neu trainiert werden.

Immerhin war der Rechner mit im Krankenhaus. Auf der Festplatte: Gedichte aus dem 19. Jahrhundert, Lyrik von Lessie Sachs, Gertrud Kolmar oder Johanna Ambrosius, zwischendrin auch mal ein Heinrich Heine. Weinkauf und der Infarkt: Natürlich weiß der Mann, der schon zu Kindergartenzeiten im Leipziger Rundfunkkinderchor sang, von der lebensspendenden Energie der Kunst, aber noch nie war sie so wichtig wie jetzt.

Doch wie findet man einen Zugang zur kulturellen Kraft, wenn man zwar denken und empfinden kann, aber das Ausdrucksvermögen beschädig ist? Weinkauf und der Wille: War er nicht immer der, der die Leute begeisterte, der durch Führungen die Geschichte von Gebäuden im Burgenlandkreis vermittelte, der „17 Dinge auf einmal“ anpackte und das Schloss zum Kulturzentrum formte? Aufgeben war keine Option.

Noch im Krankenbett liest Weinkauf die Gedichte, mal laut, mal leise. Er spürt die Wirkung des Rezitierens, merkt, dass die Lyrik, die sich um allgemeine Menschheitserfahrungen windet, sein Hirn und Sprachempfinden schult. Beim Gesunden hilft der Griff zum Bücherregal, das Bewusstwerden, dass die scheinbar persönlichen Dinge eigentlich Kollektiverfahrungen sind. Bei Weinkauf verdrahten sich die Synapsen durch Literatur neu, er greift zur Gitarre, vertont und singt die Gedichte. So baut er sich Stück für Stück wieder zusammen. Nur folgerichtig, dass diese existenzielle Erfahrung eine Bühnenform bekommen muss, dass Weinkauf das entsprechende Konzert, das er zusammen mit der Liedermacherin Paula Linke spielen wird, als Herzensprojekt bezeichnet.

Zeit, zurückzublicken: Wie kommt man als Großstädter nach Goseck? Wie lebt es sich dort als nimmermüder Kulturschaffender? Weinkauf, der damals zu jenen Leipzigern gehörte, denen es um eine Reform der DDR ging, blättert das Schicksalsjahr 1989 auf: „Die Wende kam für mich im richtigen Moment. Alles, was ich heute mache, fußt darauf, dass nach 1989 ein luftleerer und zugleich freiheitlicher Raum entstand.“ So trat Weinkauf 1991 als Mitbegründer des „montalbâne-Festival“ für mittelalterliche Musik, das seit über dreißig Jahren jährlich in Freyburg und auf Schloss Neuenburg stattfindet, in Erscheinung. Das Land Sachsen-Anhalt honorierte – im Gegensatz zur vollbeschäftigen Messestadt – seine Bemühungen: Fördergelder und Anerkennung. 2011 zog Weinkauf nach Goseck, anfangs kamen vor allem Menschen aus Halle, Leipzig oder Jena zu den kulturellen Schloss-Veranstaltungen.

Weinkauf zog los, kommunizierte, überzeugte, wurde der Vorsitzende des Gosecker Heimatvereins. Nach und nach nahm er den Ansässigen die Scheu, die Angst vor der Überforderung. Heute kommt sein lokales Stammpublikum aus Goseck, Weißenfels oder Naumburg auch dann regelmäßig, wenn die Künstler, die die Leipziger Vereine „Die Liedertour“ oder die „Leipziger Liederszene“ bereitstellen, vor Ort gar nicht bekannt sind. Ein über Jahre entstandenes Vertrauen, man weiß, dass Qualität auftreten wird.

Mit knallbunter Jacke

„Natürlich erzählen mir die Leute, wie toll es beim Helene-Fischer-Konzert war, aber dennoch sind sie sehr dankbar über unser Angebot. Es geht um Horizonterweiterung. Die holt man sich nicht von allein, die musst du bringen“, erzählt Weinkauf, der verschmitzt auf seine knallbunte Jacke verweist: „Die trage ich immer, sie ist zu meinem Markenzeichen geworden. Die Leute wissen, wenn diese Jacke da ist, bin ich da. Dann gibt es Unterhaltung und Kunst.“

Das letzte Lied – Robert Weinkauf mit Paula Linke: am 19. Oktober um 20 Uhr auf dem Schloss Goseck, Burgstraße 53 b in Goseck, alle Termine unter www.schlossgoseck.de