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Kosmonaut Sigmund Jähn Kosmonaut Sigmund Jähn: Die DDR machte ihn zum Staatsmaskottchen

Von Frank Junghänel 22.09.2019, 19:21
Die „Freiheit“ berichtete am 27. August 1978 auf der Titelseite vom Weltraumflug.
Die „Freiheit“ berichtete am 27. August 1978 auf der Titelseite vom Weltraumflug. Freiheit

Strausberg - Als der Vogtländer Sigmund Jähn am Nachmittag des 26. August 1978 als erster Deutscher ins Weltall flog, begann für ihn eine Reise, auf deren Verlauf er trotz intensiven Trainings nicht einmal annähernd vorbereitet war. In jenem Moment, da die Raketentriebwerke knapp fünfzig Meter unter ihm zündeten, war sein bisheriges Leben vorbei. Aus dem düsenfliegenden Familienvater, den bis dahin lediglich Freunde und Verwandte kannten, sollte eine Art DDR-Maskottchen werden, dessen gütiges Antlitz auf Postern und Autogrammpostkarten feilgeboten wurde. Das Drehbuch, das die Partei für ihn geschrieben hatte, erklärte ihn zum Helden.

Kosmonaut Sigmund Jähn wächst im Erzgebirge auf

Doch das wollte er nie sein. Fast vierzig Jahre später kann man sagen, dass Sigmund Jähn an jenem Spätsommertag auf dem Weltraumbahnhof in Baikonur zu den Sternen gestartet ist, ohne vom Boden abzuheben. Bei dem ganzen Rummel um ihn ist das schon ein Stück Lebenskunst. Am 13. Februar 2017 feierte Sigmund Jähn, der seit vielen Jahren in Strausberg bei Berlin lebt, seinen 80. Geburtstag. Und das im familiären Kreis, wie anzunehmen ist. Trubel hatte er genug.

Aufgewachsen ist Jähn in einer Bergbaugemeinde im Erzgebirge. Der Name des Ortes, Morgenröthe-Rautenkranz, gehört heute gewissermaßen zu seiner Legende. Der Vater arbeitete im Sägewerk, er selbst lernte nach der Schule Buchdrucker, später holte er das Abitur nach. Nichts an der Vorgeschichte des Kosmonauten wies darauf hin, dass er einmal zu jenen Auserwählten zählen würde, die die Erde aus der Sternenperspektive betrachten dürfen. Nach heutigem Stand wardas nur 554 Menschen aus gerade einmal zehn Ländern vergönnt.

Ein Ausspruch Jähns wurde später oft zitiert: „Schon vor meinem Flug war mir bewusst, wie klein und verletzbar unser Planet ist. Aber erst als ich ihn vom Weltraum aus sah, in all seiner unglaublichen Schönheit und Zartheit, erkannte ich: Die dringendste Aufgabe der Menschheit besteht darin, für die Erde liebevoll zu sorgen und sie künftigen Generationen zu bewahren.“ Aus diesen Worten, so feinfühlig wie pathetisch, lässt sich die Erfahrung des Kriegskindes heraushören, an dessen achtem Geburtstag nicht weit entfernt Dresden brannte. Die Bomber kamen übers Erzgebirge. Jähn gehört zu jener Generation Ostdeutscher, die sich mit ihrer Biografie zum Kampf für den Frieden verpflichten ließen, wie man es damals nannte. Er wurde Jagdflieger.

Das ist eine Profession, die so gar nicht dem zurückhaltenden Wesen dieses Mannes zu entsprechen scheint. Aber er wollte fliegen und wer in der DDR fliegen wollte, musste zum Militär. Als Pilot eines überschallschnellen Abfangjägers MiG-21 gehörte Sigmund Jähn bald zur fliegerischen Elite. Er machte Karriere in der Volksarmee. Im März 1968, als er sich noch mitten im Studium an der sowjetischen Militärakademie im östlich von Moskau gelegenen Ort Monino befand, verunglückte in der Nähe Juri Gagarin bei einem Übungsflug tödlich. Jähn gehörte zu den Hunderttausenden Trauernden, die dem ersten Menschen im Weltall auf dem Roten Platz die letzte Ehre erwiesen. Nicht im Traum habe er damals daran gedacht, selbst einmal ins All zu fliegen, hat Jähn einmal gesagt.

Der Vogtländer Sigmund Jähn fliegt 1978 als erster Deutscher ins All

Zehn Jahre später sollte es soweit sein. Man hatte Pläne mit ihm, von denen er lange nichts wusste. Sein Name stand auf einer geheimen Liste von Kosmonautenanwärtern. Mitte der 70er Jahre suchte die Sowjetunion nach Wegen, die ständig wachsenden Kosten ihres Weltraumprogramms auf die Bündnisstaaten umzulegen. So entstand die Idee, im Rahmen des Interkosmos-Programms, Wissenschaft gegen Propaganda aufzurechnen. Die Länder der Organisation beteiligten sich mit eigenen Projekten an den Raumflügen und bezahlten damit das Ticket für einen sogenannten Forschungskosmonauten.

Die DDR finanzierte den Flug von Sigmund Jähn mit den Entwicklungskosten für die Multispektralkamera MKF6, die auf 82 Millionen DDR-Mark geschätzt werden. Das Gerät aus dem VEB Carl Zeiss Jena, das auf der Raumstation Saljut 6 fest installiert war, diente vor allem der Erderkundung, seine Aufnahmen wurden für die Suche nach Bodenschätzen genutzt oder um landwirtschaftliche Flächen zu beurteilen. Darüber hinaus lieferte die Kamera Material für Umweltforschung, Wetterdienst und Militär.

Der berühmteste Fotoapparat der DDR, wegen der jubilierenden Berichterstattung von den Leuten als „Multispektakelkamera“ verspottet, galt unter Wissenschaftlern damals als bestes Weltraum-Auge weltweit. Sie war technologisch führend, wie das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt rückblickend feststellt.

Nachdem die Sojus-31-Kapsel mit Jähn und seinem sowjetischen Kommandanten Waleri Bykowski an die Station Saljut 6 angedockt hatte, führte das Duo gemeinsam mit der Stammbesatzung eine Woche lang Experimente durch. Jähn kümmerte sich dabei speziell auch um medizinische Fragen: Wie etwa reagiert der menschliche Organismus auf die Schwerelosigkeit? Zur Erforschung des Gleichgewichtssinnes machte er Ohr- und Sehtests bei sich.

Sigmund Jähn: In der DDR eine Art Staatsmaskottchen - Im Westen ignoriert

In der Bundesrepublik nahm man von Jähns historischer Mission kaum Notiz. Springers „Die Welt“ schrieb hämisch von einem „Mitesser in der Russen-Rakete“ und selbst die „Süddeutsche Zeitung“ meinte, sich über den sächsischen Akzent des DDR Kosmonauten mokieren zu müssen. „Der erste richtige Deutsche“ im All sollte für das Blatt Ulf Merbold sein, der schließlich 1983 an Bord eines Space Shuttles flog. Der erste und der zweite Deutsche wurden später gute Freunde. Vieles, was Menschen auf der Erde für so wichtig nehmen, sieht von dort oben betrachtet eben wirklich sehr, sehr klein aus. (mz)

Nach seiner Rückkehr aus dem All reiste Sigmund Jähn durch  die  DDR.  So besuchte er 1983  die nach ihm benannte Oberschule in Köthen.
Nach seiner Rückkehr aus dem All reiste Sigmund Jähn durch  die  DDR.  So besuchte er 1983  die nach ihm benannte Oberschule in Köthen.
Freiheit
Dieses Foto zeigt ihn heute.
Dieses Foto zeigt ihn heute.
dpa
Sigmund Jähn flog 1978 als erster Deutscher ins All.
Sigmund Jähn flog 1978 als erster Deutscher ins All.
dpa