Justizvollzug Justizvollzug: Das Handy im Schinken
Halle (Saale)/MZ. - Ein wachteleigroßer Stein, Gummihandschuhe, eine Medikamentendose. Was daran verdächtig ist? Auf den ersten Blick nichts. Stein und Handschuhe werden im Haftraum in der halleschen Justizvollzugsanstalt (JVA) jetzt trotzdem konfisziert. "Hier braucht man Phantasie", sagt ein Beamter nach der Durchsuchung. Soll heißen: Aus den drei Dingen kann ein Wurfgeschoss werden. Es sei dahingestellt, ob der Insasse das plante. Tatsache aber ist: An Phantasie fehlt es auch Gefangenen nicht. Schon gar nicht an Zeit, sie umzusetzen. "Die haben sie 24 Stunden am Tag. Wir nicht", sagt der Beamte, bevor er zu Spiegel und Endoskop greift, eine Lampe nach Verstecken absucht, die Kamera in Löcher eines Lüftungskastens steckt.
Wie groß der Einfallsreichtum ist, zeigt Psychologierat Rolland Welther in einem Raum der JVA-Nebenstelle in der "Frohen Zukunft". An der Wand hängen einige der Dinge, die entweder in den Knast geschmuggelt oder in ihm gebastelt wurden. Zwei Löffel, ein Feuerzeug, ein paar Drähte - fertig ist der Tauchsieder. Farbe, Nadeln, der Motor aus einem Rasierapparat: bitteschön, ein Tätowiergerät. "Elektrische Rasierer sind hier jetzt untersagt", sagt Welther. Das zum Schläger umfunktionierte Tischbein, das zum Teil mit Steinen scharf geschliffene Knast-Besteck sowieso. Oder die Schlüsselrohlinge, die immer mal auftauchen - obwohl sie Gefangenen nicht viel bringen. Es sei denn, sie sind schnell beim Feilen: Regelmäßig wird das Schließsystem geändert.
Spezialgruppe durchsucht
Welther weiß, wovon er redet. Er gehört seit neun Jahren zum "Besonderen Sicherheits- und Revisionsdienst" (BSRD) des Landes. Die Spezialtruppe stellt seit 1993 regelmäßig alle Gefängnisse auf den Kopf, um das zu finden, was auf unlauterem Weg hineinkam. Etwa in ausgehöhlten Büchern. "Der Klassiker", sagt Welther und zeigt auf ein Anfang der 60er erschienenes Buch, "Das Tal des zornigen Baches". Irgendwann, verrät die Inschrift, war es ein Geschenk zum zehnten Geburtstag. Lange bevor es zum Handy-Versteck wurde.
Kontrolliert wird freilich immer. Doch wenn der BSRD kommt, geht es richtig gründlich zur Sache. 40 Beamte aus allen JVA, einmal im Jahr besonders geschult, gehören ihm an. Im Idealfall ist jedes Gefängnis zwei Mal im Quartal dran. Dann werden Wände und Fliesen auf Hohlräume abgeklopft, Lampen abgeschraubt, Gitter überprüft. Jeder Zentimeter Hartschaummatratze kommt den Beamten unter die Finger - in sie hat schon mancher ein Loch als Versteck gepult.
Auch ein Drogenhund ist dann dabei. "Alles findet der aber nicht", so Welther. In Stendal blieb dem Vierbeiner mal etwas verborgen: Im Spülbereich der Toilette hingen innen 50 Gramm Haschisch, in Folie verpackt. Per Spiegel wurden sie entdeckt. Andere Gefangene vertrauen ihrem Versteck nicht: "Wenn sie uns rechtzeitig mitkriegen, hört man viel Toilettenspülen", sagt Welther. Auch anderweitig wird aufgegeben: Ein Insasse kam dem Durchsuchungstrupp schon mal an der Tür entgegen, drückte ihm ein Handy in die Hand. "Für Gefangene ist das nicht selten einfach ein Spiel", so Welther.
Weil mit Mobiltelefonen nicht nur Schmuggel verabredet, sondern auch Sicherheitseinrichtungen fotografiert werden können, sind sie im Knast verboten. Trotzdem finden sie häufiger den Weg dorthin. Einmal, erinnert sich Welther, in einem Rollschinken, der per Paket kam. "Er war luftdicht abgepackt, aber ausgehöhlt", erzählt er. "Das war selbst für uns überraschend." Ladegerät, Handy, Akkus fanden die Beamten darin. Auch manch versiegelte Kaffeepackung oder Dose flog als Versteck auf.
Wer auch immer die Helfer draußen sind, "sie verpacken genauso sachgerecht wie die Industrie", weiß der 44-Jährige. Sprich: Mit bloßem Auge ist die Manipulation nicht zu erkennen. Manchmal, wie beim Schinken, machen Gewicht oder dessen Schwerpunkt stutzig. Oft hilft, dass jedes Paket an einen Häftling vorher durchleuchtet wird. Und Skepsis darf nicht fehlen: Als einem Gefangenen im "Roten Ochsen" in Halle mal mehrfach die Playstation kaputt ging, wurde die Neulieferung auseinander genommen. "Unter der Festplatte steckte eine Platte Haschisch."
Die größte Schmuggel-Gefahr, sagt Welther, geht von Paketen aus, die Gefangene viermal im Jahr erhalten dürfen. Seltener wird etwas über Mauern geworfen oder - versteckt in Körperöffnungen - beim Besuch von Gefangenen eingeschleust. Metalldetektoren am Besucherraum und dessen Videoüberwachung sollen Letzteres verhindern. Wird jemand beim Einschmuggeln erwischt, gibt es Hausverbot - bei Drogen sofort eine Anzeige. Der Handy-Schmuggel per Paket hat nur Konsequenzen, wenn der Gefangene mit dem Telefon ertappt wird. Bis zu vier Wochen strenger Arrest drohen.
Insgesamt, sagt Welther, ist in Halle die Zahl der Handys und die Menge der Drogen zurückgegangen. Das liege auch an der Knast-Struktur: Die Häftlinge mit der meisten kriminellen Energie sitzen inzwischen im modernen Gefängnis in Burg - dank Handyblocker bringt selbst Telefonschmuggel dort nichts. In anderen JVA fehlt den Insassen oft das Geld, Drogen zu bezahlen. Weil mindestens zwei von drei Lieferungen abgefangen würden, seien die hinter Gittern viel teurer. "Und nur auf gut Glück schickt niemand Drogen rein."
Am besten nicht verstecken
Ach übrigens: Im Gefängnis selbst kann das beste Versteck immer noch jenes sein, das eigentlich keines ist. Dass ein Insasse in der Metallwerkstatt der JVA an einem Schwert baute, fiel zunächst nicht auf, weil es offen im Arbeitsbereich lag. Und der Fünf-Euro-Schein in einem Haftraum - Bargeld ist im Gefängnis untersagt - wurde erst in letzter Sekunde entdeckt. Er war dreist an eine Wand gepinnt.