Jugendweihe Jugendweihe: Kindheit adé
Halle (Saale)/MZ. - Es ist ein ungewöhnlicher Start in einen Sonnabend, der Karen Hollmann, 14, aus Halle am Samstag bevorsteht: Sie wird sich ein edles Kleid anziehen und ihre Rede üben. Sicher wird sie auch ein wenig zittrige Knien haben. Auf jeden Fall aber noch einmal zum Friseur gehen, bevor für sie um 11 Uhr jenes Ereignis beginnt, das in diesen Tagen mehr als die Hälfte der Achtklässler in Sachsen-Anhalt beschäftigt: Jugendweihe. "Ich freue mich sehr darauf", sagt sie. Rund die Hälfte ihrer Klasse macht mit. Und so war die bevorstehende Feierstunde am Donnerstag am ersten Tag nach den Ferien ein großes Thema.
"Ich finde es gut, dass man damit vor dem 18. Lebensjahr einen Zwischenstopp hat, bei dem einem noch einmal bewusster wird, dass man kein Kind mehr ist und mehr Verantwortung bekommt, aber auch tragen muss", sagt Karen, die deshalb allerdings nicht gleich mit "Sie" angesprochen werden möchte: "Es ist ein merkwürdiges Gefühl, wenn ich gesiezt werde - weil ich mich noch nicht erwachsen fühle." Sie ist nicht kirchlich aufgewachsen und hat sich auch deshalb für die Jugendweihe entschieden, weil sie eine Tradition fortführen möchte - ihre Eltern hatten ebenfalls die Feier. Natürlich freut sie sich auch auf die Verwandten, die dabei sein werden, und Geschenke.
Ähnlich geht es Bonny Krug aus Stößen (Burgenland), die ebenfalls am Samstag Jugendweihe feiert: "Ich finde es schön, dass mein engster Freundes- und Familienkreis sieht, dass ich nun in die nächste Etappe gehe." Man müsse sich nun ja auch langsam Gedanken machen über den Weg, den man später einschlagen will. "Dieser Anlass ist für mich etwas Großes." Dazu gehöre natürlich auch ein festliches Kleid. Bei der Veranstaltung wird eine Rede an die Jugendlichen gehalten. Höhepunkt der etwa 60-minütigen Feierstunde ist die Überreichung von Urkunden und Büchern zur Erinnerung. Die Jugendlichen, die einzeln auf die Bühne gerufen werden, wenden sich oft auch selbst mit Danksagungen an ihre Verwandten, Lehrer und Freunde.
Nachdem sich bis zum März bereits mehr als 7 100 Jugendliche im Land angemeldet haben, rechnet der Landesverband Sachsen-Anhalt der Interessenvereinigung Jugendweihe mit etwa 7 300 Teilnehmern an seinen 162 Feiern. Damit machen laut Verbandspräsident Günter Rettig 49 Prozent aller Schüler der achten Klassen im Land bei den Feierstunden des größten Anbieters von Jugendweihen mit, der auch andere Veranstaltungen für die Jugendlichen organisiert. Insgesamt schätzt er die Teilnehmerquote an allen Feiern im Land auf rund 60 Prozent.
Nachdem es sich bei der Jugendweihe zu DDR-Zeiten gewissermaßen um eine Pflichtveranstaltung gehandelt hatte, gab es nach der Wende einen Einbruch bei den Zahlen. Später stieg das Interesse in Sachsen-Anhalt wieder an, so Rettig. "1997 waren 20 107 Jugendliche bei unseren Feiern dabei." Vor allem wegen zurückgehender Schülerzahlen seien dann die Teilnehmerzahlen gesunken. "Seit 2007 steigen sie aber wieder kontinuierlich", sagt er.
Inga Pinhard vom Deutschen Jugendinstitut in München erklärt das mit einer Suche nach Orientierung und Gemeinschaft bei den Jugendlichen: "Solch ein Ritual markiert auch einen strukturierenden Bezugspunkt in der Biografie, wie es sie heute nicht mehr häufig gibt", sagt die Erziehungswissenschaftlerin, die sich in ihrer Magisterarbeit mit Jugendweihen und Jugendfeiern befasst hat. Die Teilnehmer sehen die Feiern demnach weniger als Übergangsritual von der Kindheit zum Erwachsenenalter, als vielmehr in die Jugend. Dabei in der Familie im Mittelpunkt zu stehen, sei einer der Gründe für die Teilnahme. "Dabei geht es ihnen natürlich auch um die Inszenierung wichtiger Momente, wie das erste Mal Alkohol trinken oder zum ersten Mal einen Anzug oder Stöckelschuhe tragen."
"Zum anderen verweisen die Jugendlichen auf die Familientradition." Erstaunlich sei, dass die wenigsten von ihnen die Historie der Jugendweihe kennen, die bereits im 19. Jahrhundert von Freidenkern ins Leben gerufen wurde. Zudem sei auch nicht viel über die ideologische Instrumentalisierung durch das DDR-Regime bekannt: "Die Jugendweihe wird im Rückblick meist allein als Familienfest erinnert." Auch das Gemeinschaftsgefühl bei der Jugendweihe sei den Jugendlichen wichtig.
Nicht vergessen dürfe man die Eltern, sagt Verbandspräsident Rettig: "Sie sind stolz, in aller Öffentlichkeit die positive Entwicklung ihres Kindes zeigen zu können." Wann trägt der Sohnemann auch schon einen Anzug, die Tochter ein Ballkleid? Dabei sei das Styling nicht nur den Mädchen wichtig. Doch es geht auch um stilsicheres Auftreten. Pascal Dzick, 13, aus Halle etwa hat im Vorfeld auch einen Knigge-Kurs besucht.
Maren Kotouc aus Osterfeld bei Naumburg hat die Feier gerade erst erlebt. "Es war klasse." Sie erzählt von ihrer Hochsteckfrisur, der aufregenden Feierstunde und ihrem Kleid, das sie bei einer Modenschau ausgesucht hat. Von den Geldgeschenken möchte sie sich ein Handy kaufen. Doch: "Ich soll auch sparen." Sagen ihre Eltern.