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Jugend forscht Jugend forscht: Das Patent kommt aus dem Kinderzimmer

Von Ralf Böhme 01.03.2013, 18:09
Kranich kontra Turbine - die zwölfjährige Ayla Schaub aus Elbingerode will die Turbinen von Flugzeugen vor Vögeln schützen.
Kranich kontra Turbine - die zwölfjährige Ayla Schaub aus Elbingerode will die Turbinen von Flugzeugen vor Vögeln schützen. Günter Bauer Lizenz

Elbingerode/MZ - Gefahr im Anflug! Nähert sich ein großer Vogelschwarm, dann schrillen in jedem Cockpit die Alarmglocken. Das weiß Ayla Schaub aus Filmen und Büchern. Und die Zwölfjährige weiß auch, was folgen kann: der Absturz. Denn im schlimmsten Fall geraten sehr viele Vögel in die Triebwerke. Die Folge: Die Turbinen setzen aus.

Das Mädchen aus dem Harz lässt diese Vorstellung nicht kalt. Monatelang grübelt es in seiner Freizeit, wie sich die Gefahr bannen lässt. Nun aber staunt nicht nur der Laie, sondern auch die Fachwelt. Endlich scheint nämlich ein verheißungsvoller Lösungsansatz gefunden, der solche Unglücke vermeidbar macht - erdacht von der Schülerin aus dem Städchen Elbingerode. Ihre Erfindung schlägt derzeit mächtige Wellen. Für die hochkarätig besetzte Jury von „Jugend forscht“ ist es jedenfalls eine klare Entscheidung. Ayla Schaub, die schon mit fünf Jahren vom Kindergarten in die Schule gewechselt ist, hat sich mit ihrer Arbeit den diesjährigen Sonderpreis des Wettbewerbs in Sachsen-Anhalt verdient. Jetzt läuft das Patentverfahren.

Wenn es nach Schaub geht, sollten die Turbineneingänge künftig mit variabel einstellbaren Schutzblättern aus Kunststoff oder Aluminium ausgestattet werden. Zwei Dinge sind es, die möglicherweise den technischen Durchbruch bedeuten.

Sensoren und Schutzblätter

Zum einen sollen die Schutzblätter auf fast ganzer Länge zusätzliche Luftschlitze erhalten. Zum anderen könnten Sensoren bereits die erste Kollision mit einem Vogel signalisieren. Und das wiederum löse dann eine elektronische Steuerung aus, die entsprechend programmiert die optimale Anordnung der beweglichen Schutzblätter vor der Turbine auslöst. Ist die Gefahr vorbei, stellt sich die Vorrichtung wieder auf Null.

Technisch ist das mutmaßlich neue Konzept wahrscheinlich ohne weiteres umsetzbar, so die erste Auskunft des Deutschen Patentamtes. Noch unklar sind allerdings die zusätzlichen Kosten für den Flugzeugbauer. Auf alle Fälle läuft die Prüfung von Schaubs Patentantrag auf Hochtouren. Gegenwärtig erfolgt der Abgleich mit ähnlichen Erfindungen im europäischen Ausland. Ist das in einigen Wochen erledigt, steht einer Erteilung des Patentes möglicherweise noch vor dem Osterfest nichts mehr im Wege. Unterstützung gewährt weiterhin die „Jugend forscht“-Initiative, die die Kosten des aufwendigen Verfahrens teilweise trägt.

Im Grunde geht es bei Schaubs Erfindung um jenes Einfache, das eigentlich immer ganz schwer zu machen ist. Damit Vögel gar nicht erst in den Sog der Turbinen gelangen, haben die Flugzeug-Konstrukteure in den zurückliegenden Jahrzehnten schon einiges ausprobiert. Herausgekommen ist nach den Recherchen der Schülerin aber immer wieder nur eine zwar naheliegende, aber letztlich wohl nicht wirklich praktikable Variante: fest installierte Gitter oder Netze.

Das Problem liegt offenkundig in der Natur der Sache. Sind die Abstände zwischen den Stäben nämlich zu eng, erklärt die Sechstklässlerin unter Hinweis auf entsprechende Versuche der Industrie, sei der erforderliche Luftstrom gestört und der Antrieb verliere dramatisch an Leistung. Lasse man hingegen reichlich Raum, bleibe letztlich der angestrebte Schutz auf der Strecke.

Ihre Idee klingt zumindest pfiffiger und findet sogar das Interesse eines führenden deutschen Triebwerk-Herstellers. Als Ansporn stellt ihr die Entwicklungsabteilung des Unternehmens ein maßstabgerechtes Turbinenmodell zur Verfügung, mit dem man bestimmte Abläufe simulieren kann. Das Interesse der Wirtschaft kommt nicht von ungefähr: Alljährlich kommt es weltweit zu etwa 3 500 Ereignissen des gefährlichen Vogelschlages, wie Luftfahrt-Profis derartige Zusammenstöße auch nennen. Vorwiegend ereignen sie sich während der Start- und Landephasen in einer Flughöhe von bis zu 3 000 Metern.

Was die Konstrukteure in Erstaunen versetzt, sind auch die Umstände der Erfindung. Das Labor, aus dem die Überlegung stammt, erweist sich nämlich als Kinderzimmer. In einem alten Haus am Wald bringt Ayla Schaub ihre Gedanken zu Papier. Gesprächspartner sind ihr Vater, ein Mathematiker, und ihre Mutter, eine Psychologin, sowie die beiden älteren Schwestern.

Alle in der Familie sind der Faszination des Fliegens erlegen, seit einer gemeinsamen Reise nach Island. Ist Schaubs Erfindung aber vielleicht doch nur eine glückliche Fügung des Zufalls? Nein, widerspricht die Schülerin, beinahe empört. Ihr Berufswunsch stehe schließlich bereits so gut wie fest: „Ja, ich möchte einmal Pilotin werden, am liebsten in einer der modernen Airbus-Maschinen der Lufthansa.“ Noch in diesem Jahr will Ayla, die ansonsten auch gerne reitet, erstmals mit einem Segelflugzeug über den Harzgipfeln kreisen.

Notlandung auf dem Hudson

Als ihr großes Vorbild hebt die junge Erfinderin den amerikanischen Flugkapitän Chesley Sullenberger hervor. 2009 prallte dessen A 320 mit 150 Passagieren an Bord auf einen Schwarm großer kanadischer Wildgänse. Sullenberger konnte nach einem Turbinen-Ausfall auf dem Hudson-River vor New York erfolgreich notlanden.

Zunächst einmal will die Schülerin nun am 25. April den Girls Day, der Mädchen bundesweit auf technische Berufe einstimmen soll, im Luftfahrt-Bundesamt in Braunschweig erleben. Eingeplant ist zudem eine Visite auf der nächsten internationalen Luftfahrtausstellung in Berlin. Dann möglicherweise schon als Fachbesucherin?