Islamische Ahmadiyya-Gemeinde Islam: Die Abtrünnigen von der Ahmadiyya-Gemeinde

Halle (Saale) - Es ist immer schwer und je weiter es nach Osten geht, umso schwerer wird es. Sheroz Sial ist nun schon einige Monate unterwegs, das Wort seines Gottes Allah und seines Mahdi Mirza Ghulam Ahmad in den Bundesländern auf dem Gebiet der ehemaligen DDR zu verbreiten. Aber das Land und die Menschen, sie sind dem jungen Mann mit dem sorgfältig gestutzten Vollbart ein bisschen rätselhaft geblieben. „Manche kommen und wollen reden“, sagt er, „andere schimpfen gleich los.“
Komische Gegend. Wenn er und die anderen Missionare seiner Glaubensgemeinschaft versuchen, irgendwo ein Café zu mieten oder einen Raum in einem Hotel zu bekommen, klappt das nie im ersten Anlauf. Und manchmal nicht mal, nachdem es schon geklappt hat. „In Görlitz“, beschreibt Sial, der aus Frankfurt am Main stammt und Student ist, „hatten wir einen Vertrag.“ Dann aber habe der Hotelchef angerufen und von Drohungen berichtet. Der ganze Ort werde sein Hotel boykottieren, wenn er die Islamisten reinlasse. „Wir wollen natürlich niemandem schaden und haben was anderes gesucht.“
Denn von wegen „Islamisten“. Sial, Javaid Mubariz, Okan Güvendi und den anderen Ahmedis gehen ja gerade deshalb auf die Straße, um den Menschen zu erklären, dass der Islam ganz anders ist, als ihn Fundamentalisten und Terroristen darstellen. Imam Iftekhar Ahmed, ein voluminöser Mann mit schmalem Lächeln hinter dichtem Bartgestrüpp sagt „Liebe für alle und für niemanden Hass“, so lese er die Botschaft des Koran.
Der Prediger führt die Leipziger Gemeinde der Ahmadiyya Muslim Gemeinschaft. Die wiederum ist ein Sonderfall in der muslimischen Welt: 1888 in Indien gegründet, verstehen die meist aus Pakistan stammenden Anhänger sich als Reform-Muslime.
Imam Ahmed verweist auf die Gleichberechtigung der Frau, die bei Ahmadiyya ebenso selbstverständlich sei wie die Absage an irdische Strafen für Abtrünnige. Diese Lehren beruhten auf den Vorgaben des 1908 in Indien verstorbenen Mahdi Mirza Ghulam Ahmad, der auch bestimmt habe, dass der Islam mit der Wissenschaft vereinbar sein müsse. „Wir wollen einen modernen Islam, der die Herzen der Menschen ergreift“, betont Iftekhar Ahmed.
Die Ahmadiyya Muslim Jamaat entstand in den 1880er Jahren im damaligen Britisch-Indien, heute gehört die Region zu Pakistan. Gründer ist Mirza Ghulam Ahmad. Er wird von seinen Anhängern als „Mahdi“, eine Art Gesandter Gottes, verehrt.
Dass sein Glaube eines Tages auf der ganzen Welt herrschen werde, hält der Prediger für unausweichlich. In 200 Jahren von heute an soll es den Lehren seines Mahdi zufolge soweit sein. Doch Angst müsse niemand haben. „Wir glauben, dass die Menschen den Islam freiwillig annehmen.“
Ahmadiyya will die „Schönheit und Einfachheit des Islam“ wiederherstellen
Die zumeist jungen Leute, die die von London aus regierte Ahmadiyya Muslim Jamaat derzeit in Mitteldeutschland ausschwärmen lässt, um für Toleranz zu werben und für ihren Glauben zu missionieren, sehen sich selbst als Vertreter eines Islam, der jeden politischen Anspruch ablehnt. „Wir sind auch für die Trennung von Staat und Religion“, versichern sie den Leuten, die an ihren Ständen stehenbleiben.
„Das gehört zu den Dingen, die der Koran den Muslimen ursprünglich aufgegeben hat“, sagt der Prediger, der sieben Jahre an der gemeinschaftseigenen Imam-Schule studiert hat. Erst später seien die Passagen dazu von Leuten, die Ahmed abfällig „vermeintliche Koran-Gelehrte“ nennt, falsch interpretiert worden. Ahmadiyya sei nun angetreten, die „Schönheit und Einfachheit des Islam“ wiederherzustellen. „Dazu muss nicht der Islam, sondern dazu müssen die Muslime reformiert werden.“
Eine schwere Aufgabe, erst recht für eine Gemeinschaft, die aus Sicht der islamischen Mehrheitsgesellschaft eine falsche Interpretation des Koran vertritt. Weltweit gibt es zwar „mehrere Zehnmillionen Mitglieder“, wie Ahmed sagt. Unter 1,7 Milliarden Moslems aber sind die Ahmadis nicht mehr als eine winzig kleine Sekte.
Die allerdings zieht Hass und Verfolgung in zahlreichen islamischen Ländern auf sich. „In Pakistan“, berichtet Imam Ahmed über das Land seiner Eltern, „gab es immer Flüchtlingswellen, ween Gesetze verschärft wurden, die uns die Religionsausübung verbieten.“ Ahmadis dürfen sich heute in Pakistan weder als Muslime bezeichnen noch mit „Allah’u akbar“ grüßen. Auch in Indonesien und Bangladesch werden Mitglieder der selbsternannten Reformbewegung verfolgt und diskriminiert.
Anhänger des derzeitigen Kalifen Mirza Masrur Ahmad, aus Sicht der Gläubigen Chef des „Khalifat nach dem verheißenen Messias“, erfahren islamische Intoleranz aber auch in Europa. Seit die Bewegung aus der Islamischen Weltliga ausgeschlossen wurde, ist das Bemühen um einen Dialog mit anderen Glaubensschulen des Islam einseitig. „Wir sprechen mit jedem“, beschreibt Imam Ahmed. Nur die anderen nicht mit ihnen.
Das Zerwürfnis zwischen den muslimischen Hauptströmen und der Reformgemeinde gründet dabei in einem theologischen Streit, den die Beteiligten für grundsätzliche halten. Während die islamische Hauptgemeinschaft Mohammed für den letzten aller Propheten hält, glauben die Ahmadis, ihr Mahdi sei von Mohammed als neuer Prophet erwählt worden. Allah habe den Muslimen versprochen, ihre Religion von Zeit zu Zeit zu erneuern. Mahdi Ahmad sei der Mudschahid („Erneuerer“), der den Koran neu interpretiert habe.
Ahmadiyya-Gemeinde: Zielscheibe für Islamkritiker
Wenn es um die Aufklärung der Ungläubigen geht, darum, Gesicht zu zeigen in der Öffentlichkeit, stehen nun ausgerechnet Sheroz Sial und seine Freunde in der Fußgängerzone, Botschafter des Islam, aber aus Sicht der Mehrzahl ihrer Glaubensbrüder Abtrünnige oder „Ketzer“, wie es Imam Ahmed nennt.
Zugleich werden sie zur Zielscheibe für Islamkritiker, die den Reformern nicht Applaus für ihre Blutspendeaktionen, Charity-Läufe und ihre Fußballfreundschaftsspiele mit Atheisten und Andersgläubigen spenden. Sondern ihnen Zitate aus ihren eigenen Broschüren über „Rechte und Pflichten einer Frau im Islam“ vorhalten, nach denen die Frau „ihrem Mann eine liebevolle und loyale Partnerin sein und nicht gegen ihn opponieren, ihre Natur nicht verleugnen und sich nicht weigern soll, eine Zeit ihres Lebens ihren Kindern zu widmen.“
Empfehlungen, die ebenso die muffige Luft des Mittelalters atmen wie der Artikel in einer Jugendzeitschrift der Gemeinde, in dem „Auswirkungen von Schweinefleischverzehr auf das menschliche Moralverhalten“ erläutert wurden. „Ein schamloses Tier wie das Schwein prägt oder unterstützt die Ausprägung gewisser Verhaltensweisen des Konsumenten“, hieß es da - oder kurz: Schwein essen macht schwul.
„Schwule dürfen in die Moschee“
Der Glaube daran sitzt offenbar tief, Wissenschaft hin oder her. Nach Protesten von Schwulen und Lesben verwiesen die Ahmadis darauf, dass ihr Mahdi schon früher den „zunehmenden Hang zur Homosexualität mit dem Schweinefleischverzehr in unserer Gesellschaft in Verbindung“ gebracht habe.
Auch der Chef der deutschen Ahmadiyya-Gemeinde versicherte damals zudem, dass er sicher sei, dass „die Nahrung Auswirkungen auf den menschlichen Körper und moralisches Verhalten hat.“ Nur diskriminierend sei diese Überzeugung überhaupt nicht. Denn es gelte für alle Ahmadiyya-Gemeinden: „Schwule dürfen in die Moschee“.
Dürfen sie das wirklich? Offen oder nur versteckt? Und wie antwortet die Reformgemeinde heute auf Vorwürfe, auch ihr Islamverständnis diskriminiere Andersfühlende und Andersglaubende? Gar nicht. Weder Sheroz Sial noch Iftekhar Ahmed beantworteten die Frage nach den vermeintlichen Auswirkungen des Genusses von Schweinefleisch auf das menschliche Sexualleben. Das sei ein ganz wichtiger Punkt, versichert Sheroz Sial zwar noch, „zu dem wir uns sowieso äußern wollten“. Aber bei der Absicht ist es geblieben. (mz)