1. MZ.de
  2. >
  3. Mitteldeutschland
  4. >
  5. Inoffizielle MfS-Tätigkeit: Inoffizielle MfS-Tätigkeit: Reifeprüfung für eine IM

Inoffizielle MfS-Tätigkeit Inoffizielle MfS-Tätigkeit: Reifeprüfung für eine IM

Von Steffen Reichert 13.11.2007, 18:46

Halle/MZ. - Am 2. November 1971 macht Oberfeldwebel Plunz von der MfS-Kreisdienststelle Grevesmühlen (Bezirk Rostock) Nägel mit Köpfen. Weil der Geheimdienst im Internat der Erweiterten Oberschule nur einen Inoffiziellen Mitarbeiter (IM) unter den 86 Jugendlichen hat, beschließt er, einen zweiten IM zu gewinnen: einen Internatsschüler. In den Unterlagen von MfS und Volkspolizei wird nach geeigneten Personen geschaut. Die Wahl fällt auf Gudrun Tiedge, damals noch mit dem Mädchennamen Lemke.

Treff an der Tankstelle

Gudrun Lemke ist gerade 18 Jahre alt, besucht die 12. Klasse, hat keine Westkontakte und will später einmal Jura studieren. Die IM "Ernst Oldenburg" und "Braunbär" beschreiben sie als konsequent, ehrlich und zurückhaltend. Am 2. November 1971 wird sie erstmals kontaktiert. Der Stasi-Mann redet mit der Schülerin über ihren Berufswunsch. Die spätere Staatsanwältin versichert, bei der Bekämpfung von Verbrechen mithelfen zu wollen. Für das nächste Treffen, eine Woche später, wird die Kandidatin in die Nähe einer Tankstelle bestellt, der Stasi-Mann holt sie mit dem Auto ab. Sie reden diesmal über die EOS und darüber, wie so die Stimmung im Internat sei.

Das nächste Treffen, neun Tage später, ist für die Verpflichtung vorgesehen. Gudrun Lemke erklärt handschriftlich, "das MfS über alle negativen Erscheinungen und Vorkommnisse" zu unterrichten. Sie wählt "zur Wahrung der Geheimhaltung" den Decknamen "Rosemarie Lehmann". Sie übergibt laut Akte einen Bericht über eine Schülerin und erhält den Auftrag, über ein Wählerforum zu berichten. Die folgenden Treffs finden laut Akte im Abstand von etwa zwei Wochen statt. Zum Abschluss des Abiturs gibt es ein Geschenk für die IM. "Andere Zuwendungen erhielt sie nicht", so die Akte.

Im Sommer darauf beginnt sie ein einjähriges Praktikum bei der Kreisstaatsanwaltschaft Grevesmühlen. Das MfS konstatiert im Anschluss, dass die "Möglichkeiten zur Lösung operativer Aufgaben sehr eingeschränkt waren". Man habe jedoch, um die Bindung ans MfS nicht zu verlieren, den Kontakt aufrechterhalten.

Im August 1973 wird der IM-Vorgang mit Lemkes Wechsel an die Uni Jena an die dortige Dienststelle übergeben. Im November melden die Jenaer Geheimdienstler, dass sie Interesse an der IM haben. Dann aber bleiben Kontaktversuche erfolglos, weil die Studenten zu einem längeren Praktikum unterwegs sind. Im April 1975 kommt es schließlich zum ersten Kontakt mit dem MfS an der Uni.

Akte ins Archiv

In der Sache passiert freilich wenig. Es existieren namentliche Aufstellungen dreier Seminargruppen und ein handschriftlicher Bericht über einen Kommilitonen. In dieser Zeit lernt die junge Frau ihren späteren Mann kennen, so dass sie weniger Zeit und vor allem keine Ausreden ihm gegenüber für konspirative Treffen hat. Das MfS konstatiert mangelnde "Aufgeschlossenheit und Kontaktfreudigkeit", Klubs würden nicht besucht. Die Akte wird im Februar 1977 geschlossen, weil die Zusammenarbeit "nicht sinnvoll" sei und wandert unter dem Akteneichen 536 / 77 ins Archiv nach Gera.

Heute sagt Gudrun Tiedge, ihre Verpflichtung als IM sei der größte Fehler ihres Lebens gewesen. Sie habe dies getan, weil sie geglaubt habe, das Richtige zu tun. "Aber niemand darf Informationen weitergeben, von denen er nicht weiß, was damit passiert."