Innere Sicherheit in Sachsen-Anhalt Innere Sicherheit in Sachsen-Anhalt: Die ganz geheime Panne
Magdeburg/MZ - Das Sicherheitsüberprüfungsgesetz des Landes Sachsen-Anhalt kennt drei Überprüfungskategorien. Die schärfste ist Kategorie Ü 3. Dabei werden nicht nur der zu Überprüfende selber, sondern auch sein Lebensumfeld, Angehörige und Bekannte genauestens unter die Lupe genommen. Die Überprüfung dauert im Schnitt mehrere Monate und kostet pro Person 10 000 Euro. Wer anschließend vom Landesverfassungsschutz als Ü-3-tauglich befunden wird, darf auch Zugang zu streng geheimen Verschlusssachen bekommen, beim Verfassungsschutz arbeiten - oder Mitglied der G-10-Kommission werden.
Mitglied der Roten Hilfe
Jörg Schindler hat die 3-Überprüfung nicht bestanden. Ein Grund dürfte sein, dass der Wittenberger Rechtsanwalt und Kreistagsabgeordnete der Linken Mitglied der Roten Hilfe ist. Ein Verein, der nach eigenem Bekunden politisch links geltende Aktivisten unterstützt, wenn diese mit staatlichen Organen in Konflikt geraten sind. Der Bundesverfassungsschutz ist bereits mehrfach zu dem Schluss gekommen, dass die Rote Hilfe von „Linksextremisten unterschiedlicher ideologisch-politischer Ausrichtung“ getragen und unterstützt werde. Kurz: Schindlers politische Aktivitäten für die Rote Hilfe laufen offensichtlich der Sicherheitskategorie Ü 3 zuwider. Dennoch ist der 42-Jährige seit einigen Wochen Mitglied der G-10-Kommission.
Schindler hat damit theoretisch Zugang zu allen Aktivitäten von Ermittlungsbehörden im Land, die den Artikel 10 des Grundgesetzes einschränken. Darunter fallen Eingriffe in das Post-, Brief- und Fernmeldegeheimnis. Etwa Überwachungen von Telefonen oder des Internetverkehrs einer Person, der besonders schwere Straftaten - etwa Mord und Totschlag, Bandenkriminalität oder terroristische Aktivitäten - vorgeworfen werden.
Dass Schindler trotz massiver Bedenken des Landesverfassungsschutzes von der Parlamentarischen Kontrollkommission (PKK) des Landtages auf Antrag der Linken in die G-10-Kommission berufen wurde, darf euphemistisch als Panne bezeichnet werden. Eine, wenn man so will, Abstimmungspanne in der PKK.
Scharfe Kritik an Bommersbach
Denn am Tag, an dem PKK-Vorsitzender Frank Bommersbach (CDU) über den Antrag entscheiden lassen wollte, herrschte in der PKK ein politisches Patt: Bommersbach und seinem Fraktionskollegen Jens Kolze saßen Sebastian Striegel (Grüne) und - vertretungsweise - Wulf Gallert (Linke) gegenüber. SPD-Vertreter Rüdiger Erben fehlte. Auf die Frage Bommersbachs, ob Schindler gewählt werden könne, stimmte die Union mit Nein, die Opposition mit Ja. Damit war Schindler gewählt. Dass Linke wie Grüne trotz der Ablehnung Schindlers durch den Verfassungsschutz für den Linken stimmten, überrascht angesichts ihrer grundsätzlicher Aversion gegenüber dem Geheimdienst nicht. Den anwesenden Vertretern des Verfassungsschutzes blieben dennoch die Münder offen stehen. Intern wurde Bommersbachs Verhalten, vor allem aber dessen Fragestellung scharf kritisiert. Hätte er anders formuliert, hätte das Patt auch zur Ablehnung der Berufung Schindlers führen können.
Offiziell äußern will und darf sich aus Geheimschutzgründen zu den Vorgängen niemand. „Ich kann das weder bestätigen noch dementieren“, sagt etwa Grünen-Innenpolitiker Sebastian Striegel. Allgemein könne er aber sagen, dass es zur Frage der Besetzung der G-10-Kommission ein gesetzlich vorgeschriebenes Verfahren gebe. „Und mir ist nicht bekannt, dass das nicht eingehalten wurde.“ Sicherheitspolitisch ist Schindlers Berufung der GAU für die Ermittlungsbehörden. Dem Vernehmen nach soll die G-10-Kommission so lange nicht tagen, bis Schindler im Gremium ersetzt ist. In dieser Zeit könnten auf jeden Fall keine Überwachungsmaßnahmen laut G-10-Gesetz beschlossen werden.
Keiner will Entscheidung rückgängig machen
Schindler aus der G 10 zu entfernen, dürfte indes ein politisch heikler, weiter Weg werden. Ob er erfolgreich ist, ist offen. Die Linken müssten ein neues Mitglied vorschlagen, damit Schindler abberufen werden kann. Politisch dürfte die Fraktion daran kein Interesse haben. Fraktionschef Gallert jedenfalls erklärte am Montag: „Ich weiß nichts davon, dass irgendjemand eine Entscheidung der PKK rückgängig machen will.“ Schindler selber sagte, er sei „überrascht“ wegen der Bedenken des Verfassungsschutzes gegenüber seiner Person: „Mit mir hat noch niemand gesprochen.“ Dies hätte hilfreich sein können, „um mögliche Bedenken auszuräumen“.