Hordorf Hordorf: War Zugführer durch Telefonat abgelenkt?
Magdeburg/MZ. - Hat Titus S. zum Unglückszeitpunkt telefoniert? War er deshalb abgelenkt und hat zwei Haltesignale übersehen? Kam es deshalb im Januar 2011 auf eingleisiger Strecke bei Hordorf (Börde) zum Frontalzusammenstoß seines Güterzuges mit einer Regionalbahn, bei dem zehn Menschen starben? Fragen, die am zweiten Prozesstag zum Zugunglück von Hordorf vor dem Landgericht Magdeburg eine zentrale Rolle spielten.
Anwalt hält Totschlag für möglich
Jens Kownatzki, einer der Nebenklage-Anwälte stellte am Mittwoch den Antrag, dem angeklagten Güterzuglokführer einen Hinweis zu erteilen, dass er auch wegen Totschlags statt wegen fahrlässiger Tötung verurteilt werden könnte. Er bezog sich auf einen Vermerk der Polizei, dass es ein solches Telefonat gegeben habe. Damit stehe bedingter Vorsatz im Raum.
Oberstaatsanwältin Martina Klein nannte den Antrag "völlig abwegig". Verteidiger Dietmar Weitzel verwies auf Ermittlungen, die den Polizeivermerk widerlegen würden. "Es ist kein Telefonat geführt worden", sagte er. Der Angeklagte selbst hatte zum Prozessauftakt am Montag gesagt, sich nicht erklären zu können, warum er ein Vorsignal und 700 Meter später ein Haltesignal nicht wahrgenommen habe. Die Auswertung der privaten Handydaten des Angeklagten soll später im Prozess eine Rolle spielen, über den Antrag von Kownatzki wurde noch nicht entschieden.
Ein Fahrdienstleiter, der am Unglückstag im Stellwerk Hordorf Dienst hatte, sagte unterdessen im Prozess aus, Weiche und Signale für den Personenzug des Harz-Elbe-Express auf Fahrt gestellt zu haben - und damit für den Güterzug auf Halt vor dem eingleisigen Bereich der Strecke. Weiche und Signale seien gekoppelt, Fehlermeldungen habe es nicht gegeben. Als er plötzlich den Güterzug gehört habe, habe er sofort per Funk beide Lokführer zum Halten aufgefordert. "Da fuhr der Güterzug schon an mir vorbei." Sekunden später kam es zur Kollision. "Das ist ein Bild, das man nicht vergisst."
41-Jähriger gibt sich schnell Schuld
Mehrere Polizisten berichteten anschließend davon, dass sich der Angeklagte schon am Unglücksort selbst belastet habe. So habe er einer Frau in einem Telefonat nach dem Unglück gesagt, er sei "irgendwo im Osten" und habe ein Signal überfahren. Ein anderer Beamter erklärte, S. habe mehrfach gesagt: "Ich bin schuld". Allen Berichten zufolge machte er einen verwirrten, schockierten Eindruck. Dafür variierten Erinnerungen zur Sichtweite in jener Nebel-Nacht stark: von 25 bis 300 Meter.
Zeugen erklärten zudem, es habe Gerüchte gegeben, wonach S. nicht auf der vorderen, sondern auf der hinteren der beiden Loks gewesen sei, die den Güterzug zogen. Zwei Nebenklage-Anwälte beantragten deshalb nun, einen Zeugen zu laden, der den Lokführer ein ganzes Stück vor Hordorf auf der zweiten Lok gesehen haben will. Das Eisenbahnbundesamt hatte die Variante im Februar 2011 nach ersten Untersuchungen noch klar dementiert.
Auch der Schichtleiter des Angeklagten sah keinen Grund, warum S. mit der zweiten Lok fahren sollte. Einen Wechsel während der Fahrt schloss er aus. Er und ein weiterer Vorgesetzter bezeichneten den 41-Jährigen als gewissenhaften Lokführer, der allein im Jahr zuvor sechs Mal die Unglücksstrecke gefahren sei, alle Schulungen und medizinischen Tests absolviert habe. Sie verneinten indes auf die Frage von Kownatzki, ob im Dienst je eine Rolle gespielt habe, dass S. 2005 wegen vorsätzlicher Straßenverkehrsgefährdung zu einer Geldstrafe verurteilt worden sei.