Himmelsscheibe Himmelsscheibe: Die Jagd nach der «Schale»
Halle (Saale)/MZ. - Es sind schlechte Fotos. Aber sie sind alles, was Experten von dem sehen können, was sie später einen Jahrhundertfund nennen würden. Vor zehn Jahren aber, als die "Himmelsscheibe von Nebra" noch ein Gerücht ist, das in Expertenkreisen kursiert, heißt der Fund "Himmelsschale". Erst als Beamte des Landeskriminalamtes in Magdeburg gemeinsam mit Schweizer Kollegen bei einer fingierten Kaufverhandlung zuschlagen, wird klar, dass die "Schale" eigentlich eine Scheibe ist: Zwei Kilo schwer, türkis schimmernd unter den Goldauflagen, mit einem Durchmesser von 32 Zentimetern etwa so groß wie eine Pizza.
Es ist das Ende einer langen Jagd, das im Souterrain des Baseler Hilton-Hotels stattfindet. Zweieinhalb Jahre zuvor hatten zwei Hobby-Schatzsucher aus dem Mansfelder Land die bronzezeitliche Pretiose auf dem Mittelberg bei Nebra gefunden. Ohne zu ahnen, was für eine Kostbarkeit ihnen in die Hände gefallen ist, verkaufen die beiden Finder das mit Erdreich verbackene Blech, das sie anfangs für einen uralten Eimerdeckel halten, zusammen mit zwei Schwertern und anderen Bronzegegenständen für rund 16 000 Euro an einen halbseidenen Antiquitätenhändler. Der jedoch sucht anschließend monatelang vergebens nach Abnehmern - ein Verkauf an ein Museum in Berlin scheitert, nachdem er dem Direktor erzählt hat, dass der Fund aus Sachsen-Anhalt stammt. Denn hierzulande gilt das sogenannte Schatzregal, nach dem alle Bodenfunde von Bedeutung Landeseigentum sind. Von Berlin aus wird das Landesmuseum in Halle alarmiert. Im ersten Anlauf allerdings noch vergeblich, denn der seinerzeit amtierende Landesarchäologe Siegfried Fröhlich lehnt es ab, mit dem Händler aus Köln zu sprechen.
Das tut dafür Hildegard Burri-Bayer, eine Hobbyarchäologin aus dem Rheinland. Gemeinsam mit Reinhold Stieber, einem Studienrat aus der Nähe von Mönchengladbach, will sie die "Scheibe für Deutschland erhalten", wie sie später vor Gericht sagen wird. Für etwa 116 000 Euro, die eigentlich seine Altersrücklage sein sollten, kauft der begeisterte Sammler von Altertümern aller Art das geheimnisvolle Fundstück, das nach Reinigungsversuchen des Zwischenhändlers mit Ako Pads nun sauberer, dafür aber etwas zerkratzt ist. Der neue Besitzer hat seiner Frau nicht gesagt, dass er seine Rente verpfänden musste, um die Kaufsumme aufzubringen. Ein neuer Käufer muss her, das weiß auch Hildegard Burri-Bayer, die ein großes deutschen Nachrichtenmagazin für die mystische Schatz-Story interessieren kann. Während sie und Stieber mit Harald Meller, dem gerade ins Amt gekommenen neuen Landesarchäologen von Sachsen-Anhalt, über einen Verkauf verhandeln, bereitet das Magazin einen mehrseitigen Bericht über die nun "Sternenscheibe" genannte Bronzeplatte vor. Dann aber geht alles ganz schnell. Harald Meller erklärt sich bereit, die Echtheit des Fundstück bei einem Treffen in der Schweiz zu prüfen. Stieber und Burri-Bayer reisen nach Basel, Stieber trägt den Schatz unter dem Pullover an den Bauch geklebt. Im Hotel endet der Krimi ohne Happy End für die Verkäufer, die gehofft hatten, von Meller 350 000 Euro zu erhalten. Erst klicken die Handschellen, später werden die beiden "Mitglieder einer internationalen Kunsthändlerbande" (Meller) zu Bewährungsstrafen verurteilt.
Schon Stunden später sind der Landesarchäologe und die LKA-Beamten auf dem Weg zurück nach Sachsen-Anhalt, im Gepäck die "unbezahlbare Sensation", wie Meller den Fund wenige Tage später bei der offiziellen Vorstellung nennen wird. Eine Einschätzung, die sich bis heute bewahrheitet hat: Seit im Landesmuseum in Halle vor vier Jahren eine Dauerausstellung rund um die nun "Himmelsscheibe von Nebra" genannte "älteste konkrete Himmelsdarstellung der Welt" (Meller) ihre Pforten öffnete, haben mehr als 750 000 Menschen das 3 600 Jahre alte Meisterstück eines unbekannten bronzezeitlichen Schmiedes bestaunt. Nahe der Fundstelle auf dem Mittelberg entstand mit der "Arche Nebra" zudem ein Besucherzentrum, das bis heute auf rund 350 000 Besucher verweisen kann.
