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Harz Harz: Muffelwild auf dem Rückzug

Von Antonie Städter 22.06.2008, 18:45

Siptenfelde/MZ. - Es ist eine unscheinbar dunkelbraune Mappe, doch sie wird von Holger Piegert gehütet wie ein Schatz: Denn ihre vergilbten Blätter dokumentieren, wie der Europäische Mufflon, eine kleine Wildschafart, im Jahr 1906 auf Initiative eines Hamburger Kaufmanns im Ostharz eingebürgert wurde. "Auf den Lieferscheinen stand ,Damwild', um neugierige Journalisten und Kurgäste fern zu halten", erzählt der Muffelwild-Experte, der früher das Wildforschungsgebiet im Ostharz, Zentrum der Mufflon-Forschung, geleitet hat. Ursprünglich kamen die Tiere nur auf Korsika und Sardinien vor. Heute besitze das Gebiet vom Selketal bis zum mittleren Bodetal mit rund 1 500 Tieren die größte geschlossene Mufflon-Population Deutschlands.

Jedoch war bereits vor zwei Jahren - als "100 Jahre Muffelwild im Harz" gefeiert wurde - spürbar, was der Landesjagdverband Sachsen-Anhalt nun beklagt: Der Bestand der Wildschafe im Harz schrumpft. "Ich gehe davon aus, dass kleinere Populationen ganz verschwinden werden", so Piegert. Im Südharz, zwischen Ilfeld und Sülzhayn, sei die Zahl in den letzten fünf Jahren um etwa 50 Prozent gesunken. Noch drastischer sieht es im Altkreis Wernigerode aus. Die Jagdstrecke, die Aufschluss über den Gesamtbestand der Tiere geben kann, lag mit 25 erlegten Mufflons in der vorigen Saison auf "niedrigstem Niveau", so der Geschäftsführer des Landesjagdverbandes, Dietrich Kramer. "Es ist zu bezweifeln, dass sich die Bestände erholen."

Nun rätseln die Experten, wie es zu dem Muffel-Schwund kommen konnte. Ein Argument, das dabei immer wieder fällt: die Auswilderung des Luchses im Harz vom Jahr 2000 an. Dessen bevorzugtes Beutetier ist das Rehwild, doch auch der Mufflon gehört dazu. Dietrich Kramer sagt: "Die Bestände der Muffel werden da zurückgehen, wo der Luchs sie bejagt." Tatsächlich sind Fälle aus Tschechien bekannt, in denen Luchse ganze Muffelwildpopulationen ausgelöscht haben.

Doch in einigen Gebieten, etwa Bayern, funktioniere das Miteinander von Muffel und Luchs, sagt der Koordinator des Luchs-Projektes im Nationalpark Harz, Ole Anders. "Es gibt bisher keine fundierte wissenschaftliche Aussage, wie sie interagieren." Auch Krankheiten oder harte Winter könnten dem Mufflon zusetzen, einer "Wildart, die hier nicht natürlich vorkommt".

Holger Piegert ist überzeugt davon, dass der Luchs eine Rolle spielt. "Die Mufflons wurden im Harz zu einer Zeit eingebürgert, als es dort keine Luchse mehr gab." Da sie auch in ihrer ursprünglichen Heimat keinen großen Beutegreifern ausgesetzt sind, zu denen der Luchs gehört, sind sie an diesen Feind nicht gut angepasst. Jagdverbands-Chef Kramer drückt das so aus: "Gegenüber dem Luchs sind die Muffel dumme Schafe."

"Wir brauchen einen vernünftigen Überblick über den Luchsbestand, um dann über Lösungen diskutieren zu können", so Kramer. Die Jägerschaft vertrete die Meinung, dass der Harz komplett mit dem Luchs besiedelt ist - "wahrscheinlich in einer Dichte, die über die Biotop-Kapazität hinausgeht".

Genaue Zahlen gebe es nicht mehr, seit der Luchs als Wildart im Harz heimisch geworden ist und sich fortpflanzt, so Luchs-Experte Ole Anders. Da es sich aber um eine territoriale Art handele, die gleichgeschlechtliche Artgenossen in ihrem Revier nicht duldet, sei die Dichte begrenzt. Mit einem Telemetrieprojekt will der Nationalpark zu fundierten Schätzungen kommen. Dafür wurde im Frühjahr der erste Luchs mit einem Senderhalsband ausgestattet. Auch der Jagdverband hat ein Forschungsprojekt zum Luchs initiiert: An der TU Dresden sollen Daten zur Verbreitung, Lebensraumnutzung und zum Bestand ausgewertet werden.

Mufflon-Experte Piegert hofft auf einen Konsens: "Das Muffelwild ist eine Bereicherung der Wälder." Nicht nur für die Jäger, die "sehr viel Geld in die Jagd stecken" - sondern auch für Naturfreunde und Touristen. Denn: "Anders als etwa Rehe sind Mufflons tagaktive Tiere und können auch beobachtet werden", so Piegert. Zudem seien sie "vom Aussehen und von ihrer Lebensweise faszinierende Tiere - wie die Luchse natürlich auch."