Hartz IV Hartz IV: Viel Arbeit, zu wenig Geld
SANGERHAUSEN/MZ. - Irgendwann hatte Christian Heppner seine berufliche Situation satt. Nach der Lehre war er von seinem Betrieb nicht übernommen worden - wie die meisten fertigen Kfz-Mechaniker in seiner Ausbildungsklasse. Für ihn folgte eine unstete Zeit: Hin und wieder hatte der junge Mann aus Sangerhausen Jobs, einmal sogar eine Festanstellung für ein Jahr, dann aber gab es immer wieder auch Phasen der Arbeitslosigkeit. Er schrieb zig Bewerbungen. "Antworten bekam ich fast nie", erinnert er sich. Mehr und mehr litt der leidenschaftliche Schrauber unter dem Zustand, dass es einfach nicht möglich sein sollte, eine sichere Anstellung zu bekommen. "Und das mit einem Abschluss, der eigentlich einmal sehr angesehen war." Also fasste er einen mutigen Entschluss: Er würde sich selbstständig machen. "Ich habe keine andere Möglichkeit mehr gesehen, in meinem Beruf kontinuierlich arbeiten zu können", sagt er heute.
Er fand eine Nische: "Eine Kfz-Selbsthilfewerkstatt gibt es sonst in Sangerhausen noch nicht." Nach Monaten der Vorbereitung mit Terminen bei Gründungsberatern, der Entwicklung eines ausführlichen Konzepts und der nicht ganz einfachen Suche nach einem Kredit für die Startfinanzierung gründete er im Juni 2009 sein Unternehmen. Seither arbeitet der 27-Jährige sechs Tage pro Woche in der Werkstatt auf dem einstigen Mafa-Gelände in Sangerhausen - mitunter länger, als die Öffnungszeiten von 9 bis 18.30 Uhr vorgeben. Für Hobbys hat er keine Zeit mehr. Seinen VW-Sportwagen, an dem er früher gern gebastelt hat, hat er verkauft. Doch: "Für mich ist es das Schönste, hier jeden Morgen herzukommen, meine Werkstatt zu leiten und eigenes Geld zu verdienen."
Trotzdem gibt es eine Sache, die ihn nachdenklich, ja sorgenvoll stimmt: Zwar macht er mit seinem Betrieb keine Verluste. Doch von dem Einkommen aus der Ein-Mann-Firma kann er noch nicht leben. Heppner bezieht zusätzlich Hartz IV - und gehört damit zu der zuletzt deutlich gestiegenen Zahl von Selbstständigen, die auf Geld vom Staat angewiesen sind. Innerhalb der vergangenen vier Jahre ist sie in Sachsen-Anhalt um knapp 50 Prozent angewachsen (siehe "Immer mehr..."). "Viele glauben gar nicht, dass ich Hartz IV bekomme", erzählt er. Oft höre er Sprüche wie: "Du bist doch selbstständig - du hast doch jetzt Geld." Doch der Reparaturmarkt in Sangerhausen sei umkämpft. Und: "Die Werkstatt muss sich erst noch weiter herumsprechen." Dafür legt er sich mächtig ins Zeug - pflegt seinen Internetauftritt, schaltet Anzeigen und verteilt Visitenkarten. Klassisches Klinkenputzen.
Zum Trübsal blasen bleibt keine Zeit - zumal Jammern seine Sache nicht ist. Natürlich: "Langsam wird man ungeduldig: Ich möchte endlich sagen können, dass ich weg bin von Hartz IV", sagt Christian Heppner. Doch er sei froh, dass er eine Aufgabe hat - und Hobby und Beruf dabei zusammenkommen. Auch die Unterstützung von Familie und Freundin hilft. Aufgeben kommt nicht in Frage.
"Das Problem, dass der Verdienst aus der eigenen Firma nicht reicht, haben Selbstständige in vielen Branchen - von der Friseurin bis zum Theaterpädagogen", sagt Christian Landmann. Er ist Geschäftsführer des Jobcenters Mansfeld-Südharz, wo aktuell rund 430 selbstständige Aufstocker betreut werden - darunter auch Christian Heppner. Finanzielle Hilfe sei meist in der Anlaufphase der Firma nötig. "Es gibt aber auch Selbstständige, die auf die Leistungen angewiesen sind, obwohl sie ihr Unternehmen bereits seit mehreren Jahren haben", so Landmann. Das liege oft daran, dass die Geschäfte schwanken - wie bei Künstlern. Die Bedarfsgrenze sei individuell verschieden, erklärt er. Doch jene Selbstständigen, die weniger als 900 Euro Einkommen haben, seien meist leistungsberechtigt.
In den Jobcentern werden die Existenzgründer von fachlich versierten Beratern - etwa Betriebswirten - betreut, heißt es bei der für Sachsen-Anhalt zuständigen Regionaldirektion der Arbeitsagentur. Sie erarbeiten mit den Selbstständigen Strategien, die die finanzielle Bedürftigkeit überwinden helfen sollen. Wenn sich abzeichne, dass der Selbstständige auf lange Sicht auf Hartz IV angewiesen sein werde, suche man einen anderen Weg. Dann, so Sprecherin Bianka Kleschtschow, bemühe sich die Agentur um die Vermittlung eines Jobs auf dem ersten Arbeitsmarkt.
Dass er trotz der eigenen Firma Hartz IV beziehen muss, ist nicht das, was sich Christian Heppner einmal von seiner Selbstständigkeit erträumt hat. Das Geld reicht nur für das Nötigste, große Ausgaben - zum Beispiel für einen Urlaub - sind nicht drin. Doch als er sein berufliches Reich zeigt, ist der Stolz nicht zu übersehen: eine 500 Quadratmeter große Halle, in der drei Hebebühnen, allerlei Reparatur-Gerätschaften und Spezialwerkzeuge bereitstehen und -liegen. Diese vermietet er an Kunden, die ihr Auto selbst reparieren wollen: zum Beispiel Hobbybastler ohne eigene Werkstatt oder Leute, die sich bei kleinen Schäden die Handwerksleistung sparen möchten. Das Werkzeug hat sich Heppner in stundenlanger Kleinarbeit im Internet zusammengekauft.
Daneben schraubt er natürlich auch selbst. Gerade arbeitet er an einem Pkw mit Schaden an der Lichtmaschine. Mit Blick auf seine berufliche Zukunft sagt er: "Ich gehe davon aus, dass ich es schaffe."