Handwerk Handwerk: Fleischermeister in der sechsten Generation
Naumburg)/MZ. - Wenn Thomas Schlegel in die Gewürzkammer geht, dann schließt er hinter sich die Tür. Denn was in seine Bratwurst an Gewürzen kommt, bleibt ein Geheimnis. Und so greifen seine dicken Hände zielgerichtet in die großen Säcke voller Majoran, Kümmel, Salz und anderen Gewürzen. „Das passt schon“, schmunzelt der Naumburger Fleischermeister in sich hinein und streut mit weit ausholenden Bewegungen die Mischung über die Wurstmasse.
Der Fleischerberuf liegt den Schlegels im Blut. Seit nunmehr sechs Generationen hält die Familie die Geschicke ihrer Firma in den eigenen Händen. Thomas Schlegel ist der sechste Meister in der langen Familienlinie, der seine Brötchen mit Wurst verdient. Damit gehört die Fleischerei Schlegel zu den ältesten Familienbetrieben in Sachsen-Anhalt. Und Thomas Schlegel ist sich sogar sicher: „Wir sind die älteste, ununterbrochen familiengeführte Fleischerei im Land.“ Kein leichter Beruf, wie Jens Schumann von der Handwerkskammer Halle unterstreicht: „Diese Betriebe, die selbst herstellen und nichts zukaufen, schwinden leider. Die großen Ketten setzen sich immer mehr durch.“ Für Thomas Schlegel und seine Mitarbeiter gilt deshalb: „Wir können nur durch Qualität überzeugen.“ So sagt es der stämmige Meister und verkostet seine rohe Bratwurstmasse.
Erstes Schlachthaus vor 175 Jahren
Die Geschichte der Fleischerei Schlegel reicht bis in das Jahr 1837 zurück. Damals machte sich Johannes Heinrich Schlegel in Naumburg sesshaft und kaufte der Familie inmitten der Altstadt ein Haus. Dort richtete er seine eigene Fleischerei ein, nachdem er zuvor erfolgreich den Gesellenbrief abgelegt hatte. Am 28. März 1837 war Eröffnung. 26 Jahre später errichtete der alte Schlegel am selben Standort in der Herrenstraße ein eigenes Schlachthaus, eine Räucherkammer und einen Viehstall - keine einhundert Meter vom städtischen Rathaus entfernt. Der Nachfolger, Karl Schlegel, vergrößerte das Unternehmen weiter und kaufte 1877 zunächst das Nachbargrundstück auf, um vor allem das Ladengeschäft erweitern zu können. Karls Sohn Friedrich übernahm das Firmenzepter 1902 und vergrößerte den Fleischereibetrieb weiter. Friedrich Schlegel war es auch, der die Fleischerei weit über die Stadtgrenzen hinaus bekannt machte. Er hatte die geniale Idee eines Wurstversandes in ganz Deutschland. Besonders in Hessen war man gut auf die schlegelschen Fleisch- und Wurstwaren zu sprechen. Gut situierte Wirtshäuser im Hessischen servierten ihren Gästen Wurst von der Fleischerei Schlegel aus Naumburg.
Und auch Karl Schlegel, der das Geschäft im Jahre 1930 von seinem Vater Friedrich übernahm, führte das Unternehmen sicher weiter. Ihn zeichnet aus, in den schweren Zeiten des Krieges das Geschäft weiter ausgebaut zu haben. Sein Sohn Karl-Heinz bekam 1956 die Firma übertragen und brachte neuen Schwung in den Laden. Als Obermeister der Naumburger Fleischerinnung erwarb sich Karl-Heinz Schlegel einen angesehenen Ruf. Leider verstarb er frühzeitig und so musste dessen Frau Marie für ein Jahr die Geschicke der Fleischerei lenken. Ihr Sohn und heutiger Besitzer Thomas war mit seinen 21 Jahren noch nicht so weit, die Firma zu leiten. Ein Jahr später aber schon schloss Thomas Schlegel seine Lehre ab und erwarb als jüngster selbstständiger Fleischermeister im damaligen Bezirk Halle den Meisterbrief. Zusammen mit seiner Ehefrau Kerstin schmeißt er seitdem den Laden.
Vater vererbt immer auf den Sohn
Qualität ist auch das Schlagwort, mit dem die Schlegels nun schon in sechster Generation ohne Unterbrechung ihre Familienfleischerei führen. Stets vererbte der Vater das Geschäft auf seinen Sohn. Das soll auch in Zukunft so bleiben. Und so setzt Thomas Schlegel all seine Hoffnungen auf den achtjährigen Johannes, nachdem die beiden älteren Söhne beruflich andere Wege eingeschlagen haben. Als jüngster Spross der Familie mischt Johannes schon kräftig im elterlichen Betrieb mit. „Ich werde mal Fleischer“ prognostiziert der Steppke mit kindlicher Unschuld bei fast jeder sich bietenden Gelegenheit. Sehr zur Freude des Vaters, der sich ein Schmunzeln nicht verkneifen kann, wenn sein Sprössling frühmorgens schon mal das Schlachthaus inspiziert und die Gesellen fragt, ob sie denn auch ordentlich arbeiten würden. „Er hat die richtigen Gene“, macht sich Vater Schlegel Mut.
Ein Herz für den 1. FC Magdeburg
Eine besondere Leidenschaft des agilen Fleischermeisters darf an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben. Als 1974 der 1. FC Magdeburg im Europa-Pokalfinale den AC Mailand sensationell mit 2:0 schlug und somit als erster DDR-Fußballverein die europäische Pokaltrophäe errang, entflammte das Herz des jungen Thomas zu dem blau-weißen Traditionsverein. Seitdem zählt Thomas Schlegel zu dessen treuesten Fans.
Auch wenn es in diesen Tagen sportlich nicht allzu rosig in Magdeburg aussieht, hält Thomas weiter eisern zur Stange und reist seinem Verein fast jedes Wochenende hinterher. Sein größter fußballerischer Albtraum: Erz-Rivale Hallescher FC schafft den Aufstieg in die dritte Bundesliga. „Dann gibt es kein Derby mehr und wir kriegen in Magdeburg unser schönes Stadion nicht mehr voll.“
Trotz der Belastung, die Beruf, Familie und die Bewahrung der Tradition mit sich bringen, sind die Schlegels glücklich. „Ich könnte mir nichts anderes vorstellen“, sinniert der 49-jährige Meister in stillen Momenten, wenn er bei einer guten Zigarre und einem Glas Metaxa auf seiner kleinen, über dem Schlachthaus liegenden Terasse sitzt und den Glocken der nahen Wenzelskirche lauscht - keine einhundert Meter vom städtischen Rathaus entfernt.