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Gerichtsverfahren Gerichtsverfahren: «In mir ist alles leer, wie tot»

Von Katrin Löwe 30.01.2006, 19:13

Schochwitz/MZ. - Jener 9. März 2002 ist für Johanna Peter auf ganz tragische Weise unvergesslich geworden. Die Postfrau aus Schochwitz hatte sich an jenem Sonnabend nach dem Dienst gerade ein Bad eingelassen, als ihr Sohn Andreas von einer Feuerwehrschulung kam. "Er wusste, dass ich Essen gekocht hatte", erzählt die 53-Jährige. Nur deshalb war er nach Hause gekommen, statt mit Freunden zum Schnellimbiss zu fahren. Nur deshalb war er da, als die Feuerwehrsirene im Ort heulte. "Mach's gut, ich komme gleich wieder", sagte der 21-Jährige zu seiner Mutter. Es waren die letzten Worte, die sie von ihm hörte.

Andreas Peter fuhr mit seinen Kameraden von der Schochwitzer Wehr zu einem Unfall auf der Harzstraße. Dort geschah es: Ein Pkw preschte an der Autoschlange vor der Unfallstelle vorbei, erfasste den 21-Jährigen und einen weiteren Feuerwehrmann. Das Auto kam erst zum Stehen, als es noch einen Streifenwagen der Polizei gerammt hatte. Peter, mehrere Meter durch die Luft geschleudert, wurde schwer verletzt in die hallesche Klinik Bergmannstrost eingeliefert.

"Erst hieß es noch, es sei nichts weiter", erinnert sich Vater Rolf Peter heute an den Moment, als ein Feuerwehrmann ihn von zu Hause abholte und zur Unfallstelle brachte. Wie schlecht es tatsächlich um ihren Sohn stand, erfuhren die Peters erst später. Als man der Mutter davon abriet, ihren Sohn im Krankenzimmer zu besuchen. Als die Ärzte irgendwann eingestanden, dass es wenig Überlebenschancen gab. Fünf Tage nach dem Unfall wurden die Maschinen abgestellt, die den gehirntoten jungen Mann am Leben erhalten hatten.

Seitdem hat sich das Leben der Familie verändert. "In mir ist alles leer, wie tot", sagt Johanna Peter. Freunde und Familienmitglieder sind da, um zu helfen. Die Kollegen von der Post in Halle-Neustadt nehmen Rücksicht. Doch die schlaflosen Nächte kann Johanna Peter niemand nehmen. Auch nicht dieses irrationale schlechte Gewissen, das sie immer wieder befällt. "Ich konnte nicht einmal mehr etwas essen, weil ich dann sofort daran denken musste, dass er auch nicht mehr essen kann", sagt sie. Ehemann Rolf hat im Auto ein Bild seines Sohnes, das er jedesmal streichelt, wenn er an der Unfallstelle vorbeifahren muss. Seit er arbeitslos ist, hat er viel Zeit zum Grübeln. Das Reden über den Unfall fällt ihm schwer. "Hier herrscht oft tiefes Schweigen. Jeder hängt seinen Gedanken nach", sagt Johanna Peter. Der Tod des Sohnes ist auch eine Belastung für die Ehe der Schochwitzer geworden.

Zur Tagesordnung übergehen, "das geht nicht", sagt der 55-Jährige. Das Unglück ist auch heute, vier Jahre danach, noch allgegenwärtig. Umso mehr, wenn ab Freitag der nächste Prozess gegen Unfallfahrer Olaf T. aus Halle beginnt. Das Amtsgericht hatte ihn 2005 freigesprochen vom Vorwurf, fahrlässig den Tod des jungen Feuerwehrmanns verursacht zu haben. T. soll damals einen epileptischen Anfall erlitten haben, der zu dem Unfall führte. Obwohl er seit Jahren unter Nacht-Epilepsie litt, durfte er ohne Auflagen Auto fahren.

Gegen den Freispruch ging die Staatsanwaltschaft in Berufung. Nun wird das Verfahren vor dem Landgericht Halle noch einmal aufgerollt. Ein schwerer Weg für die Peters. "Wir haben Angst vor dem Prozess. Aber das sind wir unserem Sohn schuldig. Wir wollen Gerechtigkeit", sagt die Mutter. Und eine Rekonstruktion des Unfalls, um genau klären zu können, was damals passiert ist.

Ob ihr Leben nach der Verhandlung wieder anders werden wird, die Peters bezweifeln es. Andreas' fröhliche Art, seine Umarmungen werden weiter fehlen. Sein Engagement - ob nun in jahrelanger Arbeit bei der Feuerwehr oder als Freund, der offen auf andere zuging und da war, wenn jemand Hilfe brauchte. Andreas Peter starb, als er anderen helfen wollte. "Dabei hat er doch selbst von seinem Leben noch nichts gehabt", sagt seine Mutter.