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Geldautomatensprengungen Geldautomatensprengungen: Sind die beiden Gefassten die Serientäter?

Von Katrin Löwe 05.09.2014, 06:28
In der Sparkasse Neundorf wurden die Männer gestellt.
In der Sparkasse Neundorf wurden die Männer gestellt. Gehrmann Lizenz

Neundorf - Sie wollten offensichtlich auf Nummer sicher gehen. Die Überwachungskameras der Sparkassenfiliale in Neundorf (Salzlandkreis) hatten sie bereits mit Farbspray unbrauchbar gemacht. Vor dem Gesicht trugen die beiden Männer Latex-Masken. Es waren keine 0815-Clownsmasken. Sie wirkten so täuschend echt, dass man sie auf Kamerabildern auf den ersten Blick für normale Gesichter hätte halten können. Die Männer waren bereit. „Gasflaschen waren schon aus dem Auto ausgeladen, Schläuche und Kabel ausgelegt“, sagt Kriminalhauptkommissarin Petra Gabriel. „In dem Augenblick haben unsere Spezialkräfte zugegriffen“, berichtet die Chefin der Ermittlungsgruppe „Explosion“. Einer der Männer hat versucht zu fliehen - erfolglos angesichts der Übermacht der Einsatzkräfte.

In diesem Jahr hat es in Sachsen-Anhalt ohne den jüngsten Versuch in der Nacht zum Donnerstag bereits elf Automatensprengungen gegeben - mehr als im kompletten Vorjahr. Bis auf einen Fall Ende Mai in Hohenthurm (Saalekreis) ereigneten sich alle im Harz beziehungsweise im Norden des Landes. Eine Auswahl:

In Ilsenburg (Harz) wird versucht, einen Automaten zu sprengen. Mehr als eine Verpuffung gelingt nicht. Es ist der Auftakt einer Serie im Harz.

Erneut schlagen Unbekannte in Ilsenburg zu - diesmal erfolgreich.

In Wasserleben (Harz) scheitert ein Sprengversuch.

An einer Post in Quedlinburg werden mehrere tausend Euro erbeutet. Allerdings detoniert auch eine Farbbombe, die einen Teil unbrauchbar macht.

Diesmal schlagen Täter an einer Quedlinburger Tankstelle zu - erfolgreich. Gasflaschen lassen sie zurück, die Polizei fahndet nun mit Bildern einer Überwachungskamera.

In Seehausen (Börde) bleibt ein Sprengversuch erfolglos.

In Neundorf (Salzlandkreis) werden zwei Verdächtige auf frischer Tat gestellt. Ihnen werden derzeit mindestens die Fälle vom 28. Mai, 11. und 18. Juni angelastet.

Um 0.45 Uhr in der Nacht zum Donnerstag endete die Serie von Geldautomatensprengungen, die Sachsen-Anhalt seit Monaten in Aufregung versetzt hat - oder zumindest eine davon. Noch ist unklar, ob es weitere Banden gibt oder die beiden 37 und 38 Jahre alten Festgenommen für mehr als die vier Taten verantwortlich sind, die ihnen aktuell vorgeworfen werden. Insgesamt sind allein in diesem Jahr elf Automaten gesprengt worden, um noch vor Ort an das Geld darin zu kommen. Es ist die moderne Form des Banküberfalls. Der Automat in Neundorf wäre der zwölfte gewesen, hätten Fahnder die Männer nicht gestoppt.

Zwölf Beamte plus Spezialkräfte

„Sie hatten eine hohe kriminelle Intelligenz, aber die kriminalistische Intelligenz war am Ende höher“, sagt Jürgen Schmökel, Direktor des Landeskriminalamtes (LKA). Nachdem zunächst im Harz eine Sonderkommission „Ilse“ ermittelt hatte, weil sich dort seit März die Fälle häuften, hatte sich im Juli auch das LKA eingeschaltet. Die gemeinsame Ermittlungsgruppe „Explosion“ sei zwischenzeitlich trotz Urlaubszeit auf zwölf Beamte aufgestockt worden, sagt deren Chefin Gabriel - plus Spezialkräfte. Sie werteten neben Tatortspuren vor Ort auch zahlreiche digitale Spuren aus, unter anderem von Mobiltelefonen. Zwölf- bis 16-Stunden-Arbeitstage seien für einige Beamte die Regel gewesen.

Wie die Fahnder den Räubern auf die Schliche kamen, lesen Sie auf Seite 2.

Einen ersten Hinweis auf die jetzt festgenommenen Männer hat es nach Gabriels Angaben bereits Mitte Juli gegeben. „Nach und nach ergab das Puzzle aus Spuren und Zeugenaussagen dann ein Bild.“ Zwischenzeitlich war neben der sachsen-anhaltischen sogar die bayerische Polizei involviert. Die Verdächtigen hätten einen größeren Reiseradius gehabt, heißt es, auch wenn es derzeit keine Erkenntnisse gibt, dass sie außerhalb Sachsen-Anhalts zugeschlagen haben.

Richtig lag die Polizei mit ihrer schon früh geäußerten Vermutung, dass sie aus der Region kommen. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft stammen die Verdächtigen aus dem Harz, lebten aber in Magdeburg. Und waren offensichtlich zwischenzeitlich im Urlaub. So erklärt sich für die Polizei die Pause in der Serie seit Ende Juni, nachdem es vorher teilweise im Wochenrhythmus Sprengungen gab.

Keine Beute aufgetaucht

Jetzt habe es aber Hinweise gegeben, dass die Männer erneut zuschlagen wollten, so Gabriel. Das Problem: Die Polizei wusste nicht, wann und wo genau. Seit Montag waren die Fahnder deshalb mit viel Personal ganz nah an den mutmaßlichen Tätern dran. Auch mit der Sparkassen-Filiale in Neundorf hatten sich die beiden Männer letztlich ein Gebäude ausgesucht, in dem Menschen leben. Über der Filiale befinden sich laut Polizei vier Wohnungen.

Nach deren Festnahme hat es bei den Tatverdächtigen weitere Durchsuchungen gegeben. In einer Garage sei eine Gasflasche gefunden worden, in einem Auto weitere Gegenstände, die für Sprengungen in Frage kommen, hieß es. Größere Geldmengen aber seien nicht aufgetaucht - der Verbleib der Beute muss noch geklärt werden. Zumindest in einem Fall, der den Männern angelastet wird - der Sprengung an einer Quedlinburger Tankstelle - war im Juni von vermutlich mehreren zehntausend Euro Beute die Rede.

An der Tankstelle hatten die Täter auch die Gasflaschen zurückgelassen - ähnlich wie in Seehausen (Börde), wo ihr Coup allerdings scheiterte. Wie viel Beute die Verdächtigen gemacht haben könnten, lässt die Polizei offen, weil noch unklar ist, für wie viele Taten sie am Ende in Frage kommen. Insgesamt lag die Beute bei elf Fällen seit Jahresbeginn bei mehr als einer halben Million Euro.

Für die Soko „Explosion“ gehen die Ermittlungen weiter, so Gabriel. Die Polizei hofft, dass erst einmal Ruhe einkehrt. Oberstaatsanwalt Nopens warnt aber auch: „Man darf nicht dem Irrglauben erliegen, damit würden Automatensprengungen insgesamt aufhören.“ Mit Hilfe der Explosionen durch ein Gasgemisch an Geld zu kommen sei weit verbreitet. Noch ungeklärt sind zudem Fälle im Harz, bei denen Täter mit Baggern Wände in Bankfilialen eingerissen und ganze Geldautomaten aus der Verankerung gezogen und mitgenommen hatten, um sie später zu öffnen.

Am Freitag wurden die beiden Männer dem Haftrichter vorgeführt. Es wurde laut LKA ein Haftbefehl wegen des Herbeiführens einer Sprengstoffexplosion in vier Fällen, Diebstahl im Besonders schweren Fall, Diebstahl mit Waffen und Urkundenfälschung erlassen. Die Männer wurden in das Gefängnis in Magdeburg gebracht. (mz)

Ermittler sichern an einer Quedlinburger Tankstelle Spuren, nachdem im Juni dort ein Geldautomat gesprengt wurde.
Ermittler sichern an einer Quedlinburger Tankstelle Spuren, nachdem im Juni dort ein Geldautomat gesprengt wurde.
Wohlfeld/Archiv Lizenz
Bei der Tat ließen die Verdächtigen ihr Werkzeug zurück - die Polizei veröffentlichte später das Bild der Gasflaschen.
Bei der Tat ließen die Verdächtigen ihr Werkzeug zurück - die Polizei veröffentlichte später das Bild der Gasflaschen.
Polizei Lizenz