Flüchtlinge in Sachsen-Anhalt Flüchtlinge in Sachsen-Anhalt: Arbeitsagentur hilft bei Jobsuche

Halberstadt - Shukri Badawi ist ungeduldig. Der 44-jährige Syrer will arbeiten. Als Arzt, wie schon in seinem Heimatland, aus dem er geflohen ist. Vor dem Krieg, vor Gewalt und Terror. Seit einigen Wochen lebt er in Halberstadt in der Zentralen Aufnahmestelle des Landes Sachsen-Anhalt für Flüchtlinge, kurz Zast genannt. An diesem Mittwochmorgen spricht er konzentriert und mit gedämpfter Stimme mit Samir Mulla-Osman von der Bundesagentur für Arbeit. Der Übersetzer, selber Syrer, erklärt ihm auf Arabisch, um was es geht bei diesem Termin im Zimmer 006: Kompetenzen und berufliche Qualifikationen sollen erfasst werden. Damit die Chancen für den Flüchtling steigen, in Sachsen-Anhalt Arbeit zu finden. Doch auch das Land soll profitieren, indem die Möglichkeiten wachsen, dass gut ausgebildete Flüchtlinge hier Arbeit finden und bleiben. Mit am Tisch sitzt Michael Krebs, Vermittler der Arbeitsagentur. Gelegentlich fragt er nach, lässt sich Teile des Gespräches übersetzen.
Das Gespräch ist für Badawi der erste Schritt der Arbeitssuche. Und es ist Teil eines Projektes der Bundesagentur für Arbeit, mit dem in Halberstadt eine „möglichst frühe gesellschaftliche Integration“ der Flüchtlinge gefördert werden soll, sagt Kay Senius. Der Chef der Arbeitsagenturen in Sachsen-Anhalt ist in die Zast gekommen, um das bundesweit beispielhafte Vorhaben zu präsentieren. Es soll in andere Länder ausstrahlen. „Wir sammeln Erfahrungen auch für andere Zentrale Aufnahmestellen.“
Seit Jahresbeginn sind in Sachsen-Anhalt 13.000 Flüchtlinge angekommen. Die größte Gruppe kommt laut Innenministerium aus Syrien: Bis Ende August waren es 4 250 Menschen. Die zweitgrößte Gruppe waren Albaner, von denen 1.500 ins Land kamen. Nach den letzten Prognosen werden bis zum Jahresende rund 23.000 Flüchtlinge im Land erwartet.
Die Behörden arbeiten an zusätzlichen Kapazitäten für die Unterbringung. In den Erstaufnahmeeinrichtungen des Landes sind aktuell 2 500 Menschen untergebracht, wie das Innenministerium gestern mitteilte. Das vorübergehend als Flüchtlings-Unterkunft genutzte Maritim-Hotel in Halle wird seit Sonntag allerdings nicht mehr genutzt. Es soll bis Oktober als Landesaufnahmeeinrichtung eingerichtet werden.
In der Zentralen Anlaufstelle in Halberstadt (Zast) leben 2 050 Menschen, in der Außenstelle Quedlinburg 150. Knapp 250 Flüchtlinge sind zudem auf einem Bundeswehrgelände in Klietz (Altmark) untergebracht. Weitere Kapazitäten sollen sechs Jugendherbergen verschaffen.
Und Senius hat dabei den Arbeitsmarkt im Blick, den sich abzeichnenden Fachkräftemangel in Sachsen-Anhalt. So fehlen im Landessüden Fachleute in der Chemie. Landesweit gibt es Bedarf bei den Pflegeberufen, in Teilen des Handwerks, im Gesundheitswesen. Das Interesse ist da, die Tendenz eindeutig: Etliche Arbeitgeber haben signalisiert, dass sie sich gut vorstellen können, freie Stellen mit gut ausgebildeten Asylbewerber zu besetzen.
Ein Weg, den Badawi gerne einschlagen möchte. Einer der Sozialarbeiter in der Zast hatte ihm einige Tage zuvor den Termin bei den Arbeitsvermittlern angeboten, er griff sofort zu. Am Beginn des Gespräches erläutert Mulla-Osman eine Datenschutzerklärung. Ihr muss Badawi zustimmen, bevor seine Daten in den Bestand der Arbeitsagentur eingetragen werden können. Er willigt ein, legt seinen gelben Zast-Hausausweis vor, damit Krebs Name und Geburtsdatum notieren kann. Dann füllt Mulla-Osman einen Fragebogen mit den Daten aus, die ihm der 44-jährige Syrer nennt. Das Papier liegt in Arabisch auf dem Tisch. Schulzeiten werden abgefragt - Krebs kennt die Rubriken, nickt beim Eintragen der Daten: 1977 eingeschult, Abitur 1990. Eine zweijährige Ausbildung zum Anästhesisten folgt, danach Arbeit im Krankenhaus. Mulla-Osman und Krebs sind zunächst etwas irritiert, war ihnen Badawi doch als Chefarzt angekündigt worden. Von „Arzthelfer“ ist nun die Rede. Ein Wort, das auch Badawi versteht und bestätigt.
Aber der Syrer fährt fort: Die Ausbildung ging weiter, von 1996 bis 2002 mit einem Medizinstudium in St. Petersburg. Zunächst habe er dann zwei Jahre als Allgemeinmediziner gearbeitet, erklärt der 44-jährige dem Übersetzer. Krebs entspannt sich spürbar, zeichnet sich nun doch das erwartete Profil ab. Erst recht, als Badawi von den Jahren 2009 bis 2015 berichtet, in denen er im Nationalkrankenhaus als Facharzt für Anästhesie gearbeitet hat, die letzten fünf Jahre in leitender Funktion.
Welche Hürden auf die Flüchtlinge auf dem Weg zu einem Job zukommen, lesen Sie auf Seite 2.
Zeichner mit Berufserfahrung
Shukri Badawi ist einer von inzwischen rund einem Dutzend Flüchtlingen aus Syrien, die von den beiden Mitarbeitern der Arbeitsagentur befragt worden sind. Krebs nennt weitere Beispiele. Da ist etwa der 36-jährige technische Zeichner mit mehr als zehn Jahren Berufserfahrung. Der fünf Jahre in den Golfstaaten arbeitete, dort Baupläne erstellte. Oder der 17-jährige Abiturient, der um Hilfe bei der Suche nach einem Studienplatz bittet. Auch ein 37-Jähriger, der in Syrien nach seiner Schilderung sein Hobby zum Beruf machte und sein Geld als Reitlehrer verdient hat. Bessere Chancen auf einen Job hätte er allerdings, wenn er seine Ausbildung als Elektromechaniker nutzen würde, sagt Krebs.
Ungeduldig wie Badawi sind auch die übrigen syrischen Flüchtlinge, die bei Krebs und Mulla-Osman vorsprechen. „Sie wollen mehr“, sagt Krebs, heraus aus der Zast mit ihren mehr als 2.000 Bewohnern, mit der kleinen Zeltstadt und viel Improvisation. Krebs kennt jedoch die Hürden. Die fehlenden Deutsch-Kenntnisse sind eine davon. Und an eine Arbeitsvermittlung ist ohnehin erst zu denken, wenn die Flüchtlinge eine Aufenthaltserlaubnis haben oder wenn ihr Asylverfahren läuft und sie mindestens drei Monate in Deutschland sind. Und in ihrem erlernten Beruf dürfen sie ohnehin erst arbeiten, wenn ihre Abschlüsse anerkannt sind.
Darauf werden Badawi und die anderen von Mulla-Osman hingewiesen. Er hält dabei ein Faltblatt des IQ-Netzwerks Sachsen-Anhalt in der Hand - IQ steht für „Integration durch Qualifikation“. Bundesweit wird unter dem Label die Eingliederung von Migranten gefördert, ein Schwerpunkt ist die Prüfung und Anerkennung von Abschlüssen. Liegen Papiere vor, ist das vor allem ein formaler Akt. Ohne Papiere sind die Praktiker gefragt. So könne eine Prüfung klären, ob ein Friseur oder ein Zahntechniker sein Handwerk versteht, sagt Krebs. Mediziner könnten in einem Praktikum ihre Fähigkeiten zeigen. „Viele wissen schon, dass sie nicht gleicht arbeiten können“, sagt Mulla-Osman. Und die Arbeitsvermittler denken weiter: Die Ergebnisse der Gespräche mit den Flüchtlingen sollen genutzt werden für eine Empfehlung, wohin sie nach ihrer Zeit in der Zast geschickt werden - eben in einen Landkreis, in dem es Arbeit für sie gibt.
Interesse an weiterer Beratung
Auch Shukri Badawi ist klar, dass er ohne die Anerkennung seiner Abschlüsse nicht als Anästhesist wird arbeiten können. Er nimmt die kleine Mappe in Empfang, in die Krebs Fotokopien der Unterlagen und das IQ-Faltblatt geschoben hat. Und er hat noch Fragen, möchte gerne weiter beraten werden. Ja, er könne jederzeit wiederkommen, betont Krebs. Mulla-Osman gibt ihm eine Telefonnummer für die Kontaktaufnahme. Mediziner wie ihn, sagt Arbeitsvermittler Krebs, suchen etliche Krankenhäuser. Wenn Badawi deutsch gelernt hat und seine Abschlüsse anerkannt sind, „dann hat er sehr gute Möglichkeiten.“ (mz)
