Flucht aus Ostpreußen Flucht aus Ostpreußen: «Darüber will ich nicht mehr reden»
Halle/MZ. - Die kleine alte Frau mit den weißen Haaren ist in ihrem Kiez in Halle-Ost bekannt. Jeden Tag ist sie unterwegs und füttert fremde Katzen. "Sie tun mir so leid. Die haben immer Hunger. Und Hunger ist etwas grausames." Die achtzigjährige Gerda Granow (Name geändert) hat nie vergessen, was Hunger bedeutet. Damals, im Januar und Februar 1945, als Ost- und Westpreußen von der Roten Armee überrollt wurden, lernte sie ihn kennen und er blieb ihr Begleiter während ihrer Gefangenschaft in einem Lager hinter der Wolga. Fünf Jahre lang.
"Eine Verwandte erzählte mir, dass der Film 'Die Flucht' gesendet wird. Aber ich schalte nicht ein." Erna Granow, die aus Elbing in Westpreußen stammt, steht mit freien Oberarmen unter einer Kittelschürze im kalten Treppenaufgang zu ihrer Wohnung und friert.
"Über Flucht und Vertreibung will ich nicht mehr reden." Mehr als 60 Jahre nach dem Untergang Ostpreußens erstickt noch immer ihre Stimme und werden ihre Augen feucht, wenn sie daran denkt, was ihr sowjetische Soldaten angetan haben - ihr und vielen anderen Mädchen und Frauen, die sich nicht in Sicherheit bringen konnten. Die Schrecken der Flucht teilte sie 1944 / 1945 mit etwa zwölf Millionen Deutschen. Aus den einstigen deutschen Gebieten Ostpreußen, Westpreußen, Pommern, Brandenburg und Schlesien flüchten schlecht ausgerüstete Trecks vor der Roten Armee. In besonders auswegloser Lage sind die Flüchtlinge aus Ostpreußen. Am 13. Januar griffen sowjetische Verbände die 2. und 3. deutsche Armee an, brachen im Norden nach Königsberg durch und zielten im Süden nach dem westpreußischen Elbing. Damit war die 4. deutsche Armee und Ostpreußen in die Zange genommen, Fluchtwege abgeschnitten.
Jetzt begann der Wettlauf gegen die Zeit. Divisionen des Panzerkorps "Herman Göring" hielten noch für kurze Zeit Korridore offen. Alle Hoffnung für die viel zu spät aufgebrochenen Flüchtlingstrecks - die Nazis hatten die Flucht lange verboten - lag jetzt bei den Ostseehäfen der deutschen Kriegsmarine, die mit allem was schwamm, die größte maritime Rettungsaktion der Geschichte startete.
Nachdem der Landweg unpassierbar wurde, zogen die Trecks über das zugefrorene Frische Haff und die Frische Nehrung gen Danziger Hafen. Wenn sie die Gewässer nach Tieffliegerbeschuss und Panzerattacken erreichten, mussten sie durch knöcheltiefes Eiswasser waten. Fuhrwerke brachen ein und versanken mit Mensch und Material in den eisigen Fluten. Auch die fliehenden Frauen, greisen Männer und kleinen Kinder zahlten den Preis für die Verbrechen der Nationalsozialisten, sie wurden deren letzte Opfer. Aber auch wer es bis in den Danziger Hafen und auf ein Schiff schaffte, war nicht in Sicherheit. Am 30. Januar wird das zur Evakuierung eingesetzte Kreuzfahrtschiff "Wilhelm Gustloff" von einem U-Boot torpediert und versinkt. In der größten Seefahrtkatastrophe der Geschichte ertrinken 9 300 Menschen.
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Kennwort: Flucht und Vertreibung
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