Fleischerzeugung Fleischerzeugung: Zwischen Biofleisch und Turbomast

Halle (Saale)/ - Einfach idyllisch: Ein Schwein rüsselt auf einer Streuobstwiese unter Apfelbäumen, findet herabgefallene Äpfel und lässt sie genüsslich zwischen seinen Kiefern zerknallen. Der Saft läuft aus dem Maul und es grunzt zufrieden. Ein ordentliches Schnitzel oder Kotelett von diesem Tier - das wünscht sich der Beobachter einer solchen Szene. Sie ereignete sich übrigens in der Normandie, und dürfte auch dort Seltenheitswert haben. Doch die Lage für Schweine in Deutschland hat mit einer solchen Idylle wirklich überhaupt nichts gemein.
Jährlich werden 58 Millionen Schweine geschlachtet
58 Millionen Schweine werden jährlich hierzulande geschlachtet, damit ist die Bundesrepublik Europameister. Knapp 60 Kilogramm Fleisch isst jeder Deutsche im Schnitt pro Jahr, knapp 40 davon stammen vom Schwein. Bei der Vermarktung scheint es nur eine Devise zu geben: billiger, billiger, billiger. Unter sechs Euro war das Kilogramm Schnitzelfleisch kürzlich in einer Supermarktkette zu haben, ein bekannter Discounter zog mit 4,99 Euro sofort nach. Damit Schweinefleisch so billig angeboten werden kann, wird es unter miserablen Bedigungen erzeugt - kommentiert die Umweltschutzorganisation Greenpeace.
Miserable Bedingungen - davon wollen die meisten Konsumenten allerdings nichts hören und nichts wissen. Eine Mehrheit lehnt bei Befragungen Massentierhaltung regelmäßig ab. Biofleisch, das alternativ erzeugt wird, stuft jedoch ebenso regelmäßig dieselbe Mehrheit als zu teuer ein. Dem Handel, der immer wieder neue Runden im Preisverfall einläutet - die letzte erst im März dieses Jahres -, argumentiert: Der Kunde will es ja so billig. 70 Prozent des Fleisches im Supermarkt werden über Sonderangebote verkauft!
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Doch erste Anzeichen eines Umdenkens sind zu verzeichnen. Wenn auch nur gering: Der Fleischkonsum ist in den letzten Jahren leicht gesunken. Ein neuer Schlachthof gigantischen Ausmaßes wird in Bernburg nun doch nicht gebaut - der Investor zog sich nach massiven Bevölkerungsprotesten zurück. Immer mehr Menschen besinnen sich auch, essen weniger oder verzichten zumindest von Zeit zu Zeit ganz auf Fleisch. Als Beleg mag das nahezu inflationäre Ausmaß vegetarischer Kochbücher gelten, das seit einiger Zeit zu beobachten ist.
Teutschenthaler Naturfleisch
Aber welche Fleischqualitäten wollen Verbraucher, was wollen sie dafür ausgeben und wie sollen Schnitzel und Kotelett entstehen? Einer, der es wissen muss, weil er erfolgreich am Markt bestehen will, ist Holger Dietzel, gelernter Fleischermeister und Geschäftsführer der Fleischmanufaktur Dietzel in Halle. Zum 80-jährigen Firmenjubiläum im Jahr 2012 machten sich die Mitarbeiter Gedanken. „Wir fragten uns, warum die Kunden uns aufsuchen, wie wir uns von Supermärkten und privaten Konkurrenten unterscheiden, was wir unseren Kunden eigentlich anbieten wollen“, sagt der Chef des mit „Manufaktur“ wohl etwas untertrieben bezeichneten mittelständischen Unternehmens. Das Ergebnis dieser Überlegungen können sich die Kunden seit Oktober 2013 schmecken lassen: Teutschenthaler Naturfleisch. Der Aufwand, der dafür betrieben wird, ist erheblich: Eine ganze Schweinemastanlage hat ihren Betrieb umgestellt, ganz abgesehen davon, dass auch in Dietzels Manufaktur einiges anders läuft als in früheren Jahren. Ein so genanntes Markenfleischteam hat beraten und festgelegt, welche Kriterien der Produktionswandel bedienen soll. Qualitätsfleisch ist die erste Maxime, doch es gibt noch mehr.
Es geht um die Lebensbedingungen der Tiere, das Futter, das sie erhalten, die Schlachtung, die Auswahl der passenden Rasse und natürlich auch die einer entsprechend großen Anlage. Pro Woche werden immerhin 250 Tiere verarbeitet, mit der eingangs geschilderten Schweineidylle ist die Versorgung der 15 Filialen und die Auslastung des Betriebes mit rund 150 Mitarbeitern undenkbar.
Kein Soja in der Mast
Fündig wurden die Fleischer in der Schweinemastanlage Woestmann in Teutschenthal, in der 5 500 Tiere stehen. 90 Prozent von ihnen gehen zu Dietzel. Sie erhalten in der Mast kein Soja, keine Antibiotika und sie werden streng kontrolliert. Vom Veterinäramt und auch von der Qualitätsmanagerin der Manufaktur, Susanne Mahlig. Wöchentlich besucht die 37-Jährige die Teutschenthaler Ställe - unangemeldet und zu den verschiedensten Tageszeiten. Dann trifft sie regelmäßig auf entspannte, neugierige Tiere, schildert sie die Atmosphäre. Ihre Partnerin vor Ort ist Elisabeth Hörhold. Mit vier Mitarbeitern sorgt die gelernte Schweinezüchterin dafür, dass es den künftigen Braten in ihrer Lebenszeit gut geht. Diese ist länger als gewöhnlich, immerhin statt früher etwa 27 jetzt 33 Wochen. „Danach“, sagt Holger Dietzel, „wird nur noch Fett angesetzt, und das wollen die Verbraucher nicht.“
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Die Teutschenthaler Ställe wurden und werden umgebaut, so dass Tageslicht ausreichend vorhanden ist. Künstliche Dauerbeleuchtung ist unbekannt, die Ställe sind voll klimatisiert, es gibt mehr Platz und sogar Spielzeug. „Schweine lieben Ketten, weil das klappert“, erklärt Betriebsleiterin Hörhold und seufzt beim Gedanken an die ebenfalls eingesetzten Fußbälle, die viel zu schnell kaputt gehen. Natürlich stehen auch die Teutschenthaler Schweine auf Spaltböden und natürlich sind 5 500 Tiere in einer Anlage Massentierhaltung. Doch was hier getan wird, ist ein Schritt auf dem Weg, Flesich in Größenordnungen zu produzieren und dennoch Qualität zu erzielen und ein Mindestmaß artgerechter Haltung zu bieten, statt unsäglicher Bedingungen.
Höherer Fleischpreis als Konsequenz
Die Konsequenz von mehr Zeit, Platz und aller anderen Maßnahmen ist jedoch ein höherer Fleischpreis, etwa zehn bis 20 Prozent an der Ladentheke, schätzt Holger Dietzel. Insofern ist sein Betrieb durchaus ein Risiko eingegangen, als er vor reichlich einem halben Jahr das Komplettsortiment umstellte. „Doch unsere Absatzmengen sind stabil geblieben“, sagt der 51-Jährige, dem man durchaus abnimmt, dass ihm sein Produkt Naturfleisch eine Herzensangelegenheit ist, auch im Interesse des Tierwohles. Geändert habe sich die Struktur der Käufer. Sicher, manche blieben jetzt fern. Aber andere schmecken den Unterschied, würdigen das Engagement und kaufen nun gerade das regionale Erzeugnis.