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Fleischermeister Fleischermeister: Jetzt geht's um die Wurst

Von corinna nitz 23.03.2012, 16:29

Halle (Saale)/MZ. - Tja, man muss kein Künstler sein, um kreativ zu werden. Und schöpferisch geht es mitunter auch in Professionen zu, wo man das zunächst nicht - jedenfalls nicht gleich auf Anhieb - vermuten würde: etwa bei Metzgern. Henry Schimpfkäse beispielsweise machte aus Zungenwurst schon mal Konfekt und unlängst aus Blutwurst eine Torte. Mit ihr hat er seinen Titel "Ritter der Blutwurst" vom Vorjahr verteidigt: Damals konnte er sich beim "Internationalen Wettbewerb der besten Blutwurst" in Mortagne-au-Perche, einer reichlich 4 100-Seelen-Gemeinde in der Normandie, gegen Kollegen aus Österreich, Belgien und Frankreich durchsetzen.

Schimpfkäse lebt im Landkreis Wittenberg im Jessener Ortsteil Holzdorf, der eher für den nahe gelegenen Bundeswehr-Fliegerhorst bekannt ist. Der Fleischermeister, Jahrgang 1959, bietet seine Ware gern aus einem Wagen heraus etwa in Berlin und Cottbus an oder beliefert seine Kundschaft zu Hause. In seinen Produktionsräumen entstehen auch herkömmliche Würste, dennoch kann man die Arbeitsstätte durchaus als ein, nennen wir es mal, Kreativlabor bezeichnen, zumal wenn es um die Blutwurst geht. Über die kann im weltweiten Netz nachgelesen werden, dass sie die älteste "Wurstsorte der Menschheit" sei. Demnach war sie bereits im antiken Griechenland bekannt. Die Krieger aßen Blutwurst vor der Schlacht und Homer erwähnte sie sogar in seiner berühmten Odyssee.

Heute bestehe Blutwurst zu etwa 60 bis 80 Prozent aus gegarter und zerkleinerter Schweineschwarte, Blut wird zu etwa 20 bis 40 Prozent dazugegeben. Weitere Zutaten könnten u. a. vorgegarte Speckwürfel, gepökeltes Fleisch und Innereien, getrocknete Brotwürfel oder Sahne sein. Oder wie im Fall von Schimpfkäses Torte Sauerkraut und, jawoll!, Ananas. In Schichten hat der Holzdorfer das Wunderwerk aus Wurst aufgebaut. Er hat es mit einer an Schokoladenglasur erinnernden Hülle aus Schwartenblut überzogen und geräuchert. Obendrauf steht, schließlich präsentiert man sich in Frankreich: "Vive Le Boudin Noir". Hoch soll sie leben, die Blutwurst!

Abgesehen davon, dass also bei der Jagd nach dem Ritterschlag unter den Blutwurstspezialisten Fantasie gefragt ist, müssen die Bewerber zunächst einmal Geld in die Hand nehmen. Laut Schimpfkäse, der auf den Wettbewerb 2006 durch einen Bericht in einer Fachzeitung aufmerksam wurde, beträgt das Startgeld 50 Euro für jedes eingesandte Erzeugnis. Doch können die Kosten locker auch auf gut 1 000 Euro und mehr anwachsen, wenn man sich entschließt, zur Preisverleihung persönlich nach Mortagne-au-Perche zu reisen. Schimpfkäse sagt, dass er das schon dreimal gemacht hat und auch, dass der beschauliche Ort dann - sinngemäß - Kopf steht. Wenn es um die Wurst geht, scheint dort offenbar Volksfeststimmung zu herrschen.

In edlen Roben, Schimpfkäse zeigt Fotos, treten die Mitglieder der Confrérie des Chevaliers du Goûte-Boudin (Bruderschaft der Blutwurstritter) auf, die den Wettbewerb immer am dritten Märzwochenende eines Jahres ausrichten. Dass die Farben der Gewänder einen Bezug zum Objekt der Begierde habe, liegt dabei wohl auf der Hand. Da ist, wie Schimpfkäse es formuliert, "ein Mantel rot wie Blut". Und ein weißer Kragenbesatz symbolisiere Speck. Klingt logisch, jedenfalls beim weltweit größten Blutwurstwettbewerb mit Hunderten Teilnehmern aus etlichen europäischen Ländern.

Deutsche und österreichische Fleischermeister können sich nach Angaben der Bruderschaft in drei Kategorien bewerben: mit traditioneller Blutwurst ("kalt zu verzehren"), Blutwurst nach französischer Art ("warm zu verzehren, gebraten oder gegrillt") oder mit "Innovation und Kreativität" respektive "nicht-traditionellen Erzeugnissen". In die letzte Kategorie dürfte zweifellos Schimpfkäses Torte fallen. Nachdem die Jury - die übrigens aus Metzgermeistern und Mitgliedern der Académie des Confréries Gastronomiques besteht - unter dem Vorsitz des Grand Maître de la Confrérie des Chevaliers du Goûte Boudin unlängst zusammenkam, erhielt der Holzdorfer Mittwochabend die Nachricht, dass er erneut erfolgreich war.

Es sind natürlich einige, die eine Medaille einfahren konnten. Für Schimpfkäse war es neben Bronze "für eine magere Blutwurst" Silber für die Torte. Dass er weiterhin Blutwurstritter bleibt, sagt er, denn diesen Titel behalte man immer. Er freut sich, ja, und wirkt doch ziemlich gelassen. Zum einen mag das damit zusammenhängen, dass er Orden und Medaillen inzwischen reichlich bekommen hat. Zum anderen hat er mit seinem Alltagsgeschäft zu tun. Einmal pro Woche steht Schimpfkäse mit seinem Wagen vor dem Kaufhaus des Westens in Berlin. Blutwursttorte verkauft er dort nicht, aber wer mag, kann selbst Eintopf oder Geschnetzeltes bei ihm erwerben. Portioniert für Zuhause. Er sagt, dass viele dieses Angebot nutzen und regelmäßig zu ihm kommen. Ob die wissen, dass sie es mit einem Ritter zu tun haben?