Kamille statt Kartoffel Felder insektenfreundlich bewirtschaften: Kamille statt Kartoffel bei Detlef Schledemann
Dähre - Die Heuschrecke klammert sich an einen Halm, der nicht einmal halb so dick ist wie das Tier. Der Stengel schwankt wie eine Boje bei starkem Wellengang. Landwirt Detlef Schlademann schaut dem Treiben wohlwollend zu. Heuschrecken sind für Bauern ja eigentlich kein gutes Zeichen - das lehrt bereits die Bibel. Doch Schlademann ist trotz des Insekts tiefenentspannt. „Hier gehört die Heuschrecke dazu, die stört überhaupt nicht.“
Schlademann steht am Rand eines seiner Äcker. Der hochgewachsene 52-Jährige bewirtschaftet mehr als 400 Hektar Land in der Altmark, direkt an der Grenze zu Niedersachsen - ein Gebiet, in dem einem mehr Traktoren als Autos begegnen. Schlademanns Betrieb sowie einige Felder stehen auf westdeutscher Seite. Der überwiegende Teil der Anbaufläche liegt jedoch im Osten.
„Eigentlich hätte ich hier in diesem Jahr Kartoffeln ausgesät“, sagt der Landwirt mit Blick auf den Stengel, den die Heuschrecke im Würgegriff hat. „Doch nun wächst hier eine Blühweide.“ Und die ist für Bienen, Schmetterlinge - oder eben Heuschrecken - reserviert. Schlademanns Beitrag für den Erhalt der Artenvielfalt.
Artenvielfalt auf dem Feld: Paten zahlen für die Pflanzen
Damit ist das Stück Land eine echte Besonderheit. Denn es handelt sich um eine der ersten gemeinschaftlich finanzierten Agrarflächen Sachsen-Anhalts, auf denen extra für Insekten angebaut wird. Dass auf dem Acker Kornblumen, Senf und Rotklee wachsen können, ermöglichen Blühwiesen-Paten. „Da ich mit den Pflanzen ja kein Geld verdiene, probiere ich, die Ausgaben über diesen Weg zu decken“, erklärt Schlademann.
100 Quadratmeter kosten für zwei Jahre 50 Euro. Ein Preis, mit dem der Bauer kein Vermögen machen kann, der aber das Saatgut finanzieren und den Ertragsausfall kompensieren soll. Schon 129 Paten haben sich innerhalb weniger Monate ein Stück Weide gesichert. Einige werden an diesem Samstag zu einem ersten Patentreffen in die Altmark kommen. „Der Acker hat 14.400 Quadratmeter und ist fast ausverkauft - damit hätte ich nicht gerechnet“, sagt Schlademann.
Insekten-Oase statt Monokultur dank Landwirt Schlademann
Mit Hilfe der Paten hat der Landwirt eine Insekten-Oase geschaffen. Eine Etage über der Heuschrecke nestelt eine Hummel an einer Blüte herum. Noch ein Stockwerk weiter oben flattert ein weißer Schmetterling über die mit gelben, roten und lilafarbenen Tupfern verzierte Weide. Ein summendes und surrendes Paradies zwischen den im Vergleich fast schon steril wirkenden Weizen- und Rübenfeldern.
Auf die Idee zur Blühwiesenpatenschaft brachte Schlademann ein bürokratisches Problem. Da seine Felder über zwei Bundesländer verteilt sind, hat er es auch mit zwei Gesetzgebungen zu tun. „Man muss immer ganz genau überlegen, auf welcher Fläche gerade was gilt“, sagt er. Neben vielen unterschiedlichen Regelungen gibt es auch unterschiedliche Förderprogramme.
„In Niedersachsen werden seit mehreren Jahren bereits Blühstreifen gefördert“, sagt der Landwirt. In Sachsen-Anhalt hingegen gibt es nur ein auf fünf Jahre angelegtes Programm. „Am Ende wird da kontrolliert, ob sechs von zehn Pflanzen, die im Saatgut enthalten sind, noch auf der Fläche stehen“, erklärt Schlademann. Sei das nicht der Fall, müsse man die Förderung mit Zinsen zurückzahlen - ein hohes Risiko für einen Landwirt.
Insektenfreundliches Feld hilft auch Imker
Doch auch die niedersächsische Förderung bringt Schwierigkeiten mit sich. Denn die Blühweiden pflanzt Schlademann auch für einen Imker, der zwei Häuser neben ihm wohnt. Und dessen Bienen finden immer im Hochsommer wenig Nahrung. „Früher konnte ich die Blühstreifen so pflanzen, dass sie genau in dieser Zeit blühten.“ Allerdings wurde unlängst der Termin zur Aussaat nach vorne verlegt. „Wenn die Bienen es am dringendsten brauchen, sind jetzt die meisten Pflanzen bereits verblüht.“
Um diese Probleme zu umgehen und insgesamt von der staatlichen Förderung - die auch bestimmte Saatmischungen vorschreibt - wegzukommen, entschied sich Schlademann für den Patenschaftsweg. Um den möglichst in die breite Öffentlichkeit zu tragen, suchte er sich bei Amanda Hasenfusz Hilfe.
Die war einst Sprecherin der Bundesgartenschau in der Havelregion und betreibt im Nachbarort Dahrendorf eine Pension. Mit ihrer Unterstützung fand das Projekt große Aufmerksamkeit. Die Paten kommen mittlerweile aus fünf Bundesländern. „Ich hätte nie gedacht, dass das so gut läuft.“
Projekt-Acker: BUND half bei Auswahl der Pflanzen
Nachdem die Heuschrecke ihre Wanderschaft auf der Blühwiese fortgesetzt hat, geht auch Schlademann noch ein paar Schritte auf seinem Projekt-Acker. Mit fast kindlicher Freude zeigt er, wo er welche Mixtur ausgesät hat: Brandenburger Blühmischung, Imkermischung und das teure Saatgut, das ihm der Umweltverband BUND empfohlen hat. „Es ist total erstaunlich, wie unterschiedlich sich die gleiche Mischung an verschiedenen Standorten entwickelt“, sagt Schlademann. Die Weide ist für ihn auch ein Testfeld, auf dem er sich dank der Patenschaften austoben kann.
Inmitten der von ihm geschaffenen blühenden Landschaften wird Schlademann aber auch ernst. Die Weiden für Bienen, Käfer und andere Tiere seien für ihn kein rein ökonomisches Projekt. „Die Landwirtschaft wird ja sehr stark angegriffen und für das Insektensterben verantwortlich gemacht“, sagt der 52-Jährige. „Natürlich ist nicht alles super, das wissen wir.“ Aber die Agrarbetriebe allein verantwortlich zu machen, sei auch falsch. „Man muss sich einfach nur überlegen, wie viele Insekten jeden Tag an Autoscheiben sterben.“
13 Hektar Insekten-Oase: Feld läge sonst teilweise brach
Doch mit dem Verweis auf andere will Schlademann sich nicht aus der Verantwortung ziehen. Die Paten-Weide ist nur ein kleiner Teil von Schlademanns Blühfeldern. 13 Hektar hat er mit den insektenfreundlichen Mischungen begrünt. Manche davon, weil er dafür gefördert wird. Andere jedoch auch, weil er es möchte. „Das sind Flächen, die sonst brach liegen würde.“ Und dafür sei das Land zu schade. „Letztlich muss jeder für sich überlegen, wie er Verantwortung für die Umwelt übernimmt“, sagt Schlademann. „Und das ist eben mein Weg.“ (mz)
Mehr Informationen zum Blühwiesen-Projekt finden Sie unter: www.herberge-dahrendorf.de