Fast vergessene Begriffe aus der Zeit der DDR Fast vergessene Begriffe aus der Zeit der DDR: ABV, Subbotnik und Malimo: Was soll das denn sein?

Halle (Saale) - ABV, Forumschecks und Sprelacart - was war das noch gleich? Zum 25-jährigen Jubiläum der Deutschen Einheit haben sich die Redakteure der MZ an elf fast vergessene Begriffe erinnert.
Drei Buchstaben, die die Staatsmacht im Kiez verkörperten: ABV - der Abschnittsbevollmächtigte. Ein Volkspolizist, den man heute neudeutsch wohl Kontaktbereichsbeamten nennen würde. Oft ging er auf Streife durch sein Viertel und nahm dabei direkten Kontakt zum Bürger auf - ob dieser wollte oder nicht. Der ABV nahm Anzeigen auf, kontrollierte Personen und Fahrzeuge und wachte in den Mietshäusern über die Einhaltung der Meldeordnung. Sein Wort war Gesetz, etwa, wenn es darum ging, ins „nichtsozialistische Wirtschaftsgebiet“ reisen zu dürfen. Dann nämlich holte sich die DDR-Staatssicherheit beim ABV Auskunft darüber ein, ob der Bürger denn auch ein zuverlässiger war. Äußeres Erkennungszeichen des ABV war immer eine braune, lederne Kartentasche für die Schreibutensilien und fast immer eine „Schwalbe“ - den legendären Simson-Kleinroller mit den kniehohen Spritzschutzplanken.
Eingeführt wurden die Abschnittsbevollmächtigten im Jahr 1952 nach sowjetischem Vorbild. Unterstützung bekam er übrigens von vielen freiwilligen Helfern der Volkspolizei. (Rainer Wozny)
Manchmal wurde einfach einer dazu verdonnert: Du macht jetzt die Wandzeitung! Ich hab das in der Schule gern gemacht. Ich wollte ja zur Zeitung. Rausgekommen sind solche und solche. 20 Jahre DDR! Vorwärts zur Kartoffelernte! Venceremos! Die Einschaltquote ging gegen Null, wenn nur Zeitung an die Wandzeitung gepinnt wurde. Gut waren die Dinger dann, wenn sie den kollektiven Alltag spiegelten. Mit dem Niedergang der sozialistischen Ideologie starb der Wandzeitungsredakteur aus. Heute ist er Zeitzeuge. Wandzeitung was? Viereckiges Ding mit rotem oder blauem Stoff und Stecknadeln. Die Wandzeitungen der Neuzeit heißen Facebook und Twitter. (Hans-Ulrich Köhler)
Die DDR - das Land der vielen Währungen: Es gab Ost-Geld, West-Geld und etwas ähnliches wie Geld - den Forumscheck. Worum es sich dabei handelte? Ganz einfach. Damit keine „frei konvertierbare Währung“ wie US-Dollar oder D-Mark im Volk rotierte, wurde der Besitz selbiger dem DDR-Bürger verboten. Er musste Westgeld-Bestände bei der Staatsbank in Forumschecks umtauschen. Mit diesen Bezugsscheinen konnten dann im Intershop Produkte aus dem kapitalistischen Ausland gekauft werden. Oder man bezahlte einen der immer schwer zu engagierenden Handwerker, der dann auch gleich die passenden Fliesen für das Bad mitbrachte. (Rainer Wozny)
Verlangt man in Hamburg oder Köln danach, erntet man verständnislose Blicke: Mit dem Wort Broiler weiß dort kaum jemand was anzufangen. Hähnchen, Brathähnchen oder Hendl - das sind heutzutage die gängigen Bezeichnungen. Im Osten freilich hält sich der Broiler tapfer. Zu DDR-Zeiten war er heiß begehrt und nicht gerade billig - ein halber kostete so um die fünf Mark im Außerhaus-Verkauf. Und es gab Gaststätten, in denen nichts anderes angeboten wurde als Broiler oder gebratene Geflügelleber. Dazu wurden meist Pommes und der überall zu habende rot-weiße Krautsalat gereicht. Auch in Halle gab es ein solches Spezialitätenlokal der HO (Handelsorganisation): „Zum Heidebroiler“ in der Rannischen Straße 43. Die Gaststätte war, wie andere Lokale dort auch, stets gut besucht, man musste warten, bis ein Tisch frei war, man wurde „platziert“. Der Name Broiler kommt übrigens aus dem Englisch - broil heißt grillen. (Helmut Dawal)
Wenn sonnabends statt des Familienaus-fluges ein Arbeitseinsatz im Wohngebiet oder in der Schule der Kinder auf dem Plan stand, nannte sich das Subbotnik. Das kommt aus dem Russischen; Subbota heißt Sonnabend. Lenin hatte diesen Begriff Anfang des 20. Jahrhunderts geprägt und in Sowjetrussland eine Welle von freiwilligen, unbezahlten Hilfsaktionen ausgelöst. Mit der Freiwilligkeit war das in der DDR so eine Sache - manchmal gab es ganz schönen Druck, kollektiv die Flure des Wohnblocks zu streichen oder die Straßen zu kehren. Es ging nämlich auch um Punkte im sozialistischen Wettbewerb um das schönste Wohngebiet. Das Beste an den Subbotniks war das Feiern nach getaner Arbeit. Auf diese Art trugen die Einsätze zum Zusammenhalt der Hausgemeinschaften bei. (Kerstin Metze)
Und kennen Sie diese Begriff noch?
Unfallfrei schreiben konnten das Wort für die mit Kunstharz gebundenen Schichtstoffplatten sicher nicht alle DDR-Bürger, aber irgendwoher kannte das Produkt jeder. Das Sprelacart fand sich auf Küchenzeilen der Plattenbauten, auf Labor- und Schulmöbeln ebenso wie als Verkleidung der im VEB Waggonbau Ammendorf hergestellten Langstreckenwaggons der sowjetischen Staatsbahn. Noch heute, auf Transsibirischen Gleisen, wird das Sprelacart herumgekutscht. Aus dem Waggonbau während meines Schülerpraktikums „umgewidmete“ Restbestände fanden sich zu Hause auf der Toilette wieder - als Halter für die Klorolle. Um den Bildungsauftrag abzurunden: „Sprelacart“ setzt sich zusammen aus Spremberg (der Ur-Heimat des Produktes), Laminat und Carton. (Michael Pietsch)
Früher hießen die Teams Brigade. Eine Brigade war nicht nur die kleinste Einheiten im Betrieb, sie sollte der Lebensmittelpunkt der Werktätigen sein. Hier spielten sich Arbeit, Sport, Kultur, sozialistische Erziehung und sogar die Konfliktbewältigung ab. Selbst die vorsortierten Kandidaten für alle möglichen Wahlen mussten sich in diesen Arbeitskollektiven vorstellen. Die Partei- und Staatsführung hat die Brigaden jedenfalls gehegt und gepflegt. Über den sozialistischen Wettbewerb wurden zum Beispiel massenhaft Orden und Prämien unter das werktätige Volk gebracht. Um die Lust auf den Sozialismus zu fördern, kam dabei irgendwie jeder mal an die Reihe. Egal, wie die Leistungen tatsächlich gewesen sind. Ob die Brigade die Familie als kleinste Zelle der Gesellschaft hat ablösen können, darf aber bezweifelt werden. Denn auch in der DDR bestand das Leben nicht nur aus Arbeit und Arbeitskollegen. (Lutz Würbach)
So kuschelig kann Sozialismus sein: Malimo. Mit dieser Erfindung eines tüchtigen Sachsen war die DDR möglicherweise wirklich mal Weltspitze. Malimo steht für Mauersberger-Limbach-Oberfrohna. Die sechs Buchstaben benennen ein „Nähwirkverfahren“, das für anhaltenden Kuschelfaktor beim Abtrocknen sorgte. Ganze Ost-Generationen wurden mit Malimo sozialisiert. Aber Hand aufs Herz, wer wüsste Antwort auf die Jokerfrage: Wann wurde Malimo erfunden - 1949, 1972 oder 1980? Nur Mut! Tatsächlich: Vier Jahre nach Kriegsende bereits hatte Heinrich Mauerberger die Malimo-Idee. Dafür gab es 1954 den Nationalpreis der DDR, sogar die USA kauft sein Patent. 1964 startete die Großproduktion. Rund 100 Betriebe stellten 1989 Sachen aus Malimo her, dazu viele Abkömmlinge: Malivatt, Malifol, Malipol, Malivlies, Schußpol, Voltex. Kennt aber kaum einer. Anders bei Malimo. Ein Wort für die ostdeutsche Ewigkeit. (Hans-Ulrich Köhler)
Die Pionierorganisation Ernst Thälmann war eine politische Massenorganisation. Fast alle Grundschüler der ersten bis dritten Klasse waren Jungpioniere und trugen als Zeichen ihrer Mitgliedschaft ein blaues Halstuch. Ihr Gruß lautete: „Immer bereit!“ Auf Gruppennachmittagen wurden die Pioniere auf Frieden und Sozialismus eingeschworen. Und darauf, dass sie ihre Eltern achten, fleißig lernen, Sport treiben und ihren Körper sauber und gesund halten. Es gab aber auch kindgerechte Beschäftigung. Malen, basteln und im Winter Spuren im Schnee lesen - ein bisschen das, was heute die Pfadfinder tun, gehörte dazu. (Lutz Würbach)
Wenn es sonst vieles nicht gab, aber Bückware gab es in der DDR immer. Der Name könnte Zugereiste verunsichern: Nein, das Wort enthält keine sportliche Komponente und man musste auch nicht hineilen zur Bückware. Sie war ja da, wenn man im Laden einen gut kannte, der wusste, wann sie da waren, die begehrten Dinge, die niemals auf dem Ladentisch verkauft wurden. Weil es nicht genug davon gab, weil sie begehrt waren. Wer einen Verkäufer seines Vertrauens hatte, wurde prompt bedient: Tür auf, Verkäufer runter - er bückt sich nach der Ware. Und irgendwann ergab sich später Gelegenheit, dem Bücker für seine Dienste zu danken. Kaffee war immer gut, auch Goldbrand oder Eierlikör. Schließlich wollte man im Verteiler bleiben. Denn die nächste Bückware kam ganz bestimmt. (Hans-Ulrich Köhler)
Westwaren in DDR-Läden - die gab es verstärkt in den 80er Jahren im „Feinkost“, auch „Deli“ oder „Fress-Ex“ genannt. Ach, wie hat es da gerochen an der Aal-Theke. Die Kunden rieben sich die Augen vor den Regalen mit tollen Pralinen, Gebäck und Ananas-Dosen (die damals noch Büchsen hießen). Jede größere Stadt hatte einen „Feinkost“, das im Alltag angesichts der Angebote augenzwinkernd auch „Feindkost“ hieß. Wer hier einkaufen wollte, musste Schlange stehen - und ein dickes Portemonnaie haben. Eine Dose Champignons zum Beispiel kostete 12 DDR-Mark - ein kleines Vermögen, das man für eine große Familienfeiern wie Hochzeit aber gern investierte. Bei etlichen Nahrungs- und Genussmitteln handelte es sich auch um DDR-Produkte, die eigentlich für den Export bestimmt waren. Und viele Westangebote stammten ebenfalls aus volkseigenen Betrieben - als sogenannte Gestattungsproduktion. (Kerstin Metze)