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EU-Pläne gegen Plastikmüll EU-Pläne gegen Plastikmüll: Handelsverband liebt die Einkaufstüte aus Plastik

Von Katrin Löwe 04.11.2013, 19:58
Eine Plastiktüte weht durch einen Hinterhof. Die EU-Kommission machte am Montag einen Vorschlag, um die Verwendung von Plastiktüten einzudämmen.
Eine Plastiktüte weht durch einen Hinterhof. Die EU-Kommission machte am Montag einen Vorschlag, um die Verwendung von Plastiktüten einzudämmen. dpa Lizenz

Halle (Saale)/MZ - In Magdeburg haben es Jugendliche mal versucht: Vor dem City-Karree sind sie auf Kunden zugegangen, haben deren Plastiktüten kostenlos gegen Baumwolltaschen getauscht. „Das lief super. Ich denke, dass einige über ihr Umweltverhalten nachgedacht haben“, sagt Hartwig von Bach von der Naturschutzjugend Sachsen-Anhalt.

„Plastiktüten sind für Lebensmittel wesentlich effektiver.“

Nun will die EU Plastiktüten an den Kragen, vor allem ganz leichten, wie man sie oft kostenlos beim Obst- und Gemüseverkauf findet. Gebühren oder Verbote, wie die EU sie diskutiert, lehnt der Einzelhandel jedoch ab. „Man muss auch fragen, ob es Sinn macht, Obst und Gemüse im großen Jutebeutel zu stapeln“, so Knut Bernsen, Hauptgeschäftsführer des Handelsverbandes Sachsen-Anhalt.

Insbesondere leichten Einweg-Tüten sagt die Brüsseler Behörde den Kampf an. Deshalb schlägt Umweltkommissar Janez Potocnik vor, dass sich die 28 EU-Staaten Ziele zur Verminderung des Verbrauchs setzen. Am wichtigsten ist aber: Brüssel will den EU-Staaten erlauben, die Tüten zu verbieten. Bisher heißt es in der Richtlinie 94/62/EG: „Die Mitgliedstaaten dürfen in ihrem Hoheitsgebiet das Inverkehrbringen von Verpackungen, die dieser Richtlinie entsprechen, nicht verbieten.“ Diesen Artikel 18 will Potocnik kassieren. Dafür braucht es aber ein Ja der EU-Staaten und des Europaparlaments. Zudem werden die Staaten zu neuen Steuern oder Abgaben auf Plastiktüten ermutigt.

Allein hier würden pro Minute 10 000 Plastiktüten verbraucht, schlug Jürgen Resch von der Umwelthilfe jüngst zum „Plastic Bag Free Day“ Alarm. Dies ist schwer zu überprüfen. Die deutsche Jahresmenge würde aneinandergelegt 39 Mal die Erde umrunden, meint Resch. Jeder Bürger in Deutschland verbraucht im Schnitt 71 Tüten im Jahr, EU-weit sind es 198 Stück. Als Vorbild wird Irland genannt, wo eine Abgabe von 22 Cent erhoben wird. Laut irischem Umweltministerium sei so der Verbrauch von 328 auf 21 Tüten pro Kopf im Jahr zurückgegangen.

Jochen Flasbarth, Präsident des Umweltbundesamtes (UBA), geht in diese Richtung. Er fordert eine generelle Bezahlpflicht - dass also auch Kaufhäuser, Elektro-, Schuh- und Bekleidungsläden Plastiktüten nicht mehr kostenlos abgeben dürfen. Daten zu Abfällen an deutschen Ostseestränden deuteten darauf hin, dass sich die kostenlosen Tüten häufiger finden lassen als kostenpflichtige Tüten, sagte Flasbarth.

Viele Plastiktüten werden nicht wiederverwertet, wobei gerade Deutschland mit seinen hohen Recyclingstandards hier gut dasteht. Laut des UN-Umweltprogramms treiben rund 13 000 Plastikpartikel auf jedem Quadratkilometer Meeresoberfläche - durch Strömungen werden diese weltweit verteilt. Es wird geschätzt, dass rund 80 Prozent des Meeresmülls von der Landseite kommen, laut UBA vor allem über Flüsse oder über große küstennahe Mülldeponien, etwa im Mittelmeerraum.

Plastikmüll im Meer habe deutlich negative Auswirkungen auf Organismen, schreibt das UBA. „Plastik hat eine sehr lange Abbauzeit und zersetzt sich zum Teil in immer kleinere Teile, wobei Additive wie Weichmacher oder Flammschutzmittel freigesetzt werden.“ Über Fische können sie in der menschlichen Nahrungskette landen. Da viele Tiere kleine Plastikteile mit Nahrung verwechselten, nähmen sie diese auf. Eine Untersuchung toter Eissturmvögel an der Nordseeküste habe gezeigt, dass 95 Prozent der Vögel im Durchschnitt 30 Kunststoff-Teile im Körper gehabt hätten, betont die Umweltbehörde.

In den Ländern Osteuropas sowie in Portugal greifen die Menschen besonders gern zum Plastikbeutel. Über 500 leichte und schwere Tüten verbraucht jeder Bürger pro Jahr etwa in Slowenien oder Ungarn. Das geht aus einem Begleitpapier zu den Kommissionsvorschlägen hervor. Die Zahlen sind allerdings mit Vorsicht zu genießen: Für eine Reihe von Ländern gibt es nur Schätzwerte. Aber es gilt: Je geringer eine Abfallwirtschaft entwickelt ist, desto größer die Umweltbelastung.

Der Naturschutzbund Deutschland (NABU) begrüßt die EU-Pläne. Vor allem leichte Tüten sieht Ressourcen-Experte Benjamin Bongardt kritisch, weil sie als Einwegtüten gedacht seien und daher eine besonders schlechte Ökobilanz hätten. Dass die EU-Kommission nicht gleich ein Verbot vorschlägt, hält er für sinnvoll: Damit hätte sich die Behörde unter den EU-Staaten ohnehin nicht durchsetzen können. Ein Expertenvorschlag ist auch, dass konkrete Minderungsziele wie beim Treibhausgasausstoß gesetzt werden und zum Beispiel bis 2020 jeder EU-Bürger nur noch 40 Plastiktüten im Jahr verbrauchen darf.

Immerhin handele es sich um empfindliche Lebensmittel. Zudem wünschten Kunden die Plastiktüten. „Das hat etwas mit Service zu tun. Und: Ich würde unsere Aufgabe nicht als Erzieher sehen.“

Der Handelsverband Deutschland geht sogar noch einen Schritt weiter: „Die Einführung einer Abgabe auf Plastiktüten in Deutschland hat möglicherweise sogar negative Effekte“, so Geschäftsführer Kai Falk. Lebensmittelabfälle könnten zunehmen, wenn lose und frische Ware wie Obst nicht mehr in Tüten in individueller Stückzahl gekauft werden können. Papier sei kaum eine Alternative, weil insbesondere frische Lebensmittel oft feucht seien und Papier weniger reißfest. „Plastiktüten sind für Lebensmittel wesentlich effektiver.“ Und nicht nur dort: Warenhäuser würden von Spontankunden leben, die ihre Einkäufe auch im Regen trocken nach Hause tragen wollen.

Deutschland, so betont der Handel, liege zudem beim Verbrauch nicht nur deutlich unter dem europäischen Durchschnitt, sondern habe ein erfolgreiches Duales System. Ein Deponierungsverbot für Plastiktüten und hohe Recyclingquoten seien gewährleistet, so Falk.

„Eine Abgabe in Deutschland wird nicht helfen, die Vermüllung der Weltmeere zu verhindern.“ Das Bundesumweltministerium begrüßt zwar den EU-Vorstoß, sieht laut einer Sprecherin aber hierzulande „keine Veranlassung“ für Abgaben oder Verbote. Kunststoffverpackungen, dazu zählen Plastiktüten, würden heute zu fast 100 Prozent verwertet. Plastiktragetaschen seien so in Deutschland kein relevantes Umweltproblem.

Der EU-Kommission geht es in ihrem gestern vorgestellten Aktionsplan vor allem um die besonders dünnen, fast transparenten Tütchen mit einer Wandstärke von unter 50 Mikrometern (0,05 Millimeter). Sie machen rund 90 Prozent des Plastikmülls aus, der in vielen Mitgliedstaaten nicht ordnungsgemäß recycelt wird.

EU-Bürger nutzen sie statistisch 25 Minuten, in der Umwelt brauchen sie 300 bis 500 Jahre, um vollständig zersetzt zu werden. Nun will Brüssel den Verbrauch der kleinen Säckchen um mindestens 80 Prozent drücken. Möglich machen sollen das entweder Abgaben oder eine Erlaubnis an die EU-Staaten, die Tüten zu verbieten, was sie bisher nicht dürfen.

Der Vorschlag benötigt die Zustimmung der EU-Staaten und des Europaparlaments. Die Zeit bis zur Europawahl 2014 dürfte aber nicht mehr reichen, um das Kommissionspapier noch zu verabschieden. (dre)

Zumindest bei größeren Tüten gibt es zudem verstärkt Alternativen, die – vor allem im Lebensmittelhandel – kostenpflichtig sind. Bei Edeka greifen in Mitteldeutschland knapp über die Hälfte der Kunden an der Kasse zur billigen Plastiktüte, mit Abstand folgen Papiertüten, dann Baumwoll- oder Langzeit-Kunststofftaschen. Aber: „Wir haben die Erfahrung gemacht, dass mit Tragetaschen immer sparsamer umgegangen wird“, so eine Sprecherin.