Entwicklungshilfe-Projekte der DDR Entwicklungshilfe-Projekte der DDR: Hallenser sorgt für Kaffee-Boom in Vietnam

Balgstädt - Monique, 28 Jahre, schwärmt für Siegfried, 86 Jahre. Auslöser ihrer Begeisterung ist eine gemeinsame Leidenschaft - das Kaffeetrinken. Dabei schwören die junge Frau und der alte Mann auf beste Bohne aus Vietnam. Was die Bloggerin aus dem Burgenlandkreis aber lange Zeit nicht wusste: Ausgerechnet der Senior, mit dem sie ihr Hobby teilt, brachte den Kaffee-Anbau in dem südostasiatischen Land erst zur Blüte.
Das war in den 1980er Jahren, als Siegfried Kaulfuß eines der größten Entwicklungshilfe-Projekte der damaligen DDR organisierte. Mehr als 50 Mal reiste er in dieser Eigenschaft nach Vietnam, mit zunächst 6.000 Kaffeebäumen „im Gepäck“. Heute ist das Land nach Brasilien der zweitgrößte Kaffee-Exporteur der Welt - ein kleines Wirtschaftswunder. Gemeinsam haben die beiden Kaffee-Freaks es erkundet.
Siegfried Kaulfuß gilt als Macher
Wer Siegfried Kaulfuß kennt, der weiß: Der ehemalige Entwicklungshelfer aus dem DDR-Kombinat Nahrung und Genussmittel, zu dem der volkseigene Betrieb Kaffee Halle gehörte, gilt immer noch als ein Macher und ist kein Mann der großen Worte. Deshalb bedurfte es schon eines großen Zufalls, damit seine vergessene Erfolgsgeschichte als Ausgangspunkt eines seither rasanten wirtschaftlichen Aufschwungs von einst jetzt noch einmal publik wurde.
Während einer Stippvisite in der Kaffee-Rösterei „Moness“ in Balgstädt - Betreiber ist der Vater von Monique Pierard -, geriet der von Haus aus bescheiden wirkende Kaffee-Experte aus Halle ins Plaudern. Und bereits das Wenige, was Kaulfuß dabei über eines der größten Entwicklungshilfe-Projekte der DDR preisgab, mündete in einer ungewöhnlichen Spurensuche. Monique Pierard und Siegfried Kaulfuß begaben sich einige Monate später nach Vietnam - assistiert von Kameramann Holger Schmidt, der einen Film zu diesem Thema für den MDR drehte. Gemeinsam erlebten sie eine an- und aufregende Kaffee-Zeitreise der besonderen Art.
Guter Kaffee war - und ist - nicht billig. Die DDR musste ihn mit harten Devisen bezahlen. Darüber verfügte der Arbeiter-und-Bauern-Staat nur in bescheidenem Umfang. Deshalb suchte man einen preiswerteren Lieferanten. Das befreundete Vietnam erschien wegen seines tropischen Klimas vielversprechend.
1980 schlossen beide Staaten ein Regierungsabkommen. 24.000 Vietnamesen kamen in der Folgezeit ins abgelegene Hochland, um sich eine Perspektive aufzubauen. Für die neu anzulegenden Plantagen wurden Wildnis gerodet, Maschinen geliefert, Infrastruktur geschaffen. Sogar ein Wasserkraftwerk, das heute noch arbeitet, entstand. Gesamtwert der Entwicklungshilfe: 32 Millionen Rubel, die damals gängige Währung im östlichen Wirtschaftsraum.
Doch es dauerte acht Jahre, bis die ersten Kaffeebäume ihre Früchte trugen. Das war erst nach 1989. So konnte die DDR die Ernte nicht mehr einfahren.
Zehn Tage waren sie kreuz und quer unterwegs im vietnamesischen Hochland, drei Tagesreisen von der Hauptstadt Hanoi entfernt. Nun wieder zurück in Deutschland sagt Monique Pierard: „Es war eine Reise an der Seite eines Helden. Genauso wurde Karl-Heinz von den vietnamesischen Gastgebern empfangen - überall.“
Das erste Reiseziel: die Plantagen von Daklak. Scheinbar endlos stehen die Kaffeebäume hier in langen Reihen. Betäubend ihr Duft: Während der Blüte riecht der ganze Landstrich nach Jasmin. Kaulfuß ist von dem Anblick gerührt: „Die ersten Pflanzungen haben wir mit Kaffeebäumen vom Leipziger Tropeninstitut durchgeführt“, erzählt er.
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Vorher sei dort nur Urwald und Einöde gewesen, so Kaulfuß. Heute erstrecken sich die Felder bis in eine Höhe von 1 500 Metern über dem Meer. Die gesamte Anbaufläche ist von anfänglich etwa 10 000 Hektar im Jahre 1989 auf gegenwärtig mehr als eine halbe Million Hektar angewachsen.
Das zweite Reiseziel: Eine Schule mit 1 600 Kindern, die innerhalb des Entwicklungsprojektes entstanden ist. Die Kinder und Jugendlichen, die jetzt dort lernen, kennen Kaulfuß nicht nur aus dem Geschichtsbuch. Es sind vor allem ihre Eltern und Großeltern, die von ihm erzählen. Monique Pierard: „Es war ein Empfang wie für einen Popstar.“ Jeder wollte ein Selfie mit Kaulfuß machen. Dessen Erinnerung an diese bewegende Begegnung: „Ich war natürlich gerührt, aber ganz ehrlich. Den wichtigsten Teil der Arbeit haben doch die Vietnamesen erledigt. Es ist ihr Wirtschaftswunder.“
DDR-Lkw rollen noch immer durch das Land
Unterwegs im vietnamesischen Alltag: Immer noch rollen alte DDR-Lkw durch das Land. Immer noch fließt das Wasser durch die von Siegfried Kaulfuß mit konzipierten Bewässerungssysteme auf die Kaffee-Plantagen. Die einfachen Unterkünfte für die ersten Plantagenarbeiter sind immer noch bewohnt. Doch mit der Ausdehnung der Anbaufläche und vielen guten Ernten, so der ehemalige Entwicklungshelfer, gewinne die gesamte Region an Dynamik. Aus einem kleinen Dorf ist innerhalb von drei Jahrzehnten eine Großstadt mit inzwischen 300 000 Einwohnern geworden, mit Kinos, Theater, Einkaufsmeilen. Das Durchschnittsalter der Einwohner von Ban Me liegt bei 28 Jahren.
Computer und Mobiltelefone sind allgegenwärtig. Selbst die Datenübertragung für Filme ist nach der Erfahrung von Kaulfuß und seiner Begleiterin in der ländlichen Abgeschiedenheit nicht das geringste Problem. Lücken im Netz, so berichten die Gastgeber aus der Provinzregierung, habe man rasch schließen können. Man habe die Finanzmittel auf diese Schlüsseltechnologie konzentriert und ausländische Partner, darunter aus dem Land der ehemaligen Kriegsgegner USA, nicht abgewiesen.
Handel und Wandel sorgen dafür, stellen die beiden Kaffee-Reisenden fest, dass nichts beim Alten bleibt. Nicht einmal bei der Zubereitung ihres Lieblingsgetränkes. Der neueste Schrei ist ein Mix aus extrem lange gebrühtem Kaffee, vielen Eiswürfeln und dicker süßer Sahne - kurz und gut: Coffee cool. (mz)