Eisenbahnbrücke in Barby Eisenbahnbrücke in Barby: Rätselhafter Kauf

Barby/MZ - Sie ist der Stadt ganzer Stolz. Seit mehr als 100 Jahren schiebt sich der Koloss 757 Meter über den Fluss und die Auenwiesen, fast 5 000 Tonnen Stahl in Fachwerkbauweise - die alte Eisenbahnbrücke der „Kanonenbahn“ über die Elbe bei Barby. Jürgen Krebs gerät ins Schwärmen, wenn er über das Bauwerk spricht: „Das ist die letzte Großbrücke im mitteldeutschen Raum, die eine weitgehend genietete Konstruktion aufweist. Das macht sie so einzigartig“, sagt der Barbyer Eisenbahnhistoriker.
Damit könnte es bald vorbei sein. Vor kurzem hat eine kleine Meldung die 9 000-Einwohner-Stadt im Salzlandkreis aufgeschreckt: Die Deutsche Bahn AG hat die Brücke an einen privaten Investor verkauft. Was der damit vorhat, ist ungewiss, doch in Barby geht die Angst vor einem Abriss um. „Ich gehe davon aus“, sagt Barbys Bürgermeister Jens Strube (SPD), „die Brücke und die Gleise werden dann wohl als Schrott verkauft und zu Geld gemacht.“ Im Rathaus heißt es, aus dem Kaufvertrag, in den die Stadt habe Einsicht nehmen können, ließen sich die Abrisspläne herauslesen.
Der deutsch-französische Krieg von 1870/71 war noch in Gange, da wurden in Berlin erste Pläne für eine neue Eisenbahnstrecke ersonnen - quer durchs Land, direkt bis zur französischen Grenze. So entstand die heute als Kanonenbahn bekannte Eisenbahnstrecke von Berlin über Barby, Hettstedt, Wetzlar, Koblenz und Trier bis nach Metz. Die französische Stadt samt Elsaß-Lothringen hatte Frankreich nach dem deutsch-französischen Krieg an Deutschland abtreten müssen.
Geplant und gebaut wurde die Kanonenbahn vor allem aus militärstrategischen Gründen - daher auch ihr Name. Deutschland wollte eine direkte Verbindung in den Westen des Reiches, zum Beispiel für schnelle Transporte von Truppen und Kriegsgerät. Frankreich galt damals noch als der „Erbfeind“. Das Projekt war von so großer Bedeutung, dass es sogar Gesetzeskraft erlangte.
Für den zivilen Eisenbahnverkehr hatte die Kanonenbahn allerdings allenfalls lokal auf bestimmten Streckenabschnitten Bedeutung. Überregional spielte die Verbindung kaum eine Rolle, weil sie wegen ihrer direkten Linienführung an den großen Ballungszentren vorbeiführte.
Die Kanonenbahn ist insgesamt mehr als 800 Kilometer lang. Der größte Teil davon wurde seinerzeit neu gebaut, nur einige wenige Abschnitte verliefen über bestehende Bahnstrecken. Heute ist die Strecke nicht mehr durchgängig in Betrieb. Einzelne Abschnitte, etwa in Thüringen, werden touristisch genutzt, mit einem Draisinenbetrieb oder als Radwege.
„Barby ginge damit ein Stück Identität verloren“, warnt Hobby-Forscher Krebs. Und viel mehr als das: Der Stadt würde auch eine Lebensader fehlen. Entlang der vor zehn Jahren stillgelegten Strecke Güterglück-Barby verläuft über die Brücke ein Fuß- und Radweg, der Barby - neben einer nicht rund um die Uhr betriebenen Fähre - mit dem Elberadweg verbindet. Viele Touristen kämen so in die Stadt, sagt Bürgermeister Strube. Pensionen und Gaststätten lebten gut von den Radreisenden.
Wie lange noch? Frank Bläsing bewirtschaftet seit 20 Jahren das älteste Haus am Platze, den Gasthof „Zum Rautenkranz“, 13 Zimmer, sechs Angestellte. Im vorigen Jahr während der Flut, musste er reihenweise Stornierungen bearbeiten - 50 Doppelzimmer, 20 Einzelzimmer in nur eineinhalb Monaten. Alles Radfahrer. Alle weg. „Daran sieht man, welche Bedeutung der Radtourismus für uns hat.“ Ein Abriss der Brücke, sagt der Wirt, würde ihn und seine Kollegen hart treffen. „Das wäre tödlich für die Gastronomie.“
240 Kilometer elbaufwärts, Dresden. In Sachsens Landeshauptstadt sitzt der neue Besitzer der Barbyer Elbbrücke, die Sire AG. Das Kürzel steht für „Sächsisches Institut für Regionalökonomie und Energiewirtschaft“. Das Unternehmen, Ende der 1990er Jahre von Mitarbeitern der Hochschule Görlitz/Zittau und Vereinen gegründet, beschäftigt sich nach eigenen Angaben mit der „Förderung und Revitalisierung regionaler Wirtschaftsstrukturen“. Klingt erst einmal nicht nach Abrissbirne.
Bahntrasse gekauft
Ein Unternehmenssprecher gibt sich auf Anfrage der Mitteldeutschen Zeitung zugeknöpft. Die Abriss-Befürchtungen? „Mich wundert, wo das herkommt.“ Weiter will er sich nicht äußern, welche Pläne die Firma mit der Brücke verfolgt. Stattdessen verweist er auf zwei Sätze, mit denen sich das Unternehmen vor kurzem im MDR hat zitieren lassen: „Wir können die Bedenken der Bürger vor Ort verstehen. Es wird für alle eine Lösung geben.“ Wie die aussehen wird? Kein Kommentar, bevor der Kauf nicht endgültig abgewickelt sei. Noch könnten Dritte ihr Vorkaufsrecht wahrnehmen.
Vielleicht passiert in Barby auch erst einmal gar nichts. So wie im Saalekreis. Dort hat die Sire AG zum Jahreswechsel 2012/2013 die ehemalige Bahntrasse von Leipzig nach Friedensdorf bei Merseburg gekauft. Im Frühjahr 2013 wurden die Gleise abgebaut. Im April verkündete das Unternehmen, auf der 18 Kilometer langen Strecke werde ein Radweg entstehen.
Fast ein Jahr ist das jetzt her, doch noch dreht sich dort kein Rad. Der Stand der Dinge? Auf der Sire-Website findet sich unter dem Punkt Aktuelles ein Hinweis auf den „Fahrradweg Leipzig-Merseburg“, samt Mail-Adresse und Telefonnummer, für „Anfragen zum aktuellen Regionalentwicklungsprojekt“. Doch auch hier nennt der Firmensprecher keine Details. Nur so viel: „In den Köpfen der Gemeinden“, sagt er, „findet jetzt ein Umdenken statt.“ Wie will Sire mit den Kommunen zusammenarbeiten? Sollen diese den Radweg später pachten? Gibt es ein anderes Modell? Kein Kommentar.
Man kann die Bemerkung aus Dresden so verstehen: Wir würden ja gerne. Aber die Kommunen kommen nicht aus dem Knick. Wirklich? „Wir kennen die genauen Pläne der Firma noch gar nicht“, sagt Leunas Bürgermeisterin Dietlind Hagenau (parteilos). Die Sachsen hätten bisher weder Unterlagen noch Anträge eingereicht. Beim Landkreis habe ein Vertreter der Firma die Radweg-Idee in einer Gesprächsrunde im Herbst vorigen Jahres vorgestellt, sagt Kreis-Sprecherin Kerstin Küpperbusch. Weitere Gespräche oder Abstimmungen habe es seitdem nicht gegeben. Der Sire-Sprecher sagt: „Wir machen das nicht zum ersten Mal.“ Das letzte Radweg-Projekt der Firma habe sieben Jahre gedauert. Es ging um eine Verbindung in Ostsachsen.
Hoffen auf das Land
In Barby hoffen sie unterdessen auf das Land. Das könnte für die Elbbrücke sein Vorkaufsrecht wahrnehmen, weil das Bauwerk als „Denkmal von überörtlicher Bedeutung“ eingestuft ist. Die Sire AG käme dann nicht zum Zuge. „Wir wollen wissen, wie das Land dazu steht“, sagt Barbys stellvertretende Bauamtsleiterin Uschi Käsebier.
Die Antwort könnte Hoffnung wecken im Barbyer Rathaus: Das Land schließt einen Kauf der Brücke nicht von vornherein aus. „Wir werden das Vorkaufsrecht prüfen“, sagt eine Sprecherin des Landesverwaltungsamtes.