1. MZ.de
  2. >
  3. Mitteldeutschland
  4. >
  5. Einwegpfand: Einwegpfand: Plötzlich landen auch Mehrwegflaschen im Müll

Einwegpfand Einwegpfand: Plötzlich landen auch Mehrwegflaschen im Müll

Von Steffen Könau 01.08.2003, 12:45

Halle/Leipzig/MZ. - Wenn das Licht angeht nach dem großen Sommerfilm auf der Peißnitzinsel von Halle, dann bleibt allerlei zurück. Ein Kleintransporter Abfall, das ist seit Jahren der Schnitt, sagt Dirk Götze von der Easyschorre GmbH, die den traditionsreichen Kinosommer organisiert. 2000 Leute trinken und essen, und nicht alles kaufen sie in den Buden ringsum. "Natürlich haben die Leute oft ihr eigenes Bier dabei", sagt Götze.

So war das immer, so ist das noch. Mit einer kleinen Änderung, die die Easyschorre-Aufräumer anfangs mit Verblüffung registrierten. Bestand der nächtliche Nachlass der Lichtspiel-Fans noch im vergangenen Jahr überwiegend aus Bierdosen, so watet das Reinigungskommando in diesem Jahr durch ein Meer aus regulären Pfandflaschen.

Hunderte sind es jeden Abend, tausende in einer Woche. Gerhard Hellmund, 51 Jahre alt, von Beruf Gleisbauer und seit der Wende arbeitslos, ist jeden Abend aufs Neue verblüfft. Vor vier Jahren hat "Schrödi" wie ihn hier alle nennen, begonnen, beim Kinosommer "ein bisschen rumzugehen, um Flaschen zu sammeln." So komme er mal unter Leute, könne einen Film angucken und streiche auch noch ein paar Euro für das Pfand ein.

Doch mit dem Dosenpfand, gedacht als Schlag gegen die Wegwerf-Mentalität der Menschen, ist Hellmunds Welt nicht mehr dieselbe. Denn der Wertekanon der erlebnishungrigen Partygänger hat sich von Grund auf geändert, seit jede Büchse ihren Preis hat. Früher seien acht Cent pro Flasche für die Leute noch Grund genug gewesen, das leere Behältnis zur Verkaufsstelle zurückzutragen, macht sich Gerhard Hellmund unter seiner roten Mütze so seine Gedanken. "Aber jetzt denken doch alle, acht Cent, da kann ich drauf verzichten, verglichen mit den 25Cent, die eine weggeworfenen Büchse gekostet hätte."

Der Müll geht so nicht weg, wie es die Dosenpfandregelung hatte erwarten lassen, nein, er sieht nur anders aus. 95 bis 97 Prozent weniger Dosen in der Landschaft, so hatte es das Umwelt-Prognoseinstitut in Freiburg vorhergesagt. Und Recht behalten, was die Dosen betrifft: "Nicht eine", sagt Schorre-Booker Götze, sei bislang im Abfall gewesen.

Doch die Wirklichkeit macht ihre eigenen Rechnungen: Mehrweg heißt nicht weniger Müll. Denn ein Gutteil der umweltfreundlichen Mehrwegflaschen steht in diesem Sommer noch an den Treffpunkten der Partygänger, wenn die längst fort sind. Immerhin 50 Prozent der Deutschen gaben in einer von Coca Cola in Auftrag gegebenen Studie an, ihre Mehrwegflaschen innerhalb einer Woche zurückzubringen. Die andere Hälfte allerdings verzichtet neuerdings scheinbar ganz darauf.

Der drei Kilometer lange Fußweg vom Parkplatz zur Ferropolis-Arena bei Gräfenhainichen - bei jedem Konzert gesäumt von hunderten Pfandflaschen. Schließlich "werde ich ja nicht zurück latschen, bloß um die leere Flasche zum Auto zu bringen", wie ein Besucher sagt. Das Areal am Leipziger Völkerschlachtdenkmal, auf dem das alljährliche Anti-Rassismus-Konzert stattfand - bedeckt mit einer Lage der klassischen 0,5-Liter-Flaschen. Vor Fußballstadien-Eingängen, vor Open-Air-Theater-Bühnen, auf Liegewiesen und in den überlaufenen Freibädern: Wo einst die Einweg-Dose lag, Behältnis für den klassischen Gelegenheitstrunk, steht jetzt die Mehrweg-Flasche.

Wenn sie denn noch steht. Zum Leidwesen von Pfandjägern wie Gerhard Hellmunds Kollegen Rudolf Pfahl, der 62 Jahre alt ist, schon ewig arbeitslos und die Peißnitz jeden Morgen nach frischer Ware abgrast, tut sie das nämlich sehr oft nicht. Derzeit finde er "zehnmal mehr Zeug als früher", sagt der Pfand-Profi. Dummerweise aber sei ein Gutteil der Beute bereits kaputt.

Die Flaschen, im darbenden Getränkehandel dringend zurückerwartet, zerbrechen schneller als einst die Büchsen, das bemerken unterdessen auch andere. "Und dann liegt das hier rum, bis sich einer schneidet", sagt Jasmin Kohlhaase, die seit Jahren am Hufeisensee in Halle badet und "noch nie soviel Scherben" hat herumliegen sehen wie jetzt.

Und so sieht es dann auch überall aus in diesem Sommer. Pfandflaschen, eben noch die Bumerangs der Getränkeindustrie, weil sie stets zum Verkäufer zurückkehrten, tun plötzlich, was bisher Dosensache war: In Wald und Flur herumliegen. Ein Überangebot, das auch an Gerhard Hellmund, der doch früher nach jeder Flasche sprang, nicht mehr im Griff hat. "Nee", sagt er, "alles kriege ich jetzt nicht mehr weg, da bräuchte ich ja einen Laster."