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Einsatzbereit zur Völkerschlacht Einsatzbereit zur Völkerschlacht: "Ich will das spüren"

Von stefanie greiner 13.10.2013, 17:25
Für Alexander Lemm (links) und Thomas Kannacher ist die historische Uniform wie eine zweite Haut.
Für Alexander Lemm (links) und Thomas Kannacher ist die historische Uniform wie eine zweite Haut. achim kuhn Lizenz

wartenburg/leipzig/MZ - Thomas Kannacher stützt sich auf seinem Gewehr ab. Seine Hände sind schmutzig. Kein Wunder, seit drei Tagen hat sich der Mann aus dem thüringischen Saalfeld nicht mehr gewaschen. „Ich kann nicht sagen: Es war schlimm früher. Und gehe dann am Abend unter die warme Dusche. Nein, ich will am Sonntag stinken wie ein Tier, wenn ich nach Hause komme“, sagt er.

Es ist Sonnabend. Seit Mittwoch lebt der 56-Jährige nun schon mit 300 weiteren Geschichts-Freaks in Uniform im Biwak auf der Schlosswiese in Wartenburg (Landkreis Wittenberg). Ohne Fernseher, ohne Bett, ohne Dusche. „Ich möchte im Zelt schlafen. Ich möchte das so haben, wie es die armen Schweine früher hatten. Ich will das spüren. Ich will das merken. Ganz einfach, um die Strapazen beurteilen zu können, die dahinter stecken.“

Trotz aller Entbehrungen - Kannacher schwärmt von den Tagen im Biwak. Er liebt es, in die Geschichte einzutauchen. Bücher allein reichen ihm nicht, er will Geschichte hautnah erleben. Die Zeit der Befreiungskriege interessiert ihn besonders. Und damit auch die Völkerschlacht, die sich in den nächsten Tagen zum 200. Mal jährt.

Die Dimensionen sind enorm - damals wie heute. Im Jahr 1813 lieferten sich 600 000 Soldaten vor den Toren Leipzigs über Tage einen erbitterten Kampf. Das Gefecht war bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts die größte Feldschlacht der Weltgeschichte. Doch auch die rund 6 000 Laiendarsteller, die sich am kommenden Sonntag auf einem Feld bei Markkleeberg südlich von Leipzig gegenüberstehen, sind rekordverdächtig. Nie zuvor gab es in Europa eine historische Gefechtsdarstellung in dieser Größe. Ein Muss auch für Kannacher und seine Kameraden des 8. Artillerie-Regiments zu Fuß.

Bevor sie auf der Seite des französischen Kaisers Napoleon Bonaparte in sechs Tagen gegen die Alliierten kämpft, hat sich die Truppe in Wartenburg auf das Großereignis eingestimmt. Kannacher war dort einer der ersten im Biwak. Das muss er auch, denn er kümmert sich um die Unterbringung und die Verpflegung der Soldaten. Sobald er seine dunkelblaue Uniform anzieht und seinen Tschako aufsetzt, wird aus dem Handelsvertreter ein Fourier. „Das Allerschönste ist, die Zeit mit Kameraden zu verbringen, sich zu unterhalten, die Suppe zu essen, die von den Mädels gekocht wurde“, sagt er. Die Mädels, das sind die Marketenderinnen des Regiments. Sie kochen das Essen für die Soldaten. Es gibt Suppe und Gulasch. Einfache Kost eben, die über dem Lagerfeuer zubereitet wird. Gegessen wird vor den weißen, mit Stroh ausgelegten Leinenzelten, in denen die Darsteller die Nächte verbringen.

Doch es geht nicht ohne Waffen. Das Herzstück des Artillerie-Regiments ist der Nachbau einer historischen Kanone. Geschossen wird mit Schwarzpulver. Vier Kanoniere und ein Geschützführer sind nötig, um das Geschütz zu bedienen. „Jeder Handgriff muss sitzen. Es darf nichts schiefgehen“, erzählt Kanonier Alexander Lemm aus Kötschlitz (Saalekreis).

Dass während der Gefechts-Darstellung mit Gewehren und Kanonen geschossen und mit Infanteriesäbeln gekämpft wird, gefällt aber nicht jedem - das wissen auch Kannacher und Lemm. Oft werden die Darsteller historischer Gefechte als Militaristen beschimpft. Das aber, versichert Lemm, seien sie nicht. „Krieg ist Scheiße“, betont Kannacher unmissverständlich. Die blutigen Gefechte der Vergangenheit wie die Völkerschlacht mit 92 000 toten und verletzten Soldaten wolle keiner verherrlichen. Doch selbst auf dem Gefechtsfeld zu stehen, gehöre für Geschichts-Interessierte wie sie eben auch dazu.

Doch was auch in Leipzig tausende Besucher anlocken wird, ist für die Akteure nur ein Punkt von vielen. Die meiste Zeit verbringen sie im Biwak. Im Lager lernen Kinder und Erwachsene viel über das Leben aus der Zeit um 1813. Sie erfahren, dass sich die Menschen oft von dem ernährten, was sie vor Ort plünderten. Das Interesse ist meist groß. Oft kämen ganze Schulklassen vorbei, berichtet Kannacher.

Doch in die Napoleonische Zeit einzutauchen, ist für die Darsteller nicht billig. Allein für die Uniform müssen 1 000 Euro auf den Tisch gelegt werden. Und eine Kanone kann schon mal so viel kosten wie ein Kleinwagen. Das Hobby geht jedoch nicht nur ins Geld, es kostet auch sehr viel Zeit. Zu den Gefechten müssen die Darsteller oft hunderte Kilometer fahren. Auch wenn Lemm, der als Schichtleiter in einem Druckhaus arbeitet, einen verständnisvollen Arbeitgeber hat, so kann er nicht immer dabei sein. Für die Völkerschlacht hat er sich daher freigenommen.

Sechs Tage sind es noch, bis er mit seinen Kameraden den alliierten Truppen gegenüber steht. Trainieren müssen die erfahrenen Akteure dafür nicht mehr, Kannacher ist seit acht, Lemm seit sechs Jahren dabei. Jeder weiß daher, was er zu tun hat. Und die genauen Befehle gibt es ohnehin erst auf dem Gefechtsfeld. Und die Familie? Seine Frau kann der Schichtleiter zwar nicht für sein Hobby begeistern, seinen neunjährigen Sohn Christian jedoch schon. Er ist der Fahnenjunge und Trommler der Truppe.