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Ein Tag in der Notaufnahme Halle Dölau Ein Tag in der Notaufnahme Halle Dölau: Zeit ist Leben

Von Bärbel Böttcher 18.01.2016, 18:59
Der Leiter der Notaufnahme, Dr. Andreas Hillmann, untersucht einen Patienten, der bewusstlos eingeliefert wurde.
Der Leiter der Notaufnahme, Dr. Andreas Hillmann, untersucht einen Patienten, der bewusstlos eingeliefert wurde. Jens Schlüter Lizenz

Halle (Saale) - „Zeit ist Hirn“ - das ist jetzt das überlebenswichtige Motto. Am Krankenhaus Martha-Maria in Halle Dölau hat vor der Notaufnahme ein Rettungswagen gehalten. Er bringt eine Frau mit Verdacht auf Schlaganfall: Jede Minute kann der Schaden für das Gehirn größer werden - deshalb ist Zeit hier Hirn. Die Patientin ist telefonisch angemeldet worden, deshalb steht ein Facharzt für Neurologie schon bereit. Er beginnt sofort erste Untersuchungen, Krankenschwestern erledigen Formalitäten, nehmen Blut ab, schreiben ein EKG. Alles gleichzeitig. Schnell, aber nicht aufgeregt. Strukturiert und effizient. Nach zehn Minuten wird die Frau zum CT gebracht. Eine Computertomographie des Kopfes ist wichtig, um die Ursache des Schlaganfalls herauszufinden und die richtige Behandlung einzuleiten.

„Alles muss schnell gehen“, sagt Schwester Ilona Voigt, die den Bereich Pflege der Notaufnahme verantwortet. Vom Zeitpunkt des Schlaganfalls an gebe es ein Zeitfenster von etwa drei Stunden. Wenn da die Therapie einsetze, habe der Erkrankte bestmögliche Chancen, den Schlaganfall ohne schwerwiegende Folgen zu überstehen.

Sieben modern ausgestattete Behandlungsräume stehen für Patienten zur Verfügung, die, wie es im Berufsjargon heißt, liegend eingeliefert werden. Sie sind an diesem Tag gut ausgelastet. Ein Rettungswagen nach dem anderen fährt vor. Mitunter stehen zwei gleichzeitig vor der Tür. Und doch spricht Oberarzt Dr. Andreas Hillmann, der Leiter der Notaufnahme, von einem relativ ruhigen Tag.

Natürlich werden nicht alle Patienten mit dem Rettungswagen eingeliefert. Viele kommen allein oder lassen sich von Angehörigen in die Klinik fahren. In einem gesonderten Bereich werden sie von einer medizinische Fachangestellten empfangen. An diesem Freitag ist es Anastasia Maria Jähnig. Sie registriert die Patienten, fragt nach ihren Beschwerden und informiert die Ärzte. Ihre Behandlung erfolgt - in fünf dafür zur Verfügung stehenden Räumen - nach Dringlichkeit. Gegebenenfalls werden auch Kollegen von den Stationen hinzugezogen.

Mehr als 18.000 Patienten im Jahr in Halle/Dölau

Die meisten Patienten nehmen erst einmal im Wartebereich Platz. Eine junge Frau, die über Durchfall klagt, wird jedoch sofort in ein Isolierzimmer gelegt - falls sie ansteckend ist. Aber auch hier geht es eher ruhig zu. Ungewöhnlich für einen Freitagnachmittag, der eigentlich, genau wie der Montagvormittag, wie die Wochenenden oder die Feier- und Ferientage zu den Zeiten gehört, in denen der Wartebereich rappelvoll ist.

Jetzt sitzt hier beispielsweise Ingrid Ahrens. Eine Behandlung hat sie schon hinter sich. Die 66-Jährige ist in einem halleschen Einkaufszentrum auf glatten Stufen gestürzt und hat sich dabei den Arm gebrochen. Sie ist übrigens nicht das einzige Glätte-Unfallopfer, das an diesem Tag versorgt wird. Bei ihr handelt es sich um einen komplizierten Bruch. Deshalb hat ihre Hausärztin sie in die Klinik nach Dölau geschickt, wo Dr. Matthias Horn, leitender Oberarzt der Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie, ihn erst einmal versorgt. Nun wartet die 66-Jährige auf die Auswertung des Röntgenbildes und hofft, dass keine Operation nötig ist. Eine Hoffnung, die sich wenig später zerschlägt.

Das Team der Notaufnahme behandelt pro Jahr mehr als 18.000 Patienten. „Die Zahl steigt jährlich um etwa sechs Prozent“, sagt Chefarzt Dr. Harald Fritz. Die Hauptursache dafür sieht Hillmann in der Alterung der Bevölkerung. Viele der älteren Patienten hätten zudem mehrere Erkrankungen gleichzeitig, was den Aufwand enorm erhöhe. Übrigens, wie er betont, nicht nur in der Notaufnahme. Auf der anderen Seite, so sagt er, könnten sich insbesondere junge Leute bei nicht so gravierenden Beschwerden kaum noch selbst helfen, das heißt, auf die guten alten Hausmittel zurückgreifen.

Auf der nächsten Seite: Warum die Notaufnahme zum Defizitgeschäft wird und warum es keine Gebühr für die Nutzung der Notaufnahme geben sollte.

40 Prozent aller Patienten, die in die Notaufnahme in Halle-Dölau kommen, werden stationär aufgenommen. Und die anderen? Sind das die oft Gescholtenen, bei denen gar kein echter Notfall vorliegt? Diejenigen, die genauso gut den Hausarzt aufsuchen könnten? Oder den kassenärztlichen Notdienst? Diejenigen, die lange Wartezeiten auf einen Facharzttermin umgehen wollen? „Nein“, sagt Hillmann. Natürlich hat auch er Geschichten von Patienten parat, die in die Notaufnahme kommen und einfach nur mal so eine Blutuntersuchung fordern, die seit Wochen Rückenschmerzen haben, aber bei der Arbeit nicht fehlen wollen und nun denken, hier schneller untersucht zu werden, die jede mögliche Diagnostik haben wollen, ohne von Facharzt zu Facharzt laufen zu müssen. „Aber die sind in der Minderheit“, betont er. Ihr Anteil mache nur etwa 20 Prozent aus.

Finanzielle Probleme bereiteten die 40 Prozent Patienten, die durchaus eine krankenhausspezifische Diagnostik bräuchten, aber nicht stationär aufgenommen werden müssten, sagt Hillmann. Wenn beispielsweise jemand mit Brustschmerzen käme, dann würden berechtigterweise diagnostisch alle Register gezogen, um einen Herzinfarkt auszuschließen. Stelle sich am Ende heraus, dass die Ursache der Schmerzen ein eingeklemmter Nerv ist, dann könne der Mann nach Hause gehen. „Doch er ist im Gesundheitssystem nicht vorgesehen“, sagt der Mediziner. Entweder Hausarzt oder stationäre Behandlung. Dazwischen gebe es nichts.

Das Krankenhaus bekommt laut Hillmann für diese Patienten gerade mal 35 Euro. Dem stünden tatsächliche Kosten von etwas mehr als 120 Euro gegenüber - Personalkosten gar nicht mitgerechnet. So werde die Notaufnahme zum Defizitgeschäft. Hinzu komme, dass die Arbeit nicht planbar sei. Es gebe Tage, an denen nicht viel los sei. Dafür stünden an anderen Tagen die Rettungswagen Schlange. Das Personal müsse aber immer vorgehalten werden, sagt er. „Wie auf einer Feuerwache.“ Seine Arbeit bestimmen solche Gedanken allerdings nicht. „Sicher habe ich die betriebswirtschaftliche Seite im Hinterkopf“, sagt Hillmann. „Doch das darf medizinische Entscheidungen nicht beeinflussen.“

Gebühr für die Notaufnahme?

Den Vorstoß einiger Ärztevertreter, für die Inanspruchnahme der Notaufnahme eine Gebühr zu erheben, lehnt der Mediziner ab. „Vielleicht würde das einige davon abhalten, mit Lappalien hierherzukommen“, sagt Hillmann. Andere kämen trotzdem. Und Fritz fragt, was denn passiere, wenn der Patient gerade kein Geld bei sich habe. „Soll er dann wieder nach Hause geschickt werden?“

Skeptisch ist Hillmann auch, dass die neuen Terminservicestellen bei den Kassenärztlichen Vereinigungen, die unter bestimmten Voraussetzungen Facharzttermine vermitteln, für die Notaufnahmen eine Entlastung bringen. Denn er sieht: „Auch die Kapazitäten der niedergelassenen Kollegen sind begrenzt.“ Fritz und Hillmann betonen, dass kein Patient käme, um die Ärzte zu ärgern. „Die Menschen, die Schmerzen haben, bekommen Angst“, sagt der Chefarzt. „Und sie sind nicht in der Lage zu entscheiden, ob eine Behandlung jetzt dringlich ist oder nicht“, fügt sein Oberarzt hinzu. Von ihnen werde deshalb jeder Patient ernst genommen.

Karin Schurigt bestätigt das. Auch ihr wurde eine glatte Stelle vor einem Einkaufszentrum, und zwar in in Salzmünde, zum Verhängnis. Die 73-Jährige hat starke Schmerzen in der Schulter. Sie ist geröntgt worden. Das Ergebnis: Die Schulter ist ausgerenkt. Versuche der Ärzte in der Notaufnahme, sie wieder einzurenken schlagen zunächst fehl. Am Abend holen sie den diensthabenden Unfallchirurgen zu Hilfe. Es ist Dr. Horn, der auf dem Weg nach Hause wieder umkehrt. Dem erfahrenen Mediziner gelingt das Kunststück schließlich. Karin Schurigt hat für die schmerzhafte Prozedur eine leichte Narkose bekommen und wird die Nacht in der Klinik verbringen. (mz)

Krankenwagen vor der Notaufnahme in Dölau
Krankenwagen vor der Notaufnahme in Dölau
Bärbel Böttcher Lizenz