Ehemaliges Militärobjekt Ehemaliges Militärobjekt: Aufbruch in der Unterwelt
Halberstadt/MZ. - Ein Wäldchen wie andere, ein rostiger Zaun, ein vergilbtes Schild. "Kraftfahrer bei der Wache melden." Die Wache aber ist abgezogen, das Tor zu. Jogger drehen Runden am Rand von Halberstadt - nichts ahnend, dass nebenan eines der größten Staatsgeheimnisse der untergegangenen DDR in der Erde schlummert.
Pächter Marcel Quaiser dagegen kennt die größte Bunkeranlage der Nationalen Volksarmee wie seine Westentasche. Das gewaltige Stahltor zwischen zwei Felswänden. Den 500Meter langen unterirdischen Bahnsteig. Die unzähligen Tunnel, Schächte und Gänge.
Der junge Mann mit der Taschenlampe ist der Herr der Unterwelt, von der auch nach der Wende nicht mehr bekannt wurde, als dass Diebe etliche der hier endgelagerten DDR-Geldscheine entwendeten. Das Geheimnis ist noch immer geheim. Ein Zustand, den der Halberstädter seit Jahren zu beenden sucht. "Ich glaube, dass diese Anlage eine Attraktion ist, die Touristen anlocken könnte", sagt er. Schließlich schlummert unter meterdickem Fels ein Stück Geschichte, das Quaiser zu Deutschlands ungewöhnlichster Ich-AG macht: "Es fragen immer wieder Leute aus der ganzen Welt an, ob sie den Bunker sehen können - ich will ihn zeigen."
Bisher fast unmöglich. Genehmigungen müssen eingeholt, bürokratische Hürden übersprungen werden. Auch 13 Jahre nach dem Abzug der NVA ist die "Anlage 16/630" so nur Insidern wie Paul Bergner, Autor des Bunker-Buches "Befehl Filigran", ein Begriff. Auf Befehl von Hitler unter dem Namen "Malachit" von Zwangsarbeitern in den Berg gebrochen, um die Dessauer Junkerswerke unter die Erde zu verlagern, hatte die DDR das "Komplexlager 12" mit großem Aufwand ausbauen lassen.
"9000 Tonnen Munition und Ausrüstung für den Ernstfall waren hier gelagert", beschreibt Bergner. Innerhalb von zwei Tagen wäre eine NVA-Division mit dem Material kampfbereit gemacht worden. "Danach hätte man die 13 Kilometer Labyrinth zu einem Lazarett für 5000 Verletzte umfunktioniert."
Unten im Berg, hinter meterdickem Fels, scheint die Zeit seitdem stehen geblieben. Alle Installationen hier wirken, als seien die Monteure gerade abgezogen. Die übereinander gehängten Pritschen in den Schlafräumen, die Entgiftungsduschen, die Notdiesel - nicht einmal Staub hat sich darüber gelegt. Niemand war hier, seit Jahren. "Nur durch die Lüftungsschächte sind immer mal Andenkenjäger eingestiegen", sagt Marcel Quaiser. So verschwanden aus den Katakomben auch die meisten der DDR-Banknoten im Wert von 200 und 500 Mark, die jetzt überall gehandelt werden. "Manche riechen noch nach Bunker", sagt Bergner.
Längst aber ist in den Katakomben nichts mehr zu holen. Und die Riesenhöhle nur noch ein Endlager für Erinnerungen an den Kalten Krieg. Der Frieden scheint keine Verwendung zu haben für den Schutzraum, der so groß ist wie 15Fußballfelder. Die Pläne eines Investors aus der Schweiz, in den Kellern Datenträger zu lagern, sind geplatzt. Und von Marcel Quaisers Plan, in einer kleinen Ecke seines unterirdischen Reiches eine Disko aufzubauen, kündet nur eine halbfertige Bar. "Dann haben sie mir einen Baustopp verpasst."
Denn der zuständige Landkreis sieht die Bemühungen des unterirdischen Existenzgründers ohne Begeisterung. "Dass das hier ein Anziehungspunkt für Touristen werden könnte wie der NVA-Führungsbunker bei Berlin, begreifen die nicht", klagt Quaiser. Trotz einer Arbeitslosigkeit von über 20 Prozent habe niemand Interesse an neuen Arbeitsplätzen. "Für die Disko haben sie mir ja nicht mal Ablehnungsgründe genannt."
Der unterirdische Unternehmer klagt nun vor Gericht, um die Altlast doch noch zum neuesten Schrei auf dem internationalen Tanzparkett zu machen. Ein Diskobunker, ist er sicher, würde die Fans von weither ansaugen. "Dazu tagsüber Ausflüge in die Unterwelt - sowas gibt's sonst nirgends."
Die Perspektiven sind dennoch bescheiden. Warum, mag der Landkreis nicht kommentieren. "Das ist ein laufendes Verfahren", sagt Sprecherin Renate Petrahn. Der Bunker unten im Berg, der kein Wetter kennt und keine Zeit, kann warten. Oben aber läuft Marcel Quaiser die Zeit weg. "Irgendwann muss ich mal was verdienen mit dem Ganzen", sagt er, "sonst bleibt das Ding für immer zu."