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Down-Syndrom Down-Syndrom: Besondere Kinder

Von ANTONIE STÄDTER 18.06.2012, 17:09

Halle (Saale)/MZ. - Es war nur ein kurz aufflackernder Gedanke, wie eine Eingebung. Anja Reinert hatte gerade ihr zweites Kind geboren - mit der Hebamme zu Hause, weil alles so schnell gegangen war. Ihr Mann war wenige Stunden zuvor zur Arbeit nach Baden-Württemberg gefahren - nichts ahnend. Das Bündel von 2 250 Gramm, drei Wochen vor dem Termin zur Welt gekommen, lag also auf dem Wickeltisch, als der glücklichen Mutter das Down-Syndrom in den Kopf kam. "Ich hatte das Gefühl, dass Ava Elisabeth ein wenig so aussieht", blickt die Hallenserin zurück.

Rund sechs Monate zuvor war ermittelt worden, dass ein Eiweißwert ihres Kindes leicht erhöht war - was ein Indiz für Trisomie 21 sein kann. Später beim Fein-Ultraschall hatte der Arzt aber nichts Auffälliges sehen können. Nach allen Untersuchungen war ein Risiko von 1:389 errechnet worden, dass das Kind Trisomie 21 hat. "Wir sind davon ausgegangen, dass es gesund zur Welt kommt", sagt die 33-Jährige. Doch einige Wochen nach der Geburt - nach Hoffen und Bangen - hatten es die Eltern schwarz auf weiß: "Eine Trisomie liegt vor."

Heute sagt Anja Reinert: "Ich bin halt Nummer 389." Die kleine Ava, gerade ein Jahr alt, schläft friedlich in einer Babyschale neben den Eltern, und lässt diese froh und stolz vom Entwicklungssprung der vergangenen Wochen erzählen. Den hat sie gemacht, nachdem im März mit einem neuen Medikament ihre schweren epileptischen Anfälle, eine Begleiterkrankung, verschwanden. "Heute guckt sie einen manchmal an und lacht dann plötzlich laut los", sagt Mirko Reinert glücklich. Er ist gerade in Elternzeit. "Neuerdings liebt sie es auch, in der Babywippe kräftig loszuwippen", fügt seine Frau hinzu. Oder, wenn sie mit Ava im Arm durch die Wohnung tanzt: "Dann geht ein Strahlen über ihr Gesicht." Ihre Schwester, die zweijährige Marlene Johanna, sei "von Anfang an begeistert von ihr" gewesen - was der Jüngeren umgekehrt nicht anders geht. Ein Leben ohne Ava, das kann sich hier niemand vorstellen.

Oder, wie es der 36-Jährige ausdrückt: "Ava ist da, um unser Leben zu entschleunigen. Wir gehen heute alles viel entspannter an." Sie werde trotz Handicap normal aufwachsen, lesen lernen, Interessen entdecken - eben nur langsamer als andere. Falls sie noch einmal ein Kind bekommen, dann würden Anja und Mirko Reinert auf die Früherkennung der Trisomie 21 verzichten, sagen sie. "Wir können gut damit leben." Anfangs aber mussten sie erst einmal mit der Diagnose fertig werden. Plötzlich war alles anders als erwartet. "Es gab Tage, da haben wir gesagt: Na klar, wir ziehen das durch", erzählt er. "Doch da waren auch Tage, an denen haben wir geweint und waren voller Ungewissheit."

So geht es vielen betroffenen Eltern, sagt Ellen Schlag vom Verein Down-Kind in Halle: "Am Anfang steht meist der Schock." Die Bewältigung sei dann sehr verschieden: Manche Eltern besorgen sich sämtliche Informationen, andere verdrängen das Thema zunächst. Was aber allen zu schaffen mache, sei später "der ganze Papierkram". Ob nun für Kita-Platz oder Schwerbehindertenausweis: "Man muss zig Anträge stellen." Der Verein berät die Eltern und setzt sich für die Integration der Kinder mit Down-Syndrom in Kita, Schule und späterem Beruf ein. Ziel: ein Leben in größtmöglicher Selbstständigkeit.

"Man hat erst einmal tausend Fragen", erinnert sich Christiane Erasmy-Weber aus Halle, deren Sohn Emmanuel vor neun Jahren mit dem Down-Syndrom zur Welt kam. Heute geht er in die dritte Klasse einer integrativen Schule - wenn auch nicht sehr gern, wie seine Mutter, selbst Grundschullehrerin, etwas sorgenvoll berichtet. Viel lieber beschäftigt er sich zum Beispiel mit Technik, schaut sich immer wieder bedächtig seine Spielkarten an oder hört Musik. Und ist sichtlich angetan, als seine Mutter nun so viel von ihm erzählt. "Ich finde toll, wie er von ganz kleinen Dingen fasziniert sein kann", sagt auch die 17-jährige Klara, seine Schwester. Er sei sehr unbeschwert und lebe ein Stück weit in seiner eigenen Welt, so die Mutter. Feste Abläufe im Alltag sind ihm wichtig - wie vielen Kindern mit Trisomie 21. Und er habe die Gabe, sich in andere hineinzufühlen.

Eine Abtreibung wäre für Christiane Erasmy-Weber auch dann nicht in Frage gekommen, wenn sie in der Schwangerschaft vom Down-Syndrom ihres Sohnes gewusst hätte: "So wie das Kind geschaffen ist, ist es geschaffen", sagt die geschiedene 49-Jährige, die noch drei ältere Kinder hat. Natürlich gebe es auch schwierige Zeiten: "Man muss immer organisieren - das geht an die Kraft." Neben ihrem Beruf für Emmanuel da zu sein, komme einem "Rund-um-die-Uhr-Job" gleich. Er hat keine Begleiterkrankungen - aber die Förderung ist wichtig. So stehen zwei Termine in der Woche stets fest: beim Logopäden und beim Ergotherapeuten. Es ist aber nicht der Alltag, der ihr derzeit zu schaffen macht. Sondern, dass für Emmanuel seit Monaten keine Integrationshilfe für die Schule für die drei Stunden pro Tag gefunden wird, die von den Ämtern bewilligt wurde. "Das kann einen zermürben."

Früher, erzählt Klara, sei sie unsicher gewesen, wenn ihre Freunde sie zu Hause besuchten. Schnell machte sie aber die Erfahrung: "Sie mögen ihn auch." Darin ist sie sich mit ihrer Mutter einig: "Er hat die Sonne in unser Leben gebracht."