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Dessau Dessau: Der unermüdliche Einzelkämpfer

Von Steffen Brachert 27.10.2006, 17:06

Dessau/MZ. - Der erste Tag im Amt? Hans-Georg Otto, Dessaus Oberbürgermeister, überlegt kurz. Doch die Erinnerung an den 15. Juli 1994, an den Einzug in das Dessauer Rathaus, ist weg. "So etwas verblasst." Wenn man fragt nach der wichtigsten, nach der schwierigsten Entscheidung, eine Antwort darauf findet der Pragmatiker Otto nur schwer. Zwölf Jahre sind eine lange, sehr ereignisreiche Zeit.

Den Alltag eines Oberbürgermeisters beschreibt der gelernte Elektroingenieur so: Sie kommen von einer Katastrophe zur anderen und werden ständig mit Dingen konfrontiert, für die sie nichts können, aber trotzdem verantwortlich sind. Otto hat diese Last gern geschultert. "Es war die tollste Zeit meines Lebens." Am 31. Oktober muss der 65-Jährige aus dem Amt scheiden. Schweren Herzens.

Zwölf Jahre hat Otto Dessau geprägt. Oft wird er in die Ecke gestellt als einer, der nur Straßen gebaut hat. "Ich habe mehr gemacht", hält der Detail versessene 65-Jährige dem trotzig entgegen und zeigt auf fünf eng beschriebene Seiten, die aufzählen, was in dieser Stadt alles entstanden ist. Es ist viel. Das merkt man beim Durchgehen. Oft stehen nur die Dinge im Blickpunkt, die nicht geschafft sind. Es gibt genug davon. Ein Vorwurf ist das nicht. Doch 16 Jahre nach der Wende fehlt der Stadt eine verbindende Idee, eine Vision. 2003 hatte der "Stern" Dessau zur unglücklichsten Stadt Deutschlands ausgerufen. Ein Zufall war das nicht.

Ottos Amtszeit war ein ständiger Kampf. Für den Status eines kreisfreien Oberzentrums. Gegen die ständig größer werdenden Haushaltslöcher. Für mehr Ansiedlungen in den Gewerbegebieten. Gegen das Hochwasser. Als Dessaus Vorort Waldersee 2002 in den Fluten versank, war Otto nahedran - und weinte öffentlich im Fernsehen. Der "Arbeitsmensch Otto, streitbar, konstruktiv ungeduldig", wie ihn Hans-Christian Sachse, ein treuer politischer Weggefährte, beschreibt, zeigte Gefühle.

Sympathien verloren

Otto war immer fordernd, selten einfach. Das hat ihn Sympathien gekostet. In der Landeshauptstadt Magdeburg. Im eigenen Rathaus. Im Stadtrat. "Wer polarisiert, muss sich über Reibungspunkte nicht wundern. Doch Dessaus Wohl stand immer im Vordergrund", sagt Sachse. "Ich habe nie ohne Grund geschimpft, war nie nachtragend", versichert der Oberbürgermeister. "Viele sind aus dem Büro hier rausgegangen und haben gedacht: Das Schlimme ist, dass der da drinnen Recht hat." Otto sagt das, ohne einen Scherz zu machen. Er hat diese Grundüberzeugung, zu wissen, was richtig ist für diese Stadt, ohne das aber groß erklären zu wollen. Mit den Medien pflegte er ein Nichtverhältnis.

Ottos Mitstreiter sind mit den Jahren weniger geworden. "Mit seiner Geradlinigkeit ist nicht jeder klar gekommen", sagt Joachim Landgraf, Verwaltungsdirektor im Anhaltischen Theater, das in Otto immer einen Fürsprecher hatte. Die Rolle des unermüdlichen Einzelkämpfers nahm der Oberbürgermeister an. "Wir hätten mehr erreichen können, wenn immer die Interessen der Stadt im Vordergrund gestanden hätten", sagt Otto und spricht anderen ab, gleiches nur anders zu wollen. Viele Diskussionen empfand er als eher lästig.

Zwei von Ottos Thronfolgern sind früh von Bord gegangen: Rechtsdezernent Holger Platz forderte 2001 Amtsinhaber Otto heraus. Dessaus SPD hatte Platz nominiert - Otto trat nach langen, bis heute nicht überwundenen Querelen aus der SPD aus und als Einzelbewerber an. Platz erlebte eine bittere Wahlniederlage. Otto begann seine zweite Amtszeit. Jürgen Kessing, Bürgermeister und designierter Nachfolger, wurde 2004 Oberbürgermeister in Bietigheim-Bissingen. Die Lücken wurden nie richtig geschlossen. Es war der Anfang für ein unwürdiges Ende.

Unerwartete Geste

Die politische Altersgrenze für Oberbürgermeister: Otto - bis 2008 in Dessau gewählt - hat die nie verstanden. Dass ihm Hoffnungen gemacht wurden, wenigstens bis zur Fusion mit der Nachbarstadt Roßlau Mitte 2007 im Amt bleiben zu können, ist unstrittig. Doch ein mögliches Entgegenkommen blieb aus: Otto muss gehen. Voller Verbitterung - und mit einiger Genugtuung. Dass im August 33 Dessauer Stadträte einen Brief an Ministerpräsident Wolfgang Böhmer (CDU) schrieben und sich für eine Amtszeitverlängerung stark machten, das war eine unerwartete Geste über alle Fraktionen hinweg.

Dienstag ist sein letzter Arbeitstag im Dessauer Rathaus. Trotz des Reformationstages wird er im Büro sein. "Zwischen 7 und halb 9 ist wertvolle Arbeitszeit", hatte Otto zu seinem Amtsantritt erklärt - und das bis zum Schluss selbst gelebt. Ottos politisches Comeback steht schon fest: Am 22. April 2007 wird Otto für Pro Dessau, ein parteienunabhängiger Bürgerblock, zur Stadtratswahl antreten. An seinem Einzug zweifelt keiner in Dessau.