Damit nichts einstürzt Damit nichts einstürzt: Erdbebensicheres Bauen wird in Sachsen-Anhalt zur Pflicht

Halle (Saale) - Schon Morgen kann es soweit sein: Dann wackelt in der Region Halle-Leipzig die Erde mit wahrscheinlich schlimmen Folgen.
Diese Möglichkeit bestätigt ein neues wissenschaftliches Kartenwerk über derartige Gefahren in Deutschland. Es ist das Ergebnis jahrelanger Puzzlearbeit mit Quellenstudium, modernsten statistischen Methoden und Auswerteverfahren von Datenbanken.
Danach haben Forscher des Helmholz-Zentrums Potsdam das ganze Land in sechs Risiko-Zonen aufgeteilt (siehe Karte). Demnach gilt der größte Teil des Bundesgebiets als sicher. Anders sieht es jedoch in einem Geländestreifen aus, der sich von Chemnitz-Plauen bis nach Halle-Leipzig erstreckt. Zwar setzen die Forscher die Wahrscheinlichkeit eines starken Erdbebens geringer als beispielsweise in Garmisch-Partenkirchen und bayerischen Grenzgebiet zu Österreich ein. Doch Entwarnung wäre aus ihrer Sicht fehl am Platze.
Erdbebengerechtes Bauen: Neuer Regelkatalog
„Die Neueinschätzung wird weitreichende wirtschaftliche Folgen haben“, sagt Fabrice Cotton, Chef des Geo-Forschungszentrums in Potsdam. Schließlich werden die Karten voraussichtlich fester Bestandteil des nationalen Anhangs einer europaweiten Norm werden. Dieser Regelkatalog legt neu fest, was es bedeutet, erdbebengerecht zu bauen. Noch läuft die Einspruchsfrist, doch soll die Vorschrift bereits in Kürze in Kraft treten und löst erste Bestimmungen zu solchen Fragen aus dem Jahr 1981 ab. Dann müssen viele mitteldeutsche Bauherren ihre Gebäude entsprechend anders planen. Offen ist, inwieweit das zu Mehrkosten führt.
Anders als beispielsweise im Norden Sachsen-Anhalts muss im Raum Halle-Leipzig die Erdbebensicherheit nachgewiesen werden. Prof. Carsten Könke, Erdbeben-Experte an der Bauhaus-Universität Weimar: „Dabei lässt sich nicht pauschal sagen, was dies bedeutet.“ Das hänge vom einzelnen Objekt ab, von seiner Bedeutung, vom Untergrund und der Bauweise selbst. Einen Erdbeben-Check bestehen müssten laut Könke auch sämtliche Gebäude, die künftig umgebaut und dabei in ihrer Struktur wesentlich verändert werden. Alle anderen Häuser hätten ihm zufolge Bestandsschutz. Die Eigentümer seien nicht verpflichtet auf geänderte Normvorschriften zu reagieren, so der Bauhaus-Professor.
Ausgangspunkt ist qualifiziertes Baugrundgutachten
Erdbebensicheres Bauen gilt als Herausforderung. Denn die Häuser sollen gegen extreme Naturkräfte gesichert werden, wie sie statistisch nur im Abstand von 475 Jahren wirken. Dem müssen Konstruktion, Materialauswahl und technische Ausstattung genügen. Das Ziel: Schwingungen infolge Erdbeben werden so aufgefangen und abgeleitet, damit es nicht zum Einsturz kommt.
Erster wichtiger Ausgangspunkt für Architekten ist immer ein qualifiziertes Gutachten über den Baugrund. Davon hängen viele weitere Entscheidungen ab. Und schon an diesem Punkt kann es passieren, dass sich die Kostenspirale zu drehen beginnt. Dass es Erdbebensicherheit zum Nulltarif gibt, behauptet bislang niemand.
Versicherungen gehen von Milliardenschäden aus
Das meiste Wissen über Erdbeben gewinnen Forscher in anderen, weitaus häufiger von Beben heimgesuchten Regionen der Welt. Bezogen auf Deutschland erlebt nämlich nur jede 15. Generation ein starkes Erdbeben. Das zeigen die Erkenntnisse, die die Potsdamer Geo-Wissenschaftler während der Untersuchung eines Zeitraumes von rund 1 000 Jahren gewonnen haben. Quellen sind historische Aufzeichnungen und seit dem 19. Jahrhundert auch seismographische Messungen. Unberücksichtigt sind dabei Bodensenkungen, extreme Stürme oder Nachrichten von entfernten Beben geblieben - Angaben, die nach Ansicht der Forscher die bisherige Risikoabschätzung verfälscht haben.
In der jüngeren Geschichte stechen nach Angaben der Bauhaus-Universität die Beben 1978 in der Schwäbischen Alp und 1992 im niederländischen Roermund hervor, letzteres mit Auswirkungen bis ins Ruhrgebiet. Nachgewiesen sind dabei Werte auf der Richter-Skala bis zu 6,5. Modellrechnungen im Auftrage von Versicherungen gehen von möglichen Milliardenschäden aus, falls es zu ähnlichen Ereignisse in Ballungsgebieten wie der Kölner Bucht kommen würde.
Schwarmbeben im Vogtland
Der Osten Deutschlands würde vielleicht etwas glimpflicher davon kommen. Denn hier bleiben die gemessenen Magnituden nach Schwarmbeben, die vor allem vom Vogtland ausgehen, bislang häufig unter 3,5 auf der Richter-Skala. Dabei handelt es sich dann um Erdbeben geringer Stärke, die aber oft spürbar sind und teils auch kleinere Schäden anrichten können. Schauplatz des letzten schweren Bebens mit Todesopfern und eingestürzten Häusern ist 1872 die Stadt Gera gewesen. Der zuletzt kräftigste Ausschlag der Messinstrumenten im südlichen Sachsen-Anhalt: Kabelsketal (3,2) im Jahr 2015. Anwohner berichten danach verzogenen Möbeln, zitternden Dachbalken und Rissen im Fassadenputz. Als Ursache gilt eine geologische Störung tief im Erdinnern, die neuerdings wieder aktiv ist. (mz)