Christine Lambrecht Christine Lambrecht: Frau vor Flusslandschaft

Dessau/MZ. - Christine Lambrecht war damals 32 Jahrealt, Mutter eines Sohnes, eine in Dessau lebendeDessauerin. Nach 15 Jahren kündigte sie denJob als Kosmetikerin, um freiberuflich schreibenzu können, das ging gut. 1986 erschien ihrBuch: "Männerbekanntschaften. Freimütige Protokolle",das bekannteste Stück DDR-Dokumentarliteraturnach Maxi Wanders Frauengesprächen "GutenMorgen, Du Schöne" (1977). Der öffentlicheSprachraum sortierte sich von unten, mit journalistischenStücken im literarischen Gewand. Der Staat,der sich angewöhnt hat, seine Bürger wie Kinderoder Patienten zu beobachten, staunte mitskeptischem Interesse. Ach, das ist die Echtwelt?
In der Rezension der "Freiheit" hieß es damalsin ranzigem Behördendeutsch: "Aus den Protokollenwird erkennbar, dass die Emanzipation derFrau gesetzlich gesichert ist, ihre allseitigeVerwirklichung, vor allem im Bereich der Familie,aber teilweise noch aussteht". Im "Bereichder Familie", der letzten sich der Verwaltungentziehenden Zelle, war also noch etwas aufLinie zu bringen.
So viel, dass im selben Jahr die OstberlinerSchriftstellerin Christine Müller einen Band"Männerprotokolle" vorlegte, im Westen unterdem Titel "James Dean lernt kochen". ChristineLambrechts Buch aber schaffte es nicht nurin den Westen, sondern im Osten auch auf dieBühne, 1985 inszeniert im neuen theater Halle.Eine Gesellschaft ging ins Theater, um sichselbst zuschauen zu können.
Der Bucherfolg zittert nach. Germanisten rufenan, sagt Christine Lambrecht, ein paar Fansauch. Aus einigen der Protokollpartner seienFreunde geworden. "Immer wieder werde ichgefragt, ob ich eine Fortsetzung schreibenwerde." Ja, warum denn nicht, Frau Lambrecht?Wie wäre es damit: "20 Jahre danach - diedemütigen Protokolle"? Nein, lacht die Frauim noch immer mädchenhaften, schwarz-grauenOutfit. Weil sie nicht auf Erwartungen hinschreiben könne. "Ich gucke für gewöhnlichdie alten Texte nicht an." Und wenn, sehesie sofort, wo die Leute sich verschätzt haben."Dass sie dachten, sie würden die Dinge bestimmen,oft war es umgekehrt."
Ein Vormittag im Foyer-Café des Dessauer FürstLeopold Hotels: leichter Märzregen draußen,plätschernde Lautsprechermusik innen. GedämpfteHalligkeit, wie in einer kaum besuchten Schwimmhalle.Ab und an läuft da ein Gast an der Loungevorbei, dem man das Geschäftliche seines Dessau-Aufenthaltesansieht. Wenn Christine Lambrecht ein Hotelvor Ort betritt, ist sie immer auch geschäftlichhier. Ein Gruß hier, ein Winken dort. Seit1990 ist sie zuständig für das Tourismus-Marketingder Stadt. "Ich kann am besten Dinge verkaufen,die nicht meine sind."
Dieser Satz bezieht sich vor allem auf ihrSchreiben, dass sie nach 1989 nicht verkaufenwollte, aber weiterbetreibt, wenn sie dieArbeit loslässt. Das geschieht nicht oft.Seit Dessau samt Bauhaus und Gartenreich demUnesco-Kulturerbe zugeschlagen wurde, drückensich Kamerateams die Klinke in die Hand. Inder vorigen Woche erst hat Christine Lambrecht1000 Autokilometer in Dänemark zurückgelegt -für Dessau, für Anhalt und das Bundeslanddrumherum. Sagt sie im Ausland Sachsen-Anhalt,nicken die Gesprächspartner hocherfreut: "Yes,Saxony is great!"